Mehrdeutig oder nicht? [Mehrdeutigkeit ist kein hinreichendes Merkmal für Zusammenschreibung.]
Teil 17 – Heute: Getrennt, was zusammengehört [hier schimmert die DDR-Vorgehensweise durch]?
Es ist schon ein Kreuz mit der Getrennt- und Zusammenschreibung. Immer ein Stiefkind in der Rechtschreibung [nein], von niemandem geliebt [das stimmt nicht; meine Mutter hat sie mir einmal ordentlich erklärt, und dann war es auch für mich ein Vergnügen, in ihr sicher zu sein.]. Lange unbeachtet [stimmt ja gar nicht; ab ungefähr 1950 war hier sehr viel Ordnung und Sicherheit eingekehrt, ebenso wie bei der Kommasetzung] und plötzlich zeigen alle mit dem Finger auf sie. Tatsächlich sind die Fragen der Getrennt- und Zusammenschreibung nie [falsch] Bestandteil der offiziellen Regelungen gewesen. Sie spielten bei der Reform von 1901 [Rechtschreibung wurde auch zwischen 1901 und 1995 weiterentwickelt und von vielen verantwortungsvollen Schreibkräften, Schriftsetzern (Handwerkern) und Lektoren angewendet] – genau wie die Interpunktion – keine Rolle und fanden demzufolge auch keinen Eingang in die damaligen [was heißt „damaligen“? 1901??] Regelverzeichnisse der orthographischen Wörterbücher [stimmt nicht; die meisten Dudens, Wahrigs, Mackensens, Knaurs usw. sind nach 1901 herausgegeben worden und enthalten recht kenntnisreich und verantwortungsvoll zusammengestellte Rechtschreibregeln]. Alle Erläuterungen und Vorschriften, mit denen wir es heute zu tun haben, sind nach und nach von der Dudenredaktion formuliert und in das Regelwerk eingefügt worden [eben]. Es wurde immer wieder ergänzt, zurückgenommen [stimmt nicht], umformuliert, variiert und an den allgemeinen Sprachgebrauch angepasst.
Die „Erfinder“ der Reform standen also vor der Herausforderung, Licht in das Regeldickicht zu bringen [ein Regeldickicht gab es nicht]. Sie mussten [?? Wer zwang sie dazu?] sich alle bisherigen Anordnungen zu diesem Thema anschauen, sie „regel-recht“ ausmisten und ganz neu strukturieren. Die nächste Aufgabe bestand darin, alle zusammengesetzten Wörter und Wortgruppen, die im Wörterverzeichnis auftauchen, zu überprüfen [und Wörterverbote auszusprechen, was zuvor nicht mal Hitler, Ulbricht und Honecker gewagt hatten]. Die Einzelschreibungen sollten mit den allgemeinen Regeln ja möglichst exakt übereinstimmen. Für den Schreibenden ist jede Ausnahme eine Ausnahme zuviel. Für den Lesenden ist es wichtig, schnell und eindeutig den Sinn eines Wortes oder Satzes zu erfassen. Und daraus resultieren eine Menge Probleme. Ein Beispiel: Vor lauter Arbeit hatte sie das Gefühl, nur noch kopfzustehen. Das ist eine Schreibweise, wie sie der (gegenwärtige) Leser erwartet, weil er von einer übertragenen Bedeutung des Wortes kopfstehen ausgeht. Für den Schreibenden sieht das ganz anders aus [Hä? Wieso anders? Ich habe bei meiner Mutter und in der Schule das folgendermaßen gelernt: Ich schreibe so, wie ich es erreichen will, daß der Leser das lesen und verstehen kann.]. Für ihn handelt es sich zunächst um zwei Worte: das Substantiv Kopf und das Verb stehen [autsch ... und Haus und Tür, deshalb schreibe ich Haus Tür statt Haustür????]. Was läge da näher, als Kopf stehen zu schreiben? Ein anderes Beispiel: Nach der alten Rechtschreibung ist man auf dem Stuhl sitzen geblieben, in der Schule dagegen sitzengeblieben. Im Bett aber musste man liegenbleiben, während man mit dem Vorhaben, endlich richtig schreiben zu lernen, baden ging. Warum konnte man bisher zwar Auto fahren, aber nicht Rad [klar hieß es schon immer: Sie fuhr Rad]. (Sie kann gut Auto fahren, aber nicht radfahren.)? [Dies ist ein wunderschönes und lehrreiches Beispiel, das uns zeigt, wo die Grenze verläuft: Beim Radfahren oder Staubsaugen steht die Tätigkeit im Vordergrund, wenn es heißt: Sie darf Auto fahren und Bus fahren, dann stehen die brummenden Fahrzeuge im Blickpunkt.] Verstehen Sie das? Ich nicht. [Liebe Frau Dr. Hilliger, dann sollten Sie vielleicht besser darauf verzichten, sich mit solchen Dingen zu befassen, die ein gewisses Maß an denkerischer und handwerklicher Sorgfalt und eine gewisse Aufrichtigkeit erfordern; geben Sie Ihren Doktortitel zurück und kümmern Sie sich um werdende Mütter und um Kinder im Vorschulalter.]
