Zurück zum ,neuen Begriff'!
Zunächst eine Begriffsklärung. Der deutsche Satzbau folgt einem Grundschema: Vorfeld finites Verb Mittelfeld verbales Schlußfeld Nachfeld. Beispiel: Er hat Bier getrunken wie ein Loch. Das Nachfeld ist hier mit einer Wortgruppe besetzt (wie ein Loch), die anderen Stellen mit jeweils einem Wort. An der zweiten Stelle steht immer nur ein einziges Wort, im Aussagesatz das finite Verb. Nicht alle Felder müssen besetzt werden, im normalen Aussagesatz sind aber mindestens die ersten beiden Stellen besetzt z.B. Er trinkt. Im Nachfeld stehen oft Nebensätze, es spielt deshalb eine weniger bedeutende Rolle. Ich bin mir nicht sicher, ob Infinitivsätze, die vom verbalen Schlußfeld abhängen (Er möchte aufhören zu trinken.), im Nachfeld oder im verbalen Schlußfeld selbst stehen. Den Verbzusatz auf interpretiere ich als Bestandteil des verbalen Schlußfeldes, nicht des Mittelfeldes er kann also allein im verbalen Schlußfeld stehen (Er hört auf zu trinken). Finites Verb und verbales Schlußfeld bilden zusammen die Satzklammer. (In Nebensätzen vertritt ein Pronomen oder eine Konjunktion das finite Verb.) Man spricht auch von linker und rechter Satzklammer. Z.T. werde ich auf die Begriffe zurückkommen, deshalb die lange Einleitung.
Nach Erich Drach befindet sich am Ende des Mittelfeldes oder auf der rechten Satzklammer die Eindrucksstelle. Das ist eine Starkbetonung, auf der sozusagen der Sinn des Satzes konzentriert ist (er liest ein Gedicht vor, er sieht für heute schwarz, er fängt einen Fisch).
Es mag nun vorkommen, daß man, um ganz bestimmte Satzglieder hervorzuheben, weil sie den Sinn des Satzes ausmachen, den Satzbau entsprechend ändert. Das betonte Satzglied muß möglichst weit ans Ende des Mittelfeldes bzw. in die rechte Satzklammer. Störendes muß eventuell ins Vorfeld. Das Vorfeld selbst kann ein Betonungsgegengewicht bilden.
Beispiel: Berühmt ist er durch Fingerhäkeln geworden. Vielleicht geht es auch gar nicht so sehr um die Betonung des Fingerhakelns, sondern um den Satzanschluß über das Wort berühmt, welches im vorausgehenden Satz bereits gefallen sein mag. Mich interessiert diese Frage hier nicht. Wichtig ist mir: Was alles kann überhaupt ins Vorfeld verfrachtet werden?
Grundsätzlich gilt, daß im Vorfeld nur ein Satzglied stehen kann (auch Konstituente genannt). Herr Ickler erläutert in seinem Kritischen Kommentar (2.Aufl., S.69) folgendes Beispiel: Durch den Spalt hindurch sickerte Wasser. Herr Ickler schreibt, daß es sich nicht um das Verbzusatzkonstruktion hindurchsickern handeln könne, da das Vorfeld sonst durch Verbzusatz (hindurch) und Präpositionalphrase (durch den Spalt) doppelt besetzt wäre. Es liege ein Adverbial durch den Spalt hindurch vor. Ich füge hinzu: Wenn hindurch nur Teil eines Adverbials ist, wird es nicht betont also nicht: Durch den Spalt hindurch sickerte Wasser.
Partikelverben können auch als ganzes im Vorfeld stehen (hinzukommen muß, daß ...); daraus folgere ich, daß die Partikel mit dem Verb zusammen eine Konstituente bildet. Das gilt auch für Phraseologismen: in Aussicht gestellt wurde ein Stipentium in Rom; groß geworden ist er im Ruhgebiet möglich ist vielleicht auch: mit zur Gießerei würde er ihn nur im Falle einer Aufwandsentschädigung nehmen; mitgehen lassen habe ich nur das erste der beiden Bücher.
Nun aber ein Einwand.
