Rechtzeitige Warnung
DIE ANDERE MEINUNG
Wenn Reformen zum Rohrkrepierer werden
Von HORST HAIDER MUNSKE
Die neue, im März 1997 begründete Kommission für die deutsche Rechtschreibung hat „Vorschläge zur Präzisierung und Weiterentwicklung aufgrund der kritischen Stellungnahmen zur Neuregelung der Rechtschreibung vorgelegt. Sie sollen Grundlage einer kurzfristig anberaumten Anhörung von etwa 30 Verbänden sein und die Entscheidung der Kultusminister vorbereiten. Was die Kommission „Präzisierung, „Weiterentwicklung, „Erläuterung oder „Kommentar nennt, ist in Wahrheit ein Schritt zurück zur geltenden Rechtschreibung. Neben den am heftigsten kritisierten und belachten Neuschreibungen sollen künftig die alten Schreibungen weitergelten. Die Kommission behält sich allerdings vor, nach einiger Zeit zu entscheiden, welche Varianten sich durchgesetzt hätten. Damit macht sie sich die Forderung ihrer Auftraggeber zu eigen, das neue Regelwerk sowenig wie möglich zu ändern. Kein Wunder, denn die meisten Mitglieder der neuen Kommission waren an der Ausarbeitung der Neuregelung beteiligt. Nun richten sie in eigener Sache über ihre Kritiker und finden die meisten Einwendungen unbegründet oder gar nicht der Rede wert. Der Druck der öffentlichen und wissenschaftlichen Kritik veranlaßt sie jedoch in wesentlichen Bereichen zum Rückzug, auch wenn sie das in Kommentaren verstecken. Da sie zu ihren neuen Vorschlägen kein entsprechend geändertes Wörterverzeichnis vorlegt, bleibt es für den Laien im dunkeln, wieviel sich tatsächlich ändert. Wahrscheinlich weiß es die Kommission selber nicht, da entsprechende Untersuchungen mangels Geld und Zeit unterbleiben. Doch läßt sich schätzen, daß zu den schon vorhandenen zahlreichen Varianten wie zum Beispiel Standingovations/Standing Ovations etwa 500 bis 1000 neue allein in der Fremdwortschreibung und der Getrennt- und Zusammenschreibung hinzukommen. Solche Varianten, die allein durch das verbiesterte Festhalten an den kritisierten Regeln zustande kommen, zerstören die Einheitlichkeit und die Lehrbarkeit der deutschen Rechtschreibung. Auch die Wörterbuchverlage werden nicht umhinkommen, diesen Variantenwust aufzunehmen. Mag die Kommission noch so sehr beteuern, die Wörterbücher behielten ihre Gültigkeit. Wer wird sie kaufen, wenn sie nicht alle erlaubten Schreibungen enthalten? Keine Zeitung, kein Verlag kann es sich leisten, daß der eine Autor so, der andere anders schreibt. Sie werden gezwungen, Hausorthographien zu entwickeln, sofern sie nicht einfach bei der vertrauten Rechtschreibung bleiben. Auch die Schulen werden eindeutige Entscheidungen verlangen. Damit sind wir wieder beim Stand des 19. Jahrhunderts, als Duden seine erfolgreiche Arbeit begann.
Dies alles dient dem Zweck, einer Ideologie des Vereinfachens für Schüler und sogenannte „Wenigschreiber zum Durchbruch zu verhelfen. Nicht gefragt wurden die Träger deutscher Schriftkultur, die Journalisten und Schriftsteller, Wissenschaftler, Juristen, Verleger. Mit dem Trojanischen Pferd der Verordnung für die Schule soll ihnen eine Rechtschreibung aufgezwungen werden, nach der keiner verlangt hat und die die allermeisten ablehnen.
Die nun vorgelegten Vorschläge sind ein hilfloser Versuch, vieles, was die Kritik empört hat, zu ändern, ohne viel zu ändern. Denn das Regelwerk soll mit all seinen Unzulänglichkeiten, seinen sprachplanerischen Einschnitten in die Rechtschreibung, seinem schwerverständlichen Regelungschinesisch bei wenigen Retuschen bleiben, wie es ist. Als unverzichtbarer Begleiter dient jetzt der Kommentar, in dem allerdings die Zeichensetzung noch fehlt. Das will die Kommission im Mai erörtern. Dann sollen die deutschen Kultusminister bereits ihre erneute Zustimmung erteilt haben, auf eine passable Kommaregelung kann man nicht mehr hoffen. Doch dazu dürfte es gar nicht kommen. Diese Vorschläge der Kommission sind ein Rohrkrepierer. Die Kommission hat ihre wichtigste Aufgabe, „auf die Wahrung einer einheitlichen Rechtschreibung . im deutschen Sprachraum hinzuwirken (Artikel III der Wiener Erklärung), grob verletzt.
Um weiteren Schaden abzuwenden, müssen die Verordnungen zur Einführung der Rechtschreibung in den Schulen storniert werden. Dann kann man in einem Kreis, dem vor allem Vertreter der .schreibenden Berufe angehören, beginnen, eine konsensfähige Darstellung der deutschen Orthographie zu finden. Anders ist der Rechtschreibfriede nicht wiederherzustellen.
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Der Erlanger Sprachwissenschaftler Professor Horst Haider Munske verließ im Herbst aus Protest die Rechtschreibkommission
DIE WELT 20.1.1998
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