Felicitas Kukuck
Bei der Verwandtensuche in Hamburg-Blankenese stieß ich nebenbei auch auf die Komponistin Felicitas Kukuck (1914 – 2001). Ihr Name ist mir seit meiner Kindheit geläufig. Für das Streichquartett einer Kollegin hat sie sogar ein Werk verfaßt. Im Netz ist eine kurze Lebensbeschreibung zu finden, die sie 1989 begonnen hat und die bis 1949 reicht. Wohlmeinende haben den Text in die Reformschreibung von 2006 übersetzt, damit er auch für die jüngere Generation lesbar ist. Schon ihre Eingangszeilen lassen ahnen, daß ihr Leben im Dritten Reich nicht einfach war:
Autobiographie
in Form eines Tagebuchs ab 17. April 1989
17.4.89
Seit langem plane ich eine Autobiographie zu schreiben.
Felicitas Kukuck, geborene Cohnheim, 2. November 1914, in Hamburg.
...
Ich war froh, als ich mein Abitur in der Tasche hatte, und wollte nun auf die Hochschule für Musikerziehung und Kirchenmusik in Berlin gehen, um Schulmusikerin zu werden. Das ging nicht! Ich hätte meine arische Abstammung bis zum Jahr 1800 nachweisen müssen. Für mich kam Auswanderung nicht infrage. Ich wollte in Deutschland bleiben, im Lande Bachs und Mozarts und Brahms und Schuberts. Was blieb übrig?! Ich gab den Plan, Schulmusikerin zu werden, wie es mir seit den erfreulichen Erfahrungen als Schülerin der Lichtwarckschule vorgeschwebt hatte, auf und machte statt dessen im Herbst 1935 die Aufnahmeprüfung für das Hauptfach Klavier an der Musikhochschule in Berlin, Fasanenstraße.
Nach einem Jahr fleißigen Übens bestand ich 1936 die Privatmusiklehrerprüfung und bekam gleichzeitig Unterrichtsverbot. Aber ich blieb Studentin der Musikhochschule – jetzt mit dem Hauptfach Querflöte. Noch während meiner beiden letzten Schuljahre hatte ich dieses schöne Instrument spielen gelernt, so dass ich ohne Aufnahmeprüfung bei Gustav Scheck Flöte studieren konnte. Gleichzeitig schickte mich mein Lehrer für Harmonielehre, dem ich ein paar meiner Kompositionen gezeigt hatte, zu Hindemith in seine Kompositionsklasse. Dies war für mich die entscheidende Wende meines Lebens als zukünftige Komponistin. Überhaupt stand zeitlebens ein Glückstern über mir. Hindemith war ein großartiger Lehrer.
[So verschieden sind die Meinungen: „Hindemith war ja ein wirklich großer Meister, das wissen wir alle, aber er war ein furchtbarer Lehrer. Es ist da nicht[s] heraus gekommen, weil er die Leute an sich gebunden hat...“( Komponist Gottfried von Einem lt. Wikipedia, „s“ ergänzt 4.1.14)]
... Hindemith schrieb damals gerade seine „Unterweisung im Tonsatz“ und ich hatte den Eindruck, dass er äußerst engagiert war mit der Niederlegung seiner Erfahrungen als Komponist und Lehrer der Komposition. Er war ein glücklicher Mensch, sprühend lebendig und fröhlich, aber immer wachsam und kritisch, ganz so, wie ein Schaffender als Lehrer sein muss...
[Am 28.12. ist übrigens Hindemiths 50. Todestag.]
11.5.89
Am 30. Juni 1939 bestand ich meine künstlerische Reifeprüfung mit „gut“. Ich spielte Präludium und Fuge c-moll von Bach, die Klaviersonate as-dur op. 110 von Beethoven und die zweite Klaviersonate * von Paul Hindemith, die gerade bei Schott erschienen war, ein wunderbares Stück – besonders der 2. Satz. Mein Klavierlehrer: Prof. Rudolf Schmidt, ein Parteigenosse mit Hakenkreuz-Abzeichen am Revers, das er immer trug, hatte mir zunächst abgeraten, die Hindemith-Sonate zu spielen, weil er befürchtete, dass ich Schwierigkeiten bekommen könne von Seiten des Hochschulkollegiums, die meine Fähigkeiten ja beurteilen sollten.
Hindemiths Musik galt damals bereits als „entartete Kunst“ und wurde in Deutschland nicht mehr aufgeführt. Ich habe meinem Klavierlehrer, der es gewiss gut mit mir meinte und mich beschützen wollte, einen Brief geschrieben und ihm auseinandergesetzt, dass und warum ich die Hindemith-Sonate trotz seines Vetos spielen wolle. Ich sei seine Schülerin gewesen und verdanke ihm unendlich viel und was könne mir denn passieren, oder gar ihm, der ja bereits 1938 ausgewandert sei. Ich wolle meiner Verehrung für ihn auch Ausdruck verleihen, das würde doch gewiss dem Kollegium einleuchten. So etwa hatte ich argumentiert. Als ich wieder zum Klavierunterricht kam, war das erste, was Prof. Schmidt sagte: Ihr Brief hat mich überzeugt, Sie spielen die Hindemith-Sonate. Und so war’s denn auch. Ich habe alle drei Stücke, ohne dass ich unterbrochen wurde, vorgespielt, und das Kollegium war sehr zufrieden mit mir...
... jeder Berliner wusste, dass es für einen jüdischen Menschen lebensgefährlich gewesen wäre, ohne den Judenstern auf die Straße zu gehen, denn wenn er einem Bekannten begegnet wäre – ob Jude oder nicht – riskierte er, angezeigt zu werden; und das wäre ein sicherer Tod gewesen... Im nachhinein kommt mir das Ganze wie ein Wunder vor, oder besser gesagt, unser Schutzengel hat uns behütet, ...
http://www.felicitaskukuck.de/Autobiographie_FKukuck.pdf
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