Aufruf an den Bundespräsidenten
Die Bürgerinitiative „Wir gegen die Rechtschreibreform“ in Schleswig-Holstein hat sich in einem Aufruf an den Bundespräsidenten gewandt und ihn gebeten, mit seinem moralischen Gewicht gegen die Folgen der „Rechtschreibreform“ einzutreten. Deren Durchsetzung über den Hebel der Schulen sei ein Skandal in Kultur, Politik, Finanzwesen, Justiz und Demokratie. Vor allem müsse die Rechtschreibung, in der die Werke der großen deutschsprachigen Schriftsteller seit hundert und mehr Jahren allgemein verbreitet werden, auch an den Schulen wieder als richtig anerkannt werden. Unterzeichner des Aufrufs sind unter anderem der Schriftsteller Günter Kunert, die Germanisten Prof. Dr. Heinz-Günter Schmitz, Prof. Dr. Hubertus Menke, und der Vorsitzende des Elternvereins Schleswig-Holstein, Dr. Ulrich Kliegis.
20. Juni 2007
Bürgerinitiative „Wir gegen die Rechtschreibreform“
(Koordinator: Sigmar Salzburg)
Der Aufruf an den Bundespräsidenten im Wortlaut:
An den
Bundespräsidenten der
Bundesrepublik Deutschland
Herrn Dr. Horst Köhler
Schloß Bellevue
Spreeweg 1
10557 Berlin
Betr.: Reformen
Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
sehr geehrter Herr Dr. Köhler,
am Jahresende 2006 meldeten die Tageszeitungen:
Köhler: Bei Reformen nicht nachlassen.
Das griff Alexander Gauland im Rheinischen Merkur v. 18.1.2007 auf und verwies auf Ihr Ansehen, das Ihrer Forderung nach Reformen Gewicht verleiht, schrieb aber am Ende des Artikels:
„Kein Politiker, nicht Kohl, nicht Schröder oder Merkel, hat dem Reformbegriff mehr geschadet als die Betreiber der Rechtschreibreform. Hier fand statt, was Reformgegner überall vermuten: das sinnlose, hochmütige Beseitigen von Bewährtem ohne Not …“
Wir können nicht glauben, daß Sie mit „Reformen“ Betriebsamkeiten von einer derartigen Überflüssigkeit und Gemeinschädlichkeit gemeint haben könnten. Dennoch nehmen wir dies zum Anlaß, Sie noch einmal auf diesen unsäglichen Eingriff in die deutsche Schreibkultur hinzuweisen und Sie zu bitten, auch Ihren Einfluß geltend zu machen, um dieser sinnlosen Vernichtung des Bewährten Einhalt zu gebieten.
Die „Rechtschreibreform“ wurde nach überwiegender öffentlicher Einschätzung von den Kultusministern der Länder und ihren Zuarbeitern mit Dilettantismus, Traditions- und Demokratieverachtung betrieben, die ihresgleichen suchen.
Ihr Vorvorgänger, Bundespräsident Herzog, nannte diese Reform „überflüssig wie ein Kropf“. Dennoch hat sich der verschworene Haufen der Politiker von seinem Irrweg durch Protest und Volksentscheid nicht abbringen lassen – obwohl sich die Einsicht nach den Worten der KMK-Präsidentin von 2005, Johanna Wanka, durchgesetzt hatte:
„Die Kultusminister wissen längst, dass die Rechtschreibreform falsch war. Aus Gründen der Staatsräson ist sie nicht zurückgenommen worden.“ („Spiegel“1/06)
Wir kennen die Grenzen Ihrer Einflußmöglichkeit, meinen aber doch, daß Sie das moralische Gewicht Ihres Amtes in die Waagschale werfen sollten, um die deutsche Kultur von diesem „nationalen Unglück“ (Marcel Reich-Ranicki) zu entlasten.
Der Schriftsteller Günter Kunert, der durch die harte Schule der DDR-Unterdrückungen gegangen ist, hat die „Rechtschreibreform“ „eine irrwitzige Narretei“ genannt. Daher lassen Sie uns Ihnen noch einmal die wesentlichen Einwände wiederholen:
Die „Rechtschreibreform“ ist ein Kulturskandal.
