Nach Gisela Böhrk die geschicktere Liquidatorin
Die Mutter der Gemeinschaftsschule hat die Bildungslandschaft in Schleswig-Holstein maßgeblich mitgestaltet
Erdsiek-Rave: Endlich ohne Druck
Von Uta Wilke
[...] Sie ist wieder ganz die Alte. Wenn Ute Erdsiek-Rave Anekdoten aus ihrem politischen Leben erzählt, spielt wie früher ein spöttisches Lächeln um ihre Mundwinkel. Sie ist offenbar im Reinen mit sich, mit dem Erreichten zufrieden – trotz des bitteren Endes ihrer Karriere. „Das war sicher das Negativste in meiner Amtszeit“, stellt sie nüchtern fest.
Als der Landtag im Hochsommer 2009 zu einer Sondersitzung zusammenkommt, spielen sich dramatische Szenen ab. Ministerpräsident Peter Harry Carstensen stellt die Vertrauensfrage, die Entlassung der vier SPD-Minister steht unmittelbar bevor, die Große Koalition ist zerbrochen. Im Foyer machen die Sozialdemokraten ihrem Ärger Luft. Mitten im Getümmel: die Bildungsministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin. In der Regel wirkt sie etwas distanziert, jetzt ist sie völlig aufgelöst. „Er setzt sich ins Unrecht. Er ist nicht mehr Herr des Verfahrens. Er lässt sich dermaßen von den eigenen Leuten unter Druck setzen“, klagt die Sozialdemokratin über Carstensen, mit dem sie – trotz aller Querelen zwischen CDU und SPD – vier Jahre lang so gut zusammengearbeitet hat. Sie verspüre eine „tiefe menschliche Enttäuschung“.
Diese Enttäuschung rührt wohl auch daher, dass Erdsiek-Rave selbst im schwarz-roten Bündnis immer auf ein faires Miteinander gesetzt hat. Wo SPD-Fraktionschef Ralf Stegner polarisiert und attackiert, sucht sie den Ausgleich. „Ich halte eine Große Koalition nicht für das Nonplusultra“, sagt die 68-Jährige rückblickend. „Aber wenn man sie eingeht, kann man sie nicht ständig in Frage stellen.“ Im Landeshaus weiß jeder um die tiefe Abneigung, die sie und ihren Ex-Staatssekretär Stegner schon seit Langem verbindet. Heute sagt sie nur soviel zu dem Thema: „Wir haben nach wie vor ein Unverhältnis.“
Mit dem Ende der Großen Koalition wird der Schlussstrich unter eine lange politische Karriere der ehemaligen Lehrerin gezogen: seit 1987 Landtagsabgeordnete aus Rendsburg-Eckernförde, von 1992 bis 1996 Landtagspräsidentin, von 1996 bis 1998 SPD-Fraktionschefin. Dann bekommt Erdsiek-Rave ihren Traumjob, in dem sie – erst unter Heide Simonis, dann eben unter Carstensen – elf Jahre die Bildungslandschaft im Land maßgeblich mitgestaltet.
Ausgerechnet Schwarz-Rot, nicht etwa Rot-Grün gilt als ihre erfolgreichste Zeit. Die Sozialdemokraten setzen 2005 in den Koalitionsverhandlungen ihr bisher größtes Reformvorhaben durch: die Gemeinschaftsschule, die in den kommenden Monaten das Regierungsbündnis immer wieder vor die Zerreißprobe stellen wird.
Das längere gemeinsame Lernen – und die Inklusion – sind für Erdsiek-Rave eine Herzensangelegenheit. Heute ist die Gemeinschaftsschule etabliert. Damals scheint es eine tollkühne Idee der SPD-Oberen zu sein, damit in den Wahlkampf zu ziehen. Noch mehr verwundert 2005 viele die Entschlossenheit der sonst so vorsichtigen Bildungsministerin. Sie selbst sagt dazu: „Wir hatten in Umfragen eine Mehrheit für das längere gemeinsame Lernen. Und es war offensichtlich, dass die Hauptschule – trotz aller Bemühungen, sie zu stärken – auslaufen würde.“...
Erdsiek-Rave ist ihren Themen auch im Ruhestand treu geblieben. Sie leitet das Netzwerk Bildung der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung* und ist Vorsitzende des Expertenkreises „Inklusive Bildung“ der deutschen Unesco-Kommission. „Bei der Inklusion geht es nicht allein um Kinder mit Behinderungen, sondern um ein Gegenbild zu einer Gesellschaft, die immer weiter auseinanderfällt “ ...
kn-online.de 23.3.2015
Als das Negativste ihres Wirkens gilt Kulturbewußten jedoch, daß sie als Bildungsministerin die Liquidierung des Volksentscheids gegen die Rechtschreib„reform“ 1999 mit betrieben hat und 2006 deren Überarbeitung kurzerhand abbrach, nachdem sie die Präsidentschaft der KMK übernommen hatte.
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