Wiesbadener Kurier
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Sprache ist immer ein Prozess
GfdS-Geschäftsführerin Karin Eichhoff-Cyrus zum Streit um die Rechtschreibreform
Vom 13.08.2004
Ist der heftig aufgeflammte Streit um die Rechtschreibreform, die zum 1.8. 2005 gültig werden soll, lediglich sommerlochfüllend, oder verbirgt sich hinter der jetzt wieder vehement vorgetragenen Ablehnung doch mehr? Und welche Aufgabe fällt da der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden zu? Fragen, die Kurier-Redakteurin Viola Bolduan an GfdS-Geschäftsführerin Karin Eichhoff-Cyrus stellte.
Kurier: Frau Eichhoff-Cyrus, Sie sprachen schon 1997, ein Jahr vor Einführung der Rechtschreibreform, von mehr Systematik, Klarheit, Deutlichkeit durch die neuen Regeln. Haben Sie in den vergangenen sieben Jahren da selbst Abstriche machen müssen?
Eichhoff-Cyrus: Ich würde keinesfalls von Abstrichen reden, aber sagen, dass Sprache immer ein Prozess ist. Und das betrifft auch die Rechtschreibung.
Kurier: Großbuchverlage, verschiedene Politiker und Institutionen sehen die Reform im Moment sehr kritisch und wollen zur alten Rechtschreibung zurück. Sind Sie von dieser Diskussion jetzt überrascht worden?
Eichhoff-Cyrus: Ja. Und ich glaube, dass eine Rücknahme auch ein Rückschritt in jeder Hinsicht wäre. Man muss immerhin sehen, dass die Regeln halbiert wurden: Aus 212 Regeln wurden 112. Die Rechtschreibung ist viel systematischer geworden. Und übrigens sind nur zwei Prozent der Wörter betroffen. Es ist für mich unerklärlich, dass man sich die alte Rechtschreibung zurückwünscht.
Kurier: Was, meinen Sie, liegt der Heftigkeit dieser Diskussion zugrunde?
Eichhoff-Cyrus: Die Tatsache, dass Sprache und damit auch die Schrift alle angeht und alle betrifft.
Kurier: Das Institut für deutsche Sprache hat bisher die Reform als gelungen betrachtet, die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hat nie etwas von ihr gehalten, schlägt seit gestern allerdings einen Kompromiss vor wie soll sich die Bevölkerung da orientieren?
Eichhoff-Cyrus: Das ist wirklich sehr schwierig. Ich würde die Reform auch als gelungen bezeichnen, möchte allerdings dazu sagen, dass so etwas nie fertig ist.
Kurier: Wie häufig wurde die GfdS seit der amtlichen Einführung der Reform zum 1.8. 1998 auf das Thema Orthografie angesprochen?
Eichhoff-Cyrus: Sehr häufig. Gerade am Anfang, 1998 und Jahre danach, sehr intensiv. Das ist weniger geworden in der letzten Zeit.
Kurier: Umfragen belegen, dass die Rechtschreibreform in der Bevölkerung noch nicht positiv angekommen ist. Woran liegt das?
Eichhoff-Cyrus: Ich glaube, dass man sich anschauen muss, was da verändert worden ist. Und wenn man sich damit befasst, wird man sehen, dass eine Vereinfachung da ist, und das halte ich für sehr positiv. Zum anderen gibt es die so genannte Variantenvielfalt. Dieser Reform liegt zugrunde, dass die Sprachgemeinschaft entscheidet, wie es aussehen soll in der Zukunft.
Kurier: Aber die Sprachgemeinschaft scheint sich mit der Reform nicht so wohl zu fühlen. Was kann da die GfdS tun?
Eichhoff-Cyrus: Wir können informieren, und das machen wir. Wir beantworten Fragen. Im Moment gar nicht so sehr zur Orthografie selbst, sondern zu dieser neuen Diskussion.
Kurier: Gibt es in der jetzt geführten Diskussion ein Argument, das auch Sie nachdenklich stimmen kann?
Eichhoff-Cyrus: Nachdenklich stimmen tut mich eigentlich im positiven Sinne die Diskussion darum: Man sieht, dass sich die Leute für die Sprache interessieren.
Kurier: Welche sinnvollen Korrektur- bzw. Kompromissvorschläge gibt es selbst für eine entschiedene Reform-Befürworterin wie Sie?
Eichhoff-Cyrus: Die wird es immer geben. Ich möchte nochmals betonen, dass das Ganze immer ein Prozess sein wird. Auch in aller Zukunft. Es wird sich weiter entwickeln. Deswegen wird es immer Vorschläge geben, die man einarbeiten muss.
Kurier: Wissen Sie, was es mit Orthografie zu tun hat, wenn Orthografie zum Wahlkampfthema gemacht wird?
Eichhoff-Cyrus: Nein.
Kurier: Was wird am 1. August 2005 geschehen?
Eichhoff-Cyrus: Ich bin keine Hellseherin. Aber ich glaube, dass dann die Reform verbindlich wird für Schulen und Behörden.
Kurier: Haben Sie als Reformbefürworterin weiterhin auch FAZ in alter Rechtschreibung gelesen?
Eichhoff-Cyrus: Ja, aber nicht mehr als Lektüre für ausländische Universitäten empfohlen.
Kurier: Welche Rolle also spielen Zeitungen für die Frage: Rechtschreibreform ja oder nein?
Eichhoff-Cyrus: Also zunächst einmal können alle Zeitungen und Zeitschriften in der alten Schreibweise ihre Artikel veröffentlichen. Ein Rückschritt aber wäre zu bedauern der Fortschritt der Reform wäre dann leider nicht erkannt worden.
Der Wiesbadener Kurier lädt auf seiner Internetseite zum Voting über Pro und Contra zur Rechtschreibreform ein. Von bisher über 2 000 abgegebenen Stimmen sind rund 40 Prozent für eine Ablehnung; 56 Prozent stimmen für die Reform.
www.wiesbadener-kurier.de
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