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Samstag 7. August 2004, 06:16 Uhr
Politiker streiten über Rücknahme der Rechtschreibreform
Berlin (AFP) Die von mehreren Großverlagen angekündigte Rückkehr zur alten Rechtschreibung hat in Deutschland eine heftige Debatte ausgelöst. Ich bin gegen eine Reform der Reform, sagte Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) der Berliner Zeitung (Samstagsausgabe). Der brandenburgische Bildungsminister Steffen Reichesprach sich ebenfalls für die Beibehaltung der neuen Regeln aus. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) sagte, angesichts der Abkehr großer Verlage von der neuen Rechtschreibung bestehe Handlunsgbedarf. FDP-Chef Guido Westerwelle forderte die Rücknahme der Rechtschreibreform.
Für die nachfolgende Generation bringt die Rechtschreibreform wesentliche Vereinfachungen, sagte Reiche der Berliner Zeitung. Das zeige sich bereits heute in den Grundschulen. Eine Abkehr von der Rechtschreibreform wäre laut Reiche wegen der Anschaffungen neuer Schulbücher zudem ein finanzielles Problem.
Der Berliner Kultursenator Thomas Flierl (PDS) sagte der Berliner Zeitung, wenn jetzt mehrere Zeitungen und Verlage zur alten Rechtschreibung zurückkehren, werden sich auch die Kultusminister in dieser Frage neu positionieren müssen. Er bekräftigte seinen Wunsch einer vorsichtigen Revision der Reform, um deren hässlichste Fehler auszumerzen. Die Hauptsache ist jetzt die Vermeidung von Kleinstaaterei und die Herstellung einer einheitlichen Rechtschreibung. Das muss vor allem mit Österreich und der Schweiz abgestimmt werden.
Stoiber, der derzeit Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz ist, forderte eine eingehende Überprüfung der Rechtschreibreform. Er habe das Thema bereits auf die Tagesordnung der Ministerpräsidenten gesetzt, erklärte er in München. Ich bin davon überzeugt, dass es die Beratungen der Ministerpräsidenten wesentlich beeinflussen wird, wenn jetzt auch große Verlagshäuser zur alten Rechtschreibung zurückkehren, erklärte Stoiber. Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) hatte zuvor gesagt, er wolle die komplette Rücknahme der Reform auf der Ministerpräsidentenkonferenz im Oktober durchsetzen.
Stoiber sagte, die Unsicherheit über das richtige Schreiben werde immer offensichtlicher. Es müsse geprüft werden, ob Teile der Rechtschreibreform beibehalten und andere Teile aufgegeben werden könnten. Auf jeden Fall besteht Handlungsbedarf. Es kann nicht sein, dass im Ergebnis jeder schreibt wie er will und es keine akzeptierte Ordnung mehr gibt.
Westerwelle nannte die Reform Unfug. Die neue Rechtschreibung ist so überflüssig wie ein Kropf, sagte der FDP-Chef der Welt am Sonntag. Die kann und sollte man rückgängig machen. Er selbst werde dafür kämpfen.
Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki nannte die neue Rechtschreibung dämlich. Im Südwestrundfunk forderte er die Wiedereinführung der alten Schreibweise, allerdings mit Änderungen. So sprach er sich nach dem Vorbild der Schweiz für die endgültige Abschaffung des "ß" aus.
Der Geschäftsführer der Rechtschreibkommission, Klaus Heller, sagte der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (Wochenendausgabe), die Rückkehr einiger Verlage zur alten Rechtschreibung sei ein Erpressungsversuch. Er halte das Vorgehen für unmoralisch. Die Rechtschreibreform ist ein jahrzehntelanger demokratischer Prozess gewesen. Jetzt wird versucht, diesen einfach auszuhebeln.
Die Axel Springer AG und der Spiegel-Verlag hatten am Freitag erklärt, sie wollten schnellstmöglich auf die alte Rechtschreibung umstellen. Der Süddeutsche Verlag will sich anschließen. Auch die Bauer-Verlagsgruppe schließt eine Änderung nicht aus, will aber noch abwarten.
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