Zeitzeugen von der Uni
Krux mit dem Volkswillen
Nachdem die SPD die Wahlen in Schleswig-Holstein nach der „Schubladen-Affäre gewonnen hatte, baute sie die direkte Demokratie durch eine Verfassungsänderung aus. Doch nachdem der erste Volksentscheid in Schleswig-Holstein am 27. September 1998 von einer Bürgerinitiative gewonnen worden war, bezeichnete die damalige Kultusministerin Gisela Böhrk (SPD) den Ausgang öffentlich als „böse und „nicht gerecht. Die Landtagsabgeordnete Sabine Schröder (SPD) sprach in einer Pressemitteilung vom 8. Oktober 1998 davon, „daß das Ergebnis vom 27. September dem von der SPD verfochtenen Gedanken der direkten Demokratie nicht genützt, sondern geschadet hat. Laut Kieler Nachrichten wollen SPD und Grüne jetzt das Volksabstimmungsgesetz ändern, weil der Volksentscheid, der eine hohe Wahlbeteiligung erfordert, nur durch die Koppelung mit der Bundestagswahl erfolgreich gewesen sei.
Gisela Böhrk führte die neue Rechtschreibung in den Schulen per Erlaß schon im November 1996 ein, obwohl die Wiener Absichtserklärung von Deutschland, Österreich und Schweiz dies erst ab August 1998 vorsah. Sie wollte die gerichtliche Klärung der Klagen von Eltern und Schülern nicht abwarten. Entgegen den Behauptungen der Landesregierung nahm das Bundesverfassungsgericht zur „Rechtschreibreform inhaltlich nicht Stellung, sondern stufte nur die Einführung per Erlaß (anstelle eines Gesetzes) als zulässig ein.
Die widersprüchliche und halbherzige, von allen namhaften Schriftstellern abgelehnte „Reform führte im Dezember 1996 zu der Bürgerinitiative „Wir gegen die Rechtschreibreform. In 1 ¾ Jahren schafften sie es, die zwei Hürden zum Volksentscheid zu nehmen. Für den ersten Schritt kamen mit 60.000 Stimmen weit mehr als die 20.000 notwendigen für eine Initiative zusammen. Für das Volksbegehren unterschrieben 300.000 Bürger, wobei 70.000 aus formalistischen Gründen nicht anerkannt wurden, weil z. B. ein Plöner in Kiel unterschrieb. Obwohl die Volksinitiative die Abstimmung schon im Januar 1997 beantragt hatte, wurde die Entscheidung im Landtag bis August verschleppt. Ferner versuchte die Landesregierung einen extra Abstimmungstermin durchzusetzen, obwohl dieses mehr gekostet hätte. Nur die CDU war dafür, das Volk selbst entscheiden zu lassen, wie schon beim Volksbegehren für den Buß- und Bettag.
Anstatt die Bürger nur über den Antrag der Volksinitiative abstimmen zu lassen, fügte die Staatskanzlei zwei weitere Vorschläge hinzu. Der Stimmzettel wurde dadurch so mißverständlich, daß der Landeswahlleiter neun Tage vor der Wahl diesen der Öffentlichkeit zu erklären versuchte. Viele Bürger, vor allem frühe Briefwähler erreichte dies nicht, einige fühlten sich hinters Licht geführt.
Nach der Abstimmungsniederlage beruft sich das Kultusministerium auf die Interessen der Kinder, denen die neue Rechtschreibung schon beigebracht wird, obwohl man diese voreilig eingeführt hatte. Ferner wird die Gefahr einer Insellösung suggeriert, obwohl sieben weitere Bundesländer auf dem Weg zum Volksentscheid sind. Laut werden die Kosten für die wenigen schon neu angeschafften Schulbücher beklagt, obwohl eine vollständige Einführung der „Rechtschreibreform wesentlich mehr kosten würde (Umstellung aller Bücher, Zeitungen, Gesetze). Entgegen dem Bürgervotum legt die Landesregierung bei der Kultusministerkonferenz KMK kein Veto ein und setzt sich somit bundesweit weiterhin für die „Rechtschreibreform ein.
Da sich die Politiker jetzt schon streiten, wie lange sie an den Volksentscheid gebunden sind, ist zu befürchten, daß Böhrks Rechtschreibreform in wenigen Jahren doch noch durch die Hintertür per Erlaß eingeführt wird.
(Ruben Kürzdörfer, Jörn Fischera )
http://www.uni-kiel.de/folium/folium24/rechtschreib.htm
Datum kurz nach dem Volksentscheid
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