Lieber Herr Lindenthal,
ich denke zwar, wir sollten mit der ganzen Sache so langsam einen neuen Faden eröffnen. Aber ich antworte jetzt trotzdem noch einmal hier.
verboten ·/· erlaubt
nicht erlaubt = verboten
Stimme ich zu. Allerdings dazu später.
nicht verboten = erlaubt
Stimme ich nicht zu.
Ich hatte mal die Sache mit dem Naturschutzgebiet angesprochen: Wenn man überall im Leben davon ausgeht, daß die obige Gleichung gilt, dann fällt man hier auf die Nase. Denn hier ist bis auf weiteres (= bis Genaueres diesbezüglich in Erfahrung gebracht worden ist, also bis quasi der Förster gefragt worden ist) alles verboten, was nicht erlaubt ist.
Also: Alles das, was nicht ausdrücklich erlaubt ist, ist als verboten anzusehen.
D.h.:
nicht erlaubt = verboten
Aber:
nicht verboten ≠ erlaubt
Wenn Sie jetzt das Gesetz suchen, das diesen Sachverhalt für Naturschutzgebiete expressis verbis vorschreibt, dann werden Sie es vermutlich nicht finden. Es handelt sich dann wohl eher um ein ungeschriebenes Gesetz, das allerdings wohl auch eine Grundlage in einem Gesetzestext hat.
Ich stimme Ihnen also auch darin zu, daß Verbote und Weisungen generell nur manchmal durch festgeschriebene Gesetze geregelt sind.
Ein Elternteil, ein Lehrer usw. kann natürlich auch verbieten, aber auch dazu später.
„Stimmen Sie mir weiterhin darin zu, daß junge Menschen nicht erst mit 18 mit Verboten...“ stimme Ihnen zu. (Gilt für den gesamten Absatz.)
„Stimmen Sie weiters darin zu, daß insbesondere die Verbote (z.B. „Du sollst nicht über den Rand schreiben“ oder „Du sollst nicht falsch rechnen“ oder „Du sollst Wörter nicht anders schreiben, als sie im Buch stehen“) mit roter Tinte, mit Zensuren und Versetzung oder Nichtversetzung durchgesetzt werden, daß demzufolge rote Tinte ein ebenso eingeführtes Lenkungsmittel ist wie Knöllchen und Bußgelder für Verkehrs- und Umweltsünder?“
Daß mit roter Tinte diese Verbote durchgesetzt werden, dem stimme ich zu.
Allem anderen stimme ich nicht zu.
Sie schreiben selber, „daß die Mehrzahl der Verbote und Erlaubnisse Feinregelungen sind, die nicht schriftlich geregelt sind“. Meines Wissens nach ist die Sache mit den Knöllchen und den Verkehrssünden aber sehr wohl schriftlich geregelt. Also ist die rote Tinte zwar ein Lenkungsmittel, aber eines anderer Art.
Schriftlich geregelt ist meines Wissens nach auch, daß ein Lehrer Zensuren gibt, die abhängig sind von den Fehlerzahlen – zumindest, soweit ich weiß, ich dies schriftlich geregelt bzw. es gibt eine schriftliche Regelung, die das impliziert. Aber ebenso meines Wissens nach hört es da schon auf: ein Lehrer schafft die Maßstäbe der Bewertung selbst. Für den einen sind Schmierereien in den Klausurheften schon Grund genug, die Note zu senken, dem anderen ist das vollkommen egal. Ich denke, es ist gerechtfertigt, hier von der Freiheit der Lehre zu sprechen.
Demzufolge behaupte ich also, daß Verbote (sie wurden erläutert), die in der Schule herrschen, nicht gleichzusetzen sind mit den Verboten, die beispielsweise im Straßenverkehr herrschen.
„Stimmen Sie mir weiter darin zu, daß das Nichtrotanstreichen von Wörtern bedeutet, daß sie erlaubt sind, daß Rotanstreichen und Fehler- und Meckergeben hingegen die Nichterlaubnis, also das Verbot einer solchen Wortnutzung bedeuten?“
Stimme ich so nicht zu. Denn was erlaubt und verboten ist, muß einem Kriterium zugrundeliegen, das ich aber schlechterdings im Bereich „Schule per se“ nicht genau definieren kann. Eben weil dem einen Lehrer ein dreimal durchgestrichenes Wort genügt, um Dreimaldurchstreichen nicht zu erlauben, also es zu verbieten, dem anderen Lehrer es aber vollkommen egal ist, ob ein Wort durchgestrichen, eingeklammert, eingeklammert und durchgestrichen, oder mittels Tintentod recht schmierig entfernt wurde.
Außerdem gilt ja anscheinend nicht verboten ≠ erlaubt.
(Wenn dem nicht so wäre, dann wäre das Prinzip, daß es generell unausgesprochene Gesetze gibt – z.B. auch so etwas, daß man einer Dame die Tür aufhält, daß man seinem Großvater selbstverständlich in den Mantel hilft usw. – nicht haltbar, ohne daß man direkt für sämtliche Bereiche des Lebens festgeschriebene Gesetze einführt.)
„Stimmen Sie mir zu, daß das Rotanstreichen z.B. der Wörter naheliegend, lahmlegen, kennenlernen, liebhaben ein Verbot ist? Daß also ein Lehrer die Macht hat, Wörter zu verbieten?“
Stimme dem ersten Teil zu. Aber was besagt er denn? Denn: dem zweiten Teil stimme ich nicht zu.