Eine Konstituente läßt sich nicht ohne weiteres auf zwei Felder des Satzbauschemas verteilen. Bei dem Satz schnell habe ich einen Brief geschrieben würde man das Wort schnell im Sinne von sofort interpretieren. ich habe den Brief schnell geschrieben kann aber heißen sofort geschrieben oder mit hoher Geschwindigkeit geschrieben. Das gleiche gilt für schnell geschrieben habe ich nur den ersten der beiden Briefe. Man wird im letzten und vorletzten Satz die Interpretation mit hoher Geschwindigkeit vorziehen. Das heißt: schnell hat in der verbindung schnell geschrieben einen anderen Status als in schnell habe ich geschrieben. Ich frage mich deshalb, ob die Vorfelder in hinzu kommt, daß ... oder auf geht die Sonne um ... tatsächlich von Verbzusätzen besetzt sind. Die phraseologische Verbindung scheint mir geknackt. (Übrigens halte ich auf geht die Sonne für stilistisch markiert. Enge Verbzusätze wie auf lassen sich wahrscheinlich nicht so leicht ins Vorfeld legen.) Noch etwas: Ich bin der Meinung, daß die beiden Kriterien der Betonung und der Nichtunterbrechbarkeit bloß Kriterien für phraseologische Verbindung sind. schnell in der Bedeutung sofort ist unterbrechbar, schnell im Sinne von mit großer Geschwindigkeit ist nicht unterbrechbar. Betone ich: er wird den Brief schnell schreiben, sage ich: er wird ihn sofort schreiben, betone ich aber: er wird den Brief schnell schreiben, sage ich: er wird ihn mit hoher Geschwindigkeit schreiben. schnell ist natürlich in keinem der Fälle Verbzusatz.
Das eigentliche Phänomen Verbzusatz und die Intuition, Verbzusätze zusammenzuschreiben, lassen sich grammatisch schwer fassen. Wie wir bereits von Herrn Ickler aufgeklärt wurden, werden im Deutschen von rechts nach links die Satzaussagen immer weiter eingegrenzt. Man könnte nun meinen, daß besonders die Aussagen, die am weitesten eingrenzen, diejenigen also, die weit links stehen, am stärksten betont werden. Das ist aber nicht so. Wir sagen das größte Ereignis. Liegen die Bestandteile weit genung auseinander, kann es eine Gegenbetonung geben: der graue Papagei. Wahrscheinlich entstehen Zusammensetzungen, wenn das näher bestimmende Element determinierend wird. Z.B. in der Art eines Kontrastakzents: der graue (!!!) Papagei. In der Zusammensetzung Graupapagei ist grau determinierend. Es gibt andere Fälle, erkennbar an der Betonung: Fünfmarkstück, Welthungerhilfe, Riesenschweinerei, Kohlenwasserstoff, Donaudampfschiffahrt, Königinmutter, Wiederaufrichtung, haarscharf, hochnotpeinlich, übernachten, durchdenken usw. Die Erstglieder haben sicher eine näher bestimmende, doch nicht determinierende Funktion. Vielleicht sind sie dadurch lockerer angeschlossen.
Interessanterweise können die Betonungen auch schwanken: zwei engbefreundete Frauen, die doch nur eng befreundet sind. Man kann sagen, es handele sich semantisch um das gleiche, genau wie bei wiederherstellen und stellen ... wieder her. Wenn man im ersten Fall Frauen als Grundwort betrachtet, stellt sich eine gewisse Analogie zu dem verbalen Gebilde ein. Vielleicht gibt es einen Grundsatz, daß die linksseitige Häufung von näher bestimmenden Elementen durch Zusammensetzung abgemildert wird.
Wie auch immer. Ich meine, daß die Zusammenschreibung von Verbzusätzen nur durch ihren determinierenden Charakter erklärt werden kann. Das starke Betonungsgefälle und die Nichtunterbrechbarkeit sind deshalb stärker ausgeprägt als bei den reinen Phraseologismen. Das kann nicht verwundern. Aber es ist ein gradueller Unterschied, vergleibar mit ein grauer (!!!) Papagei und Graupapagei. Das Verrückte ist, daß dieser Status der Verbzusätze verschwindet, wenn sie sich nicht in Kontaktstellung zum Verb befinden. Die Rede vom neuen Begriff erscheint mir dennoch am treffendsten.
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