Journalistensprache: vorsätzlich verludert
Wann immer ich sprachliche Fehler in Zeitungsartikeln bemängele, höre ich:
"... aber man weiß ja, was gemeint ist!
Ich behaupte:
Wer bewußt und chronisch schlampig formuliert und sich darauf beruft, man verstünde die Aussagen ja doch, oder gar, korrekte Formulierungen seien unjournalistisch, da schwerer verständlich, hat einen Grund dazu.
Mögliche, einander nicht unbedingt ausschließende Gründe:
- Bequemlichkeit
- Denkfaulheit
- mangelnde sprachliche Fähigkeiten
- mangelndes logisches Verständnis
- Vermeidung einer genauen Festlegung
- Wunsch, sich herausreden zu können (das kann man auch anders lesen)
- Meinungsmache
- Nachrichtenfälschung bzw. Bereitung der Basis für unverdächtig auftretende Nachrichtenfälschung
Wer in einem Maße, wie das heute in Zeitungen und Zeitschriften üblich ist, unpräzis formuliert, bereitet den Boden für Abschaffung oder Wirkungslosmachung des Rechts auf Meinungsfreiheit (eine freie, nicht fremdgesteuerte Meinung bedarf bewertbarer Informationen)
Aktuelle Beispiele für journalistische Schluderei:
Sonntag aktuell, 6.3.05:
Wie ein Sprecher der Küstenwache mitteilte, konnte die Gefahr einer Ölpest durch 750 Tonnen Schweröl für Strände und Vogelreservate abgewendet werden.
Möglicherweise sollte Folgendes ausgesagt werden:
Durch 750 Tonnen Schweröl war die Gefahr einer Ölpest an Stränden und auch in Vogelreservaten entstanden. Ein Sprecher der Küstenwache teilte mit, daß diese Gefahr nicht mehr bestehe. Es kam zu keiner Ölpest.
Ausgesagt wurde jedoch:
Ein Sprecher der Küstenwache hat mitgeteilt, daß die Fähigkeit zur Vermeidung einer Gefahr bestanden habe. Diese Fähigkeit habe darauf beruht, 750 Tonnen Schweröl auf Strände und in Vogelreservate auszubringen. Es bleibt unsicher, ob dies auch geschehen ist, schließlich wurde ja nur das Können behauptet, nicht das Umsetzen dieses Könnens in die Tat.
Die Gefahr des Eintretens einer Ölpest kann natürlich auch durch das Eintreten des Ereignisses "Ölpest entfallen ...
Leonberger Kreiszeitung, 7.3.05:
Es sei während Fischers Besuch eigens eine Personalversammlung an der Botschaft in Kiew anberaumt worden(*), vor der schätzungsweise mehr als 2000 Ukrainer auf eine Visaerteilung warteten, damit der Minister die Missstände mit eigenen Augen sehen sollte
(in meiner handschriftlichen Notiz steht waren statt worden vielleicht habe ich falsch abgeschrieben)
Die LKZ behauptet also:
Es liegen Gerüchte vor, daß an der Botschaft in Kiew gut 2000 Ukrainer vor einer eigens anberaumten Personalversammlung an der Botschaft eigens zu dem Zweck auf eine Visaerteilung warteten, daß Minister Fischer die Missstände mit eigenen Augen sähe.
Eine skurrile Szenerie:
- Zweck der Beantragung von Visa war demgemäß nicht etwa der Wunsch, nach Deutschland einzureisen.
- Deshalb warteten die Ukrainer auch gar nicht erst vor dem zuständigen Botschaftsbüro, sondern ausgerechnet vor einer Personalversammlung.
- Was sich diese Ukrainer wohl davon versprochen haben mögen, Herrn Fischer in dieser Weise auf Mißstände aufmerksam zu machen?
- Woher wußten sie überhaupt von der Personalversammlung, und wer hatte ein Interesse, diese einzuberufen?
- Wie ist die Aussage zu erklären, sie hätten auf Visaerteilung gewartet?
- Niemand kann mir sagen, daß 2000 Ukrainer derart doof sind, sich so zu verhalten, wenn sie dafür nicht gut bezahlt werden doch wer hatte Interesse, dies zu tun?!
Derart närrische Gerüchte verbreitet sonst noch nichteinmal das örtliche Narrenblatt zur Faschingszeit!!
P.S.: es ist nicht ersichtlich, daß obige Zeitungszitate durch die Rehtschreibreform bedingt sind.
Umgekehrt könnte es jedoch sein:
Die verantwortlichen Redaktionen obiger und wohl auch weiterer Zeitungen befürworteten die Rechtschreibreform, weil dadurch so eine Menge an unaufgeräumt formulierten Aussagen entsteht, daß dadurch die Nichtbeherrschung der Sprache durch ihre Journalisten weniger auffällt.
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