Die Eigenheiten einer Sprache und die Globalisierung.
Man kann sich nur freuen über jeden, der sich ein paar ernsthafte Gedanken zum Thema gemacht hat und sich auch die Zeit nimmt, sich dazu zu äußern!
Einer Überlegung möchte ich aber schon eine widersprechende Einsicht entgegenstellen: Die Globalisierung bzw. Europäisierung hat mit Arbeitsplätzen und Firmenpolitik zu tun, kann aber kaum ernsthaft als ein Faktor in sprachreformatorischen Überlegungen betrachtet werden. Jede Sprache unterscheidet sich ja von anderen durch das Eigenartige und Eigentümliche. Es sind die Unterscheidungsmerkmale, wodurch man sonst sehr ähnliche Gegenstände auseinanderhält. In der Mathematik und der Physik, die ja auch als eigens kodifizierte Sprachen angesehen werden können, beispielsweise, lernt man die Grundformeln, indem man sich gerade die unterschiedlichen Komponenten ähnlich aussehender Formeln merkt. Es gilt auch das Umgekehrte: Macht man grundsätzlich verschiedene Gegenstände in der Form immer ähnlicher, um so schwerer wird es, sie auseinanderzuhalten bzw. unterscheidend zu erkennen.
Daher ist eine der dümmsten Bemerkungen eines der Reformer, die ich je gelesen habe, Deutsch sei die einzige europäische Sprache, die Substantive mit Anfangsgroßbuchstaben in der Satzmitte zulasse. Genauso könnte ein verbohrter Romanist behaupten, Französisch sei die einzige europäische Sprache, die eine solche Überhäufung von drei und mehr Vokalen in der Wortmitte und am Wortende zulasse, man sollte sich doch im Zuge der Europäisierung der englischen Vokaldarstellung angleichen! So könnte man ja auch zu einem einheitlichen Europäisch kommen fragt sich nur, für wen das noch verständlich bliebe!
Man muß wissen, daß die maßgeblichen Reformer Monolinguisten sind; während der Jahre, als sie anfingen, ihre kleinschreibenden Ansichten auszubauen und daraus die sog. Reform der deutschen Schriftsprache anzustreben, kannten sie nur Deutsch. Wie können solche sprachlichen Fachidioten wagen, derartige Sprachvergleiche anzustellen?
Der Hintergrund für sprachliche Sonderwege, die, wie gesagt, überhaupt eine Sprache von allen anderen unterscheiden, ist immer die besondere Geschichte und Entwicklung eines Volkes (bzw. Sprachgemeinschaft) und seiner Sprache. Englisch, zum Beispiel, hat eine ganz andere Entwicklungsgeschichte. Kurz gesagt, die Aufnahme vieler keltischen Elemente man bedenke die Anwesenheit der Schotten und Iren dort, anders als in Deutschland ins Angelsächsische, sowie die Überflutung durch romanische Stammwörter nach der Eroberung durch die Normannen im Jahre 1066, hat Englisch ganz andere Impulse gegeben als im Falle des Deutschen. Die Erweiterung der Grundlaute und der Buchstabenkombinationen und -Verbunde im Englischen läßt eine erhebliche Minderung der Großschreibung sowie der germanischen Buchstabenkombinationen zu. Dagegen ist im Deutschen der Grundstammwortschatz größtenteils germanisch geblieben; da kommt die differenziertere Schreibweise germanischer Laute (z. B. Sch, ch, s) der Schriftsprache durchaus zugute.
Als ausländischer Deutschsprachiger, der Deutsch erst als Erwachsener gelernt hat, kann ich nur sagen, daß meine amerikanischen Kommilitonen in Pittsburgh und ich die deutsche Großbuchstabierung sowie das ß nicht nur faszinierend fanden, sondern dadurch die sich vom Englischen unterscheidende Schreibweise um so schneller lernten!
Noch eine Überlegung zum Wiederkauen: Um einen gewaltigen Vorteil der grundsätzlichen Großbuchstabierung von Substantiven beim Lesen einzusehen, machen Sie doch mal den folgenden Test mit einer Person, die des Deutschen und des Englisch gleichermaßen mächtig ist und zum Testzeitpunkt die Lesefähigkeit in beiden Schriftsprachen kurz aufgefrischt hat (Es geht hierbei um die angebrachten Testbedingungen). Lassen Sie diese Person denselben, ihr unbekannten, Auszug aus einer Schrift, einmal in englischer, einmal in deutscher Übersetzung (in herkömmlicher Rechtschreibung!), überfliegen, um eine kurze Inhaltsangabe zu machen; stoppen Sie dabei die Zeit. Sie können dabei den Test einigermaßen verwissenschaftlichen, indem Sie mehrere Personen dazunehmen, den Test mehrmals mit neuen Auszügen wiederholen und dabei die Sprachreihenfolge abwechseln. Auch sollten gleiche Schriftarten gleicher Größe verwendet werden. Es wird Ihnen wahrscheinlich keine Überraschung bereiten, welche Sprache sich schneller lesen läßt!
Der Grund dafür ist, daß man rein optisch im Englischen kleinere Worteinheiten anhand der Kleinbuchstabenkombinationen erkennen muß, dagegen sind im Deutschen durch die Großbuchstaben die erkennbaren Wortschnipsel wesentlich größer und die Erkennungsmerkmale (u. a. die Großbuchstaben sowie ß) schneller sichtbar. Die Substantive in einem Textabschnitt erfassen eben auch einen wesentlichen Teil des Inhalts!
Um das Schreiben kurz zu halten, habe ich die Ausführungen oben nicht vollständig dargestellt. Ich hoffe aber, daß sie doch einigermaßen verständlich dargestellt wurden!
A. Singh, Physiker, Germanist Siegen
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