Besonders in Fällen, bei denen eine Mehrdeutigkeit gegeben ist oder Bedeutungen übertragen [hä?] werden, gibt es viele nachträgliche Korrekturen des Reformwerkes [aha]. Nicht immer machen diese Korrekturen die Rechtschreibung einfacher – im Gegenteil: Oft ist die Zahl der Ausnahmen größer als vorher [hört, hört!]. Und es ist schon bezeichnend, dass der neu eingesetzte Rat für Rechtschreibung in seinen Nachbesserungen allein zehn Seiten der Getrennt- und Zusammenschreibungen widmet, während die anderen Teilbereiche mit drei bis vier oder noch weniger Seiten auskommen. Für das eben genannte Beispiel bedeutet das, dass die reformierte Schreibung Kopf stehen wieder zurückgenommen wurde. Liegt also eine übertragene Bedeutung vor, heißt es kopfstehen. In anderen Fällen wiederum erhält der Schreibende die freie Entscheidung. Es ist in Zukunft egal, ob Sie einen neuen Freund kennenlernen oder kennen lernen. Das ist durchaus ein bisschen schade, denn der Leitgedanke der Reformväter war Vereinfachung und Stärkung der Systematik. Mit Variantenschreibungen erreicht man das nicht. [hört, hört!]. Versuchen wir also in den nächsten Folgen uns der Frage zu nähern, warum wir „getrennt schreiben“ getrennt schreiben, „zusammenschreiben“ aber zusammenschreiben.
Sabine Hilliger
Auflösung Teil 16: der blaue Brief, der Blaue Planet, die innere Medizin, der Erste Mai [aber: der erste April], der italienische Salat, das Blaue Wunder (eine Brücke in Dresden), das blaue Wunder (wie in: Er wird gleich sein blaues Wunder erleben.), die große Angst, der Große Wagen (wenn das Sternbild gemeint ist), die Heilige Stadt (Jerusalem), die heilige Stadt (für jede andere heilige Stadt), die neue deutsche Rechtschreibung, die Gemeine Stubenfliege (als Art), die gemeine Stubenfliege (die dem tapferen Schneiderlein das Pflaumenmus wegfuttert), die höhere Mathematik. Lieber Freund, ich schreibe Dir (auch dir) diesen Brief und schicke Dir (auch dir) Eure (auch eure) Bilder. Ich grüße Sie herzlich und wünsche Ihnen alles Gute.
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Auch mancher Akademiker in unseren eigenen Reihen verkennt ein überaus wertvolles Merkmal unserer Sprache: Jedes Kind weiß, daß Handschuh und Haustür eigene Wörter sind und beim Sprechen als 1 Wort verstanden werden. Dies hernach auf das Schreiben zu übertragen, ist kinderleicht. Unlernbar hingegen ist es, wenn ein Kind sich merken soll, daß es die Wörter zuviel, wieviel, lahmlegen, kennenlernen und allgemeinverständlich bei Rotstiftstrafe nicht benutzen darf.
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Detlef Lindenthal
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