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Montag 30. August 2004, 15:21 Uhr
Streit um Rechtschreibung entzweit auch Schriftsteller
Berlin (AP) Der Streit um die Rechtschreibreform reißt auch unter Schriftstellern und Sprachwissenschaftlern tiefe Gräben auf. Während Prominente wie Günter Grass, Elfriede Jelinek oder Siegfried Lenz am Montag die komplette Rücknahme der Reform verlangten, warb ihre Interessensvertretung, die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, erneut für ihren Kompromissvorschlag von 2003. Dieser sieht vor, die Reform auf die «brauchbaren» Neuerungen zu begrenzen und andere, die Sprache entstellende Eingriffe wieder rückgängig zu machen.
Von einer Spaltung könne aber keine Rede sein, betonte Friedrich Dieckmann von der Berliner Akademie der Künste. Eine Rückkehr zur alten Orthografie wäre zwar die beste Lösung, aber politisch unrealistisch, ergänzte der Potsdamer Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg, der den Kompromissvorschlag der Darmstädter Akademie federführend erarbeitet hatte. Ziel sei es, den «Rechtschreibfrieden» wieder herzustellen und eine Spaltung zu vermeiden.
Der Kompromissvorschlag der Akademie stammt aus dem Frühjahr 2003. Neuen Auftrieb versprechen sich die Experten von der Ankündigung der Großverlage Springer und Spiegel, zu den alten Regeln zurückzukehren, sowie vom neuen Duden, der in vielen Fällen die alte Schreibweise wieder für zulässig erklärt. Das Konzept läuft auf eine Reform der Reform hinaus: So sollen «besonders sichtbare Züge» der Neuregelung, wie die Ersetzung des «ß» nach Kurzvokalen durch «ss», bestehen bleiben. Dadurch werde vermieden, dass etwa Schulbücher neu gedruckt werden müssten.
Dort, wo die Neuregelung gegen die Sprachstruktur verstoße, die Ausdrucksvielfalt beschädige und zu falschen Schreibweisen verleite, «hört der Spaß jedoch auf», betonte Eisenberg. Dies gelte vor allem für die Getrennt- und Zusammenschreibung, die Groß- und Kleinschreibung, die Silbentrennung und die Schreibweise von Fremdwörtern. Die Akademie schlägt vor, einen Rat zu berufen, der bis zum Sommer 2005 ein entsprechendes Regelwerk ausarbeiten soll.
Viele prominente Schriftsteller halten dies jedoch für zu kurz gegriffen: Sie verlangen, das Projekt jetzt insgesamt zu stoppen und stellen sich damit offen gegen die eigene Akademie. Nötig sei «eine völlige Rücknahme der überflüssigen, inhaltlich verfehlten und sehr viel Geld und Arbeitskraft kostenden Rechtschreibreform», hieß es in einer Erklärung, die der Schriftsteller Wulf Kirsten unmittelbar vor der Berliner Pressekonferenz der Darmstädter Akademie in Weimar veröffentlichte.
Die Reform betreffe nicht nur die Schulbuchkonzerne, sondern auch Literaturverlage. Diese gerieten bei einer endgültigen Durchsetzung der Neuregelung in die Zwangslage, Neuauflagen ihrer Bücher entweder in der bisherigen, dann von Amts wegen fehlerhaften Schreibung nachzudrucken, oder mit hohen Kosten neu zu setzen, erklärten die Akademiemitglieder.
Unterzeichnet ist das Papier von so bekannten Literaten wie Reiner Kunze, Elisabeth Borchers, Vicco von Bülow (»Loriot»), Tankred Dorst, Joachim Fest, Christoph Meckel und Martin Walser. Insgesamt finden sich die Namen von 37 Mitgliedern der Berliner Akademie der Künste und der Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung auf der Erklärung darunter auch der Übersetzer Friedhelm Kemp und der Sprachwissenschaftler Harald Weinrich. Bemerkenswert: Beide hatten ursprünglich der Orthografie-Kommission der Akademie angehört.
http://www.deutscheakademie.de
Erklärungen und Stellungnahmen (älter)
Photos vom Glückert-Haus
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