Sprachwissenschaftliche Bedenken
Ich habe es immer für ziemlich unwichtig gehalten, daß auf seiten der Reformkritiker auch mal sprachwissenschaftlich Fragwürdiges oder gar Falsches unterlaufen ist. Das passiert den Reformern selbst auch, und bei ihnen wiegt es schwerer, weil sie ja Fachexperten sein wollen (so die Selbstbezeichnung, vgl. mein Schildbürgerbuch). Am häufigsten trifft man den Versuch, die einzelnen Festlegungen des alten Dudens bis aufs I-Tüttelchen zu rechtfertigen, wobei man oft das Gras wachsen zu hören meint. Und gerade was das Hören betrifft, so verabsolutiert man oft die eigenen Aussprachegewohnheiten und Betonungen, obwohl sie manchmal nur der eigenen Mundart zugehören. Es gibt auch wohlbekannte Selbsttäuschungen, z. B. glauben manche Leute, zwischen kälter und Kelter einen Unterschied zu hören eine reine Suggestion aus der Schrift. Na, und so weiter. Das ist, wie gesagt, ganz unwesentlich. Mir fehlt aber auch die Zeit, es jedesmal richtigzustellen und damit die betreffenden Ausführungen hieb- und stichfest zu machen. Ich darf auf meinen Kritischen Kommentar verweisen, der im Grunde alles enthält, was ich zu den einzelnen Themenbereichen zu sagen habe. Das ist auch meine Antwort auf die Aufforderung, ich möge an den Ausführungen des wirklich äußerst verdienstvollen und erfahrenen Kollegen Illauer noch einmal im einzelnen darlegen, wo er sich ein bißchen vertan hat. Illauer hat, wie ich in einem früheren Beitrag gesagt habe, genau das Wesentliche getroffen, und es ist wieder ein bloßes Ablenkungsmanöver, lang und breit von fragwürdigen Details zu reden. Herr Brückner hat also zwar in vielen Punkten recht, und man kann seinen Leserbrief als wertvollen Beitrag zur Diskussion durchaus anerkennen, aber den Hauptpunkt berührt er nicht. Übrigens ist er ein Schüler und Mitarbeiter des ausgezeichneten Freiburger Linguisten und Dialektforschers Ulrich Knoop, der seinerseits durch Zugehörigkeit zur Studiengruppe Geschriebene Sprache auch als hervorragender Kenner der deutschen Orthographie ausgewiesen ist. Die Freiburger Germanisten haben sich leider aus der Rechtschreibdiskussion weitgehend herausgehalten, vielleicht aufgrund übertriebener linguistischer Bedenken gegen manche ihnen allzu heftig erscheinende Reaktion der Reformgegner. Wie allerdings zwei andere Mitglieder der genannten Gruppe, Peter Eisenberg und Utz Maas, verschiedentlich gesagt haben, darf man bei diesem Übergriff der Staatsmacht nicht einfach mit akademischer Zurückhaltung und allenfalls Neugierde zusehen, was sich da an komischen Debatten abspielt, sondern muß sich zunächst einmal engagieren, um die unerhörten Ansprüche zurückzuweisen, und erst danach kann man wieder akademisch reden. (Ich umschreibe hier mit meinen eigenen Worten, glaube aber, daß die Kollegen das ungefähr so unterschreiben würden.) Die Studiengruppe hat sich früh gegen die Neuregelung ausgesprochen, zugeich aber eine wenig förderliche Berührungsscheu gegenüber den weniger akademischen Reformgegnern an den Tag gelegt. Hinter Friedrich Denk und seinen Freunden wollten sie sich nicht scharen, obwohl dies meiner Ansicht nach auch veritablen Professoren zu einer bestimmten Zeit sehr wohl angestanden hätte, und viele andere hatten ja auch keinerlei Bedenken. Wer allzu heikel ist, verurteilt sich selbst zur Wirkungslosigkeit. Das Verhalten der deutschen Germanistik bei dieser ganzen Affäre muß noch einmal im Zusammenhang dargestellt werden.
Theodor Ickler Ringstr. 46, D-91080 Spardorf
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