Lehrstunde für Unblinde
Rechtschreibstunden münden nach hinreichender Motivation gewöhnlich in einer Sammlung von beispielhaften Wörtern, die später nach bestimmten Kriterien und Sinneswahrnehmungen geordnet werden, so daß sich zum Ende der Rechtschreibeinheit eine Einsicht gewinnen läßt.
Im folgenden biete ich eine noch unstrukturierte Sammlung von Wörtern an. Sie ist in bewährter Schreibung gehalten. (Würde man die Neuschreibung verwenden, ergäben sich beim Ordnen größere Schwierigkeiten.)
„Straße, Hase, fasten, faßten, reißen, reisen, gießen, (die) Wiesen, weise, weiße, Maße, Masse, Messer, messen, meßbar, Meßergebnis, Muster, mußten, Grießbrei, Gießerei, Gießkanne, Sträßchen, Nußschale, Grüße, Bluse, Füße, Häschen, ...“
Didaktische Kurzanalyse. Die Beispielliste umfaßt ausschließlich Wörter mit S-Lauten. Der S-Laut ist – trotz deutlichen Sprechens und Lautierens – aufgrund seiner Stellung im Wort nicht eindeutig als „s“, „ss“ oder „ß“ zu erkennen. Deshalb ist das Umfeld des S-Lautes zu untersuchen.
1. Arbeitsauftrag: Unterstreiche sämtliche lang gesprochenen Selbstlaute (Umlaute, Zwielaute, Doppellaute), die unmittelbar vor dem S-Laut stehen, mit blauer Farbe und sämtliche kurz gesprochenen Selbstlaute vor dem S-Laut mit roter Farbe!
2. Arbeitsauftrag: Trenne die Wörter an der Nahtstelle, an der sich der S-Laut befindet!
Struktur der Trennungen mit kurz gesprochenem Selbstlaut
a) faß-ten, meß-bar, Meß-ergebnis, muß-ten, Nuß-schale ...
b) Mas-se, Mes-ser, mes-sen …
c) fa-sten, Mu-ster ...
Erkenntnisse hierzu:
a) Das „ß“ nach kurz gesprochenem Selbstlaut steht bei der Trennung stets links vom Trennungsstrich.
b) „ss“ trennt man s-s!
c) Trenne nie “st”!
Struktur der Trennungen nach lang gesprochenem Selbstlaut ...
a) Stra-ße, wei-ße, Ma-ße, gie-ßen, Gie-ßerei, rei-ßen, Grü-ße…
b) Sträß-chen, Grieß-brei, Gieß-kanne ...
c) Ha-se, Wie-se, Blu-se, wei-se …
d) Häs-chen, …
Erkenntnisse hierzu:
a/b/c/d) “ß“ und „s“ nach lang gesprochenem Selbstlaut stehen einmal links, einmal rechts vom Trennungsstrich. Die Entscheidung für „s“ oder „ß“ ist hier wesentlich schwieriger als nach kurz gesprochenem Selbstlaut, weil der S-Laut seine Position bei der Trennung wechselt.
Interessant bei derartigen Untersuchungen ist, daß man den Rechtschreibreformern auf die Spur kommt. Da gibt es plötzlich einen Sinn, daß die Herrschaften den Trennungen so unglaublich viel Platz und Überlegung einräumen.
Muß man nicht vermuten, daß all die Überlegungen einer Verschleierungstaktik dienen, daß die Reformer mit ihrer Trennliberalität ein Erkennungsmerkmal im Bereich der S-Laute wissentlich beseitigt haben?
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