Sie besteht grob aus zwei Teilen: der exhumierten ss-Regelung nach Heyse und einem Sammelsurium von weiteren Dummheiten. Die ss-Regel zerstört eine sechshundertjährige deutsche Tradition. Der Jugend entfremdet sie alle bisherigen klassischen und neueren Texte und erzwingt demnächst Eingriffe in die Werke der Großen der Gegenwart. Sie wirkt zugleich als Einbruchwerkzeug für den zweiten Reformteil, mit dem sprachliche Fehler, hergesuchte Falschmünzereien und Albernheiten der „Reform“ in die Texte geschleust werden. Das ursprüngliche Ziel des leichteren Schreibenlernens wurde dagegen grob verfehlt – wenn dies überhaupt jemals die Absicht der literaturfremden Hauptakteure war.
Die „Rechtschreibreform“ ist ein Politikskandal.
Kein deutsches Parlament hat jemals über die „Rechtschreibreform“ entschieden – außer unqualifiziert bei der Annullierung des Volksentscheids in Schleswig-Holstein, unter Mißachtung des Bundestagsbeschlusses „Die Sprache gehört dem Volk“ (26. 3. 1998). Der sinnlose Anschlag auf die Kontinuität der deutschen Schreibweisen wurde vorgetragen von einer Institution, der Kultusministerkonferenz, die im Grundgesetz überhaupt nicht vorgesehen ist und der niemand je eine Entscheidungs- oder überhaupt Initiativbefugnis hierzu ausgestellt hat.
Die „Rechtschreibreform“ ist ein Finanzskandal.
Keine Landesregierung hat jemals eine Kosten-Nutzen-Untersuchung vorgelegt. Die tatsächlichen Milliardenkosten, gerade in einer Masterarbeit an der Fachhochschule München nachgewiesen, werden versteckt der Allgemeinheit als „kostenneutral“ untergeschoben – für eine Maßnahme ohne volkswirtschaftlichen Nutzen und einer derartigen allgemeinen und kulturellen Schädlich-keit, daß von einer Verletzung des Amtseids der Verantwortlichen gesprochen werden müßte.
Die „Rechtschreibreform“ ist ein Justizskandal.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes v. 14. 7.1998 unter Vorsitz von Hans-Jürgen Papier (CSU) und der Präsidentin Jutta Limbach (SPD) war nicht unparteiisch: „Nicht nur die dürftige Argumentation, sondern auch die Umstände des Verfahrens zeigen, dass es dem BVerfG nicht um unbefangene Rechtsfindung, sondern darum ging, der KMK beizuspringen“ (Dr. Wolfgang Kopke, Mainz, in Neue Juristische Wochenzeitung 49/2005). Während hier in aller Eile ein Urteil erging, das die Landesregierungen als Freibrief für ihre Rechtschreibreform ausgeben konnten, werden die Eltern von Schülern – und nur sie können klagen, obwohl das ganze Volk betroffen ist – von den Gerichten jahrelang hingehalten.
Die „Rechtschreibreform“ ist ein Demokratieskandal.
Bundesweite Volksbegehren werden den Bürgern vorenthalten – und diejenigen der Länder gewähren keine Rechtsgleichheit und waren in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Bremen und Berlin begleitet von versuchten und vollendeten Tricks zur Verhinderung direkter Demokratie. Der Gipfel von Mißachtung der Demokratie war die Annullierung des Volksentscheids in Schleswig-Holstein durch den Landtag.
Daher bitten wir Sie: Setzen Sie sich dafür ein, daß auch die traditionelle Rechtschreibung, in der die Werke unserer großen Schriftsteller wie Thomas Mann, Hermann Hesse, Heinrich Böll oder Günter Grass u.a. abgefaßt sind, wieder an den Schulen anerkannt und gelehrt wird.
Zumindest dürfen die Schreibweisen der bewährten, klassischen Rechtschreibung an unseren Schulen nicht länger als „falsch“ diffamiert werden. Ein Wort von Ihnen hierzu würde sicher nicht ungehört bleiben.
Günter Kunert
Prof. Dr. Heinz-Günter Schmitz
Prof. Dr. Hubertus Menke
Dr. Horst P. Pütz
Dr. Walter T. Rix
Dr. Ulrich Kliegis
Anneliese Djalili
Ralf Joachimi
Sigmar Salzburg
Datum der Unterschriften bis 13.6.2007
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