Warum nicht gleich Scriptio continua?
Die englische Sprache schafft das Komma ab
Von Matthias Heine Matthias Heine
Das Komma hat global schon mal bessere Zeiten gesehen. Seit Jahren schwindet die Zahl der Kommata in deutschen Texten. Der Autor dieser Zeilen hat noch gelernt, dass zwei mit und verbundene Hauptsätze durch ein Komma getrennt werden und dass ein erweiterter Infinitiv mit zu immer durch ein Komma abgetrennt wird. Die Rechtschreibreform hat beide Regeln aufgeweicht, das Komma ist jetzt optional, das heißt, es kann gesetzt werden, muss aber nicht. Das hat dazu geführt, dass es in deutschen Texten heute weniger Kommata gibt als früher.
Das ist aber nur eine harmlose quantitative Änderung im Vergleich zu dem, was dem Komma im Englischen möglicherweise in nicht allzu ferner Zeit droht. Ein amerikanischer Star-Linguist (ja, so etwas gibt es in den USA) hat jetzt darüber nachgedacht, ob das Komma nicht bald ganz aus dem Englischen verschwinden könnte, wo es ohnehin seltener benutzt wird als im Deutschen. John McWhorter, Professor an der New Yorker Columbia-Universität, glaubt, da Internetnutzer und sogar Schriftsteller die Regeln der Satzzeichensetzung zunehmend ignorierten, könnte die Zeit für das Komma abgelaufen sein. Der Professor sieht das gelassen. ...
Das Englische ist – genau wie das Deutsche – tatsächlich die längste Zeit seiner Geschichte ohne Kommata ausgekommen. Erfunden wurden sie von dem venezianischen Typografen Aldus Manutius (1449–1515), einem wahren Revolutionär der Druckkunst, der auch die Antiqua-Schrift und die Kursivschreibung einführte und als Erster regelmäßig Punkte am Satzende setzen ließ. Manutius' Komma war eine Weiterentwicklung der Virgel, eines Schrägstrichs, mit dem vom frühen Humanismus bis in die Barockzeit Texte gegliedert wurden, um ihre Lesbarkeit zu erhöhen. Im Deutschen existierte die Virgel etwa bis zum 18. Jahrhundert. Der Kölner Professor Hartmut Günter hat bei einem Vergleich von Luther-Bibel-Texten aus der Zeit von 1522 bis 1961 festgestellt, dass die Virgel mit der Ausgabe von 1736 verschwindet und durch das Komma ersetzt wird. Nun könnte es ihm auch an den Kragen gehen...
Im Englischen ist diese Tendenz schon weiter fortgeschritten... Wenn Horobin und McWhorter recht haben, gibt es keinen Grund, anzunehmen, dass ähnliche Tendenzen zur Komma-Eliminierung sich langfristig nicht auch im Deutschen bemerkbar machen werden.
welt.de 12.2.2014
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