Ist es das wert?
Sehr geehrte Frau Türschmann,
herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Entschluß, sich mit den neuen Orthographieregeln zu befassen! Sie gehören offensichtlich zu der kleinen Minderheit, die sich (freiwillig?) damit beschäftigt. Ich wünsche Ihnen noch viel Erfolg in Ihrem redlichen Bemühen, die Regeln auch anzuwenden. In Ihrem Beitrag ist es Ihnen leider noch nicht ganz gelungen.
Aber wozu denn ein Seminar an der Uni? Die neuen Regeln sind doch so einfach, daß man sie sich doch innerhalb weniger Stunden selber beibringen kann, vorausgesetzt, man beherrscht die alten". Oder ist es doch nicht so einfach mit den vielen Unterregeln, Spezifikationen, Kannbestimmungen, Bedingungen, Verweisen und Wortlisten? Na, vielleicht ist ja Ihr Uniseminar auch darauf eingegangen.
Angesichts der geringen Anzahl der tatsächlichen Änderungen in Texten und der großen Menge an Kann-Regelungen frage ich Sie: Lohnt sich der ganze Aufwand tatsächlich? Lohnt sich ein Orthographieseminar?
Vor allem: was soll Ihrer Meinung nach denn jetzt geschehen? Eine Rücknahme der Reform? Eine Änderung? wenn ja, nach welchen Kriterien und durch wen?
Martin Kayenburg (CDU) der allerdings inzwischen einen Rückzieher gemacht hat trifft den Nagel auf den Kopf: Das Dilemma nach dem Volksentscheid ist an Schleswig-Holsteins Schulen nur deshalb entstanden, weil die Ministerin in vorauseilendem Gehorsam die Rechtschreibreform vorzeitig eingeführt hat".
Die Lösung des Dilemmas ist ganz einfach: Die Rechtschreibkommission müßte sich nur noch einmal zusammensetzen und ihren eigentlichen Auftrag ernst nehmen, nämlich die Sprachentwicklung beobachten und die Schreibweise an diese Entwicklung anpassen. Dann müßte sie konsequenterweise die bewährte Schreibweise wiedereinführen. Die Kultusminister ihrerseits müßten sich an ihre eigenen Abmachungen halten und keine unterschiedliche Schreibweise in Deutschland zulassen.
Im übrigen: Vergleiche mit der Machtübernahme der Nazis von 1933 wurden an dieser Stelle meines Wissens nach nicht angestellt. Es ging lediglich um Parallelen zwischen dem Versuch einer Orthographiereform 1944 und heute.
Damals hat der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Rust, ein neues Regelwerk per Erlaß in Kraft gesetzt. In nationalsozialistischem Geiste, mit Feingefühl für das Wesentliche und Mögliche, dabei entschlossen und durchgreifend sollten die Großschreibung abgeschafft, q, v, x und y aus deutschen Wörtern entfernt werden und alle Dehnungszeichen bis auf ie entfallen. Das folk hat damals nicht kwatsch gesagt, weil es andere gefaren sa. In sozialistischem Geiste, mit Feingefühl für das Wesentliche und Mögliche, dabei entschlossen und durchgreifend..., so sind unsere Politiker doch heute auch vorgegangen. Dazu paßt auch die Aussage von Maritta Böttcher, PDS (Plünderer, Diktatoren, Stalinisten) am 18.04.1997 im Bundestag: ... Rechtschreibregeln dürfen und können sich nicht ausschließlich an den Bedürfnissen von Schreibspezialisten orientieren, sondern müssen so strukturiert sein, daß sie nur die bis zum Abschluß der Pflichtschulzeit vermittelten Fähigkeiten voraussetzen.
Wenn man an die Art und Weise denkt, wie das Volk in Berlin und anderswo an seinem in der Verfassung verankerten Recht auf Gesetzgebung ("Alle Gewalt geht vom Volke aus") durch allerlei administrative und juristische Tricks behindert wird, ja, dann kommen einem schon so manche Gedanken.
Mit freundlichen Grüßen
Wilhelm Grail
Wilhelm Grail Herderstraße 14, 75015 Bretten
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