Unser tägliches Brot gib uns heute
Die Welt schrieb:
Gewünscht: Ortholexie
Der Kommentar
von Konrad Adam
Es gibt in Deutschland eine große, fortschrittliche Zeitung, die sich seit langer Zeit demonstrativ der reformierten Rechtschreibung bedient. Und es gibt eine andere, fast ebenso große Zeitung, die, weil sie sich konservativ gebärdet, mit viel Geräusch zur alten Schreibweise zurückgekehrt ist. Im einen wie im anderen Falle wird der Leser mit der Lektüre keine Schwierigkeiten haben. Ohne von der deutschen Sprachpolizei, die überall ihre Außenposten hat, ständig darauf gestoßen zu werden, würde er die Unterscheide gar nicht wahrnehmen.
Das darf jedoch nicht sein, und deshalb muss die Sache aufgeblasen werden. Inzwischen beschäftigt sie nicht nur eine Handvoll arbeitsloser Germanisten, nicht bloß die Mitglieder der Akademie für Sprache und Dichtung, nicht nur die Amtschefskonferenz der KMK, und auch nicht nur die sechzehn deutschen Kultusminister. Nein, die Ministerpräsidenten selbst wollen oder sollen sich der vermaledeiten Sache annehmen. Auch das kann aber nur eine Zwischenstation sein, am Ende muss das Parlament entscheiden. Und weil sich das nicht einigen wird, bleibt das Bundesverfassungsgericht als letzte Instanz übrig. Irgendwann wird also Karlsruhe darüber befinden müssen, ob wir Stof(f)fetzen mit zwei oder drei f zu schreiben haben.
Wie die Entscheidung ausfällt, ist vollkommen offen. Und vollkommen egal. Gleichgültig, ob wir eine Zeit lang, eine Zeitlang oder eine zeitlang schreiben: Wenn man nicht gerade Legastheniker ist, versteht man schon, was gemeint ist. Nur die Uhrmacher und Philologen tun so, als verstünden sie nicht. Und weil sie so tun, müssen auch wir so tun, als ginge es mit der Kultur zu Ende, wenn man den Menschen erlaubt, so oder so zu schreiben. Die Debatte um die reformierte Rechtschreibung ist eine Alibiveranstaltung. Was die deutsche Sprache ruiniert, ist doch nicht die Orthografie, sondern die Ortholexie, die Unfähigkeit, richtig zu sprechen. Der Konjunktiv ist ungebräuchlich, das Genitivobjekt unbekannt, das Plusquamperfekt stirbt aus. Weil man gegen die Sprachverarmung mit Rechtsverordnungen nicht ankommt, sucht man einen Ersatzspielplatz auf und streitet um des Ke(a)isers Bart, als ginge es um höchste Güter der Nation.
Heimito von Doderer hat den Duden einmal das dümmste deutsche Buch genannt und eingestanden, dass er noch nie einen besessen hat. Ich auch nicht. Ich werde ihn auch nie besitzen.
Artikel erschienen am 16. Juli 2004
Sicherlich besitzt Herr Adam auch keinen eigenen (lauten und staubigen) Mähdrescher und wird auch nie einen besitzen, liebt aber trotzdem Brötchen oder Haferflocken zum Frühstück. Er verläßt sich auf den Arbeitseifer der dummen Bauern, Müller und Bäcker – wie er sich in Sachen Rechtschreibung (noch) auf die Redakteure, Schriftsetzer und Lektoren verlassen kann.
Ortholexie, 3 Gugel, „die Unfähigkeit, richtig zu sprechen“? Vielleicht meinte er Fähigkeit – „ortho...“ hätte er im Duden finden können.
Konrad Adams Moral ist die von Holzwürmern: Ein paar Löchlein im Balkern nützen doch dem Antikwert? Wenn es dann durchs Dach durchtropft und die Balken komplett wegbröseln, wird er das vermutlich als Naturgewalt bezeichnen. Pisa läßt grüßen.
Adam entzieht dem Rechtschreibunterricht von 700.000 Lehrern und 12,5 Millionen Schülern die Grundlage. Er macht unsere Sprache (das wichtigste Werkzeug in der arbeitsteiligen Welt eines Hochtechnologie-Standortes) teurer und schwächer – und zwar nicht nur ein wenig, sondern fortlaufend. Ob Herr Adam so weit denken kann, daß jedes Stück Teuerung Arbeitsplätze kostet?
Konrad Adams Eignung zum Verkehrspiloten oder Zeitungskommentator bezweifle ich. Nach meiner Meinung sollte er eine nützliche Arbeit beginnen; vielleicht Spargelstechen oder Landschaftspflege.
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Detlef Lindenthal
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