Beruhigungspille von Dichter Detering
Bericht zur Lage der deutschen Sprache :
„Der Wortschatz ist umfangreich wie nie“
vom 25. Juli 2014 Aus der Redaktion des Flensburger Tageblatts
Heinrich Detering, Präsident der Akademie für Sprache und Dichtung, spricht im Interview über den ersten Bericht zur Lage der deutschen Sprache und über unbegründete Ängste vor dem Sprachverfall.
[Bild] Lyriker Heinrich Detering. Foto: sh:z
Über den Zustand der deutschen Sprache wird seit jeher viel diskutiert – und auch gestritten. Grund genug für die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung den ersten Bericht zur Lage der deutschen Sprache zu veröffentlichen. Der Literaturwissenschaftler und Autor Heinrich Detering spricht als Präsident der renommierten Akademie über die Ergebnisse des Berichts und über unbegründete Ängste vor dem Verfall der deutschen Sprache.
Herr Detering, die deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hat den ersten Bericht zur Lage der deutschen Sprache herausgegeben – das klingt wie ein medizinisches Dossier. Wie geht es dem Patienten denn?
Dieser Titel soll eher ein kleiner ironischer Verweis auf den Bericht zur Lage der Nation sein und kam in Zeiten zustande, als wegen der Debatte um die Rechtschreibreform eine allgemeine Panik herrschte, dass die deutsche Sprache vom Verfall bedroht ist.
Und, ist sie vom Verfall bedroht?
Nein. Ein Ziel des Berichts war es auch, erst einmal Ruhe und Sachlichkeit in die Debatte zurückzubringen. Und wir haben überraschende Ergebnisse erhalten. Zum Beispiel, dass gar nicht so viele Amerikanismen in die deutsche Sprache eingezogen sind, wie allgemein befürchtet. Das ist alles halb so schlimm. Es gibt also keinen Grund für Alarmismus, sondern Zuversicht in die starke Systemkraft der deutschen Sprache, deren Magen viel mehr verdauen kann, als man ihm zugetraut hat.
Wie war den Ihr subjektiver Eindruck, bevor Sie die Daten kannten?
Da ich in meinen eigenen Spracherfahrungen mitbekommen habe, wie viele Anglizismen, die uns aufgeregt haben, einfach sang- und klanglos wieder verschwunden sind, war ich schon immer skeptisch, ob dieser Pessimismus angebracht ist. Es gibt schließlich viele Beispiele, aus der Barockzeit, aus der Goethe-Zeit, aus dem 19. Jahrhundert, wie sprachliche Moden und sogenannte Überfremdungen kommen und wieder gehen.
Die Anglizismen sind ein sehr emotionales Thema, auch für Leser von Tageszeitungen und Magazinen. Ist der Einzug von ausländischen Begriffen ein natürlicher Prozess, den man zulassen sollte?
Das würde ich mit großer Entschiedenheit bejahen. Ich habe jüngst einen Essay des alten und weisen Siegfried Lenz gelesen, der sich mit der Sprachkritik des ehemaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann beschäftigt. Lenz hat ihn immer bewundert, aber Heinemann hat schon 1970 behauptet, dass die deutsche Sprache von Anglizismen überflutet werde und wir einen Wall dagegen aufschütten müssten.
Und Lenz will keinen Wall?
Lenz fragt zurecht: Warum denn? Die deutsche Sprache hat für neue Sachverhalte immer auch neue Ausdrücke übernommen. Selbst der hartnäckigste Verfechter einer Reinheit der deutschen Sprache würde doch auch Fenster sagen und nicht Windauge, obwohl das Wort fenestra eine Übernahme aus dem Lateinischen gewesen ist. Viele deutsche Wörter die wir für urdeutsch halten, sind Fremdwörter, deren Herkunft wir vergessen haben. Window kommt vom alten germanischen Wort, Windauge. Das gilt auch für so viele Ausdrücke aus der Popmusik, aus der Medienwelt, aus der Computersprache.
Gerade die Computersprache klingt mitunter wirklich furchtbar.
Aber auch da sieht man, dass die Sprachgemeinschaft viel klüger ist, als die Sprachkritiker meinen. Eine Zeit lang haben wir uns alle über das Wort downloaden aufgeregt. Was waren das für Debatten, auch in der Akademie. Inzwischen sagt das niemand mehr, man sagt herunterladen. Die deutsche Sprache hat eine Lehnübersetzung angefertigt. Ich sage bewusst die deutsche Sprache, denn es waren keine Akademie oder andere Institution, die das vorgeschrieben haben, es war einfach die Praxis des Sprachgebrauchs.
Wie kommt es zu solchen Veränderungen durch den Sprachgebrauch?
Solche Veränderungen folgen Regeln, die sich immer wieder beobachten lassen. Es ist charakteristisch, dass sich eine Sprachgemeinschaft eine Überflutung durch als fremd empfundene Begriffe gar nicht gefallen lässt.
Wer geht dabei voran? Sind das die Medien, die Schulen oder die Universitäten?
Nein, das ist die Gemeinschaft der Sprechenden. Unsere Wissenschaftler können diese Prozesse nachweisen, auch im täglichen Gebrauch von SMS-Nachrichten oder Emails.
Die SMS ist ein gutes Stichwort, es wird immer wieder beklagt, dass der Trend zur Verkürzung damit sehr gefördert wird. Verkümmert da ein wesentlicher Bereich der Kommunikation?
Ich würde sagen, im Allgemeinen regelt sich so etwas von selbst. In diesen Kurznachrichten zeigt sich viel mehr eine Fähigkeit zur Differenzierung zwischen verschiedenen Kommunikationssituationen. Das geht nicht konfliktfrei ab, ich will da nichts beschönigen. Es häufen sich Rechtschreibfehler und Rechtschreibnachlässigkeiten in anspruchsvollen Texten wie etwa Seminararbeiten an der Universität, denen man ansieht, dass sie aus dem täglichen Schreiben von Kurznachrichten erwachsen sind. Das sind Reibungsverluste, aber alles in allem haben die jungen Leute eine enorme Fähigkeit, zu unterscheiden, mit wem sie in welchem Medium und in welcher Situation kommunizieren. Die SMS-Welt hat ja auch eine große Kreativität freigesetzt.
Die deutsche Sprache wird also immer umfangreicher?
Da haben wir mit dem Sprachbericht zum ersten Mal einen handfesten Beweis: Der deutsche Wortschatz war noch nie so umfangreich wie heute. Das liegt nicht allein an der Zunahme von Fachvokabular, sondern auch an der Internationalisierung der Sprache. Und das sollte uns doch erstmal freuen, bevor wir immer gleich den Untergang des Abendlandes heraufbeschwören.
Gibt es eigentlich ein Wort, das Sie aus der Sprache tilgen würden, wenn Sie könnten?
Ja, unbedingt. Beinhalten, zum Beispiel, das ist ein entsetzliches Bürokratiewort. Man muss sich auf der Zunge zergehen lassen, wie hässlich dieses Wort ist, es wird vollkommen ersetzt durch enthalten oder umfassen. Außerdem lese ich da immer Bein halten.
shz 25.7.2014
Mein letztes häßliches Wort ist derzeit „Alleinstellungsmerkmal“.
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