„Das Leben der Bienen“ (2)
Maurice Maeterlinck, belgischer Dichter und Schriftsteller des Symbolismus, Schöpfer der Dichtung „Pelleas und Melisande“, von Debussy als Oper komponiert, Literatur-Nobelpreisträger von 1911, war auch ein hingebungsvoller Bienenzüchter. 1901 erschien sein Werk „Das Leben der Bienen“, das heute noch von Imkern und Wissenschaftlern (Lars Chittka) bewundert wird. Nur die späteren Erkenntnisse Karl von Frischs fehlen noch.
Ich habe mir jetzt ein Exemplar von 1906 besorgt – ein poetisch-philosophischer und zugleich wissenschaftlicher Text, ca. 250 Seiten in Antiqua. Die Rechtschreibung ist eine Überraschung: Übersetzer (F. von Oppeln-Bronikowski) und Verlag (Diederich) verwenden noch die ß-losen, dudenfreien Schreibweisen vor 1900, wie sie neben dem ſs-Gebrauch für Antiqua seit etwa 1800 häufiger wurden. Jedoch treten die häßlichen Dreifach-s (sss) nicht auf: „Haselnussträucher“, „Masstab“, „Schlusstein“, „Grosstadt“. Störend ist mitunter, wie in der heutigen „Reform-“ und Schweizer Orthographie, die mangelnde Markierung des Schlusses innerhalb eines zusammengesetzten Wortes: „Fussenden“ (und bei uns seit 1996: „Schlosserhaltung“).
Ungewohnt, aber nicht störend ist das alte „th“: „er thut“, „Thätigkeit“, „Thorwache“, „Blüthen“.
Die erst seit der Rechtschreib„reform“ von 1996 erpreßte sprachverbrecherische Verstümmelung des „Rauhen“ gibt es selbstverständlich nicht: „an der rauhen Oberfläche“ (S.138), „nordwärts wird das Klima zu rauh“ (S. 189).
Auch die klippschulhafte Großschreibung der 96er „Reform“ findet man nicht: „er war der erste“, „nichts ähnliches“, „zu eigen machen“, „im allgemeinen“ (S. 48), „zu gunsten“, „von neuem“, „Im übrigen ist sie von Kopf zu Füssen voll entwickelt“ (S. 134), „vor kurzem“ (S. 245), „Er macht reich arm und arm reich“ (S. 12). Wie man das heute wohl schreiben soll?
Allerdings wird von einer Betonungsgroßschreibung mitunter Gebrauch gemacht: „Blicke des Anderen“ (S.10), „wie Viele es gethan haben“ (S. 94), „fast Alles, was besteht“ (S. 102). Bei der „recht“-Schreibung besteht eine gewisse Unsicherheit – wie heute wieder: „Und wer hat recht“, „das Leben ... gibt ihr jederzeit Recht.“ (beide S. 159).
Die dumme neue Getrenntschreibung häufiger Wortbildungen findet man nicht, obwohl sonst damit freier umgegangen wird: „ebensoviel“, „ebensowenig“, „jedesmal“, „soviel“. Die (inzwischen schon abgebremste) neue Radikaltrennung ist den Sprachästheten fremd: „segenspendende Stunden“, „honigspendende“ oder „honigtragende Pflanzen“ (100/101), „fleischfressende Pflanzen“.
In der Umlautschreibung weiß man noch, daß „überschwenglich“ (S. 122) mit „schwenken“ und „schwingen“ zu tun hat. Bei „Geberde“ ist das „ä“ auch noch nicht angekommen. Dagegen erscheint „mit Hülfe“ heute atavistisch.
Die fast einzige sinnvolle Neuerung unserer heutigen „Reform“ findet sich auch damals schon: „in Bezug auf den Intellekt“ (S. 253)
PS 4.5.: Meine Tochter per Postkarte: „... lieben Dank für das wundervolle Buch... So ist es also, wenn ein Dichter ein wissenschafliches Werk schreibt... Laß es Dir gutgehen! ...
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