Ich überlege hier, ob es zulässig ist zu behaupten, daß „ein Lehrer die Macht hat, Wörter zu verbieten.“ Denn wenn diese Aussage generell Gültigkeit hätte, dann könnte man nicht sagen, welche Wörter verboten sind und welche nicht. Denn unterschiedliche Lehrer legen ihrer Bewertung unterschiedliche Kriterien zugrunde. Es gibt Lehrer, für die ist die Numerierungsart „1.)“ ein Fehler, weil sie zum Grundsatz gemacht haben „1. oder 1)“. Anderen ist das egal.
Für den einen Lehrer ist in einem bestimmten Kontext das Wort „Rüttelfalke“ verboten, in einem anderen ist es demselben Lehrer egal, also dort ist das Wort erlaubt. Das Wort selbst läßt sich wohl nachweisen, daran liegt es nicht.
Ihre Aussage kann also nur wirklich auf ihre Gültigkeit untersucht werden, wenn wir uns genauer betrachten, was das Wort verbieten in diesem Kontext überhaupt für eine Aussagekraft hat.
Habe ich recht?
Widerspruch ist sehr willkommen, ich beharre ja nicht auf der Richtigkeit meiner Überlegungen.
„Stimmen Sie mir darin zu, daß Sie bisher die tatsächlichen Wirkungsverhältnisse der Wörterverbote in den Schulen nicht richtig benannt haben, sondern aus Gründen, die mit Wahrheitsliebe nicht vereinbar sind, Verwirrung gestiftet haben?“
Ich stimme nicht zu.
Die Wirkungsverhältnisse habe ich nie bestritten. Vielleicht ist das nicht deutlich geworden, ich möchte es darum noch einmal betonen. Ob allerdings behauptet werden kann, daß diese Wirkungsverhältnisse auf Verboten beruhen, das habe ich bestritten. Denn ein Verbot ist nicht gleich ein Verbot: das Verbot eines Lehrers ist nicht gleichzusetzen mit dem Verbot, das in einem Gesetz festgeschrieben steht. Insofern sehe ich es als nicht gerechtfertigt an, pauschal von Wöterverboten zu sprechen.
Und Ihre Unterstellung empfinde ich persönlich als eine Frechheit, bei allem Respekt! Aber daraus möchte ich keinen Staatsakt machen.
Zusammenfassend: Ich kann natürlich sagen, daß ein Lehrer etwas verbieten kann. Ich kann auch davon sprechen, daß ein Elternteil etwas verbieten kann. Ich kann auch sagen, daß der Gesetzgeber etwas verbietet. Ich sage auch, daß es Verhaltensweisen gibt, die einem der Anstand verbietet. Das alles bewegt sich aber in unterschiedlichen Kategorien.
Wenn ich also sage, daß durch die RSR Wörter verboten werden, dann ist das zwar unter dem Gesichtspunkt richtig, daß ein Lehrer von nun an das Wort lahmlegen verbieten kann, aber dadurch ist es nicht pauschal verboten. Denn das Verbot eines Lehrers ist relativ. Und unter dem Gesichtspunkt, daß etwas als verboten anzusehen ist, weil es durch ein Gesetz als nicht erlaubt definiert wird, ist es nämlich nicht verboten.
Genaugenommen kann man also nicht von Wörterverboten sprechen. Ich muß erst einmal die Aspekte erläutern.
Denn es gilt zwar nicht erlaubt = verboten, genauso gilt allerdings auch unter einem anderen Aspekt nicht erlaubt ≠ verboten, wenn ich beispielsweise davon ausgehe, daß etwas nicht unbedingt explizit und de jure erlaubt sein muß, um als nicht verboten zu gelten. (Ich darf z.B. immer den linken Fuß nachziehen und theatralisch Grimassen schneiden, wenn ich am Bonner Rathaus vorbeigehe – biege ich dann in die nächste Straße rechts ab, lasse ich das sein. Das ist nirgends explizit erlaubt, aber verboten ist es dadurch ja auch nicht.)
Insofern noch einmal: Ich wehre mich dagegen, im Zuge der RSR pauschal von Wörterverboten zu sprechen. Denn wenn es diesbezüglich einmal hart auf hart käme, wenn man also „die Reformer“ mit dieser Aussage konfrontierte, dann wäre diese Aussage in einer nachfolgenden Auseinandersetzung nicht haltbar. Deshalb halte ich sie für kontraproduktiv.
Ich betone auch noch einmal, daß ich hier nicht verwirren möchte, schon gar nicht aus Gründen, die mit der Wahrheitsliebe nicht vereinbar sind, lieber Herr Lindenthal!
Ich habe auch deutlichgemacht, daß ich die RSR unter keinen Umständen hinnehme und es als höchst gefährlich erachte, was die Reformer nämlich de facto betreiben bzw. wozu ihnen die Möglichkeit gegeben wurde: nämlich zu indoktrinieren.
Ich möchte hier auch an George Orwells „1984“ erinnern: Es ist ja eigentlich nichts verboten...
Und wenn Sie, Herr Lindenthal, schon so schön auf die Wahrheit pochen, darauf, daß man sie nicht einfach ignorieren darf, darauf, daß man voll und ganz für das, was man sagt und schreibt, auch einstehen sollte – dann rennen Sie bei mir offene Türen ein. Und zwar mit einem Rammbock und wild um sich schießend. Ich verberge mich auch nicht hinter einem Decknamen – ich heiße wirklich David. Kann das beweisen. Und Sie können mir jederzeit eine Nachricht per Email schicken, ich bin hier nicht anonym. Daß ich meine Telefonnummer oder meinen Nachnamen in einem Internetforum nicht angebe – dem liegen gewisse Erfahrungswerte zugrunde. Akzeptieren Sie das bitte.
Ich möchte Ihnen mit dieser Passage nicht unrecht tun, aber ich habe etwas zwischen Ihren Zeilen gelesen, was ich als eine Anspielung mir gegenüber verstanden habe. Sollte ich mich darin irren, so tut mir das leid.
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