Was ist eigentlich an der alten Rechtschreibung modern?
Lieber Christian Dörner, vielen herzlichen Dank für Ihre Stellungnahme. Ich denke, dass wir mit der Erbsenzählerei nicht so recht weiterkommen. Sollen die Schüler also wieder mühsamst lernen: ins Lächerliche ziehen; im klaren sein; zur Not; not tun; Not leiden; Sehen Sie wirklich einen Sinn darin: Streß, stressig, streßfrei weiterhin unterschiedlich zu schreiben? Ich nicht. Ich schreibe Stress, stressig, also stressfreier als vorher, und die Schüler auch. Die Ickler-Version der alten Rechtschreibung enthält im Übrigen eine stolze Zahl von Ungereimtheiten: Cleverneß, Streß, aber Wellness! Ebenso halte ich sein sklavisches Festhalten an der alten Trennung für absurd: Mu-ster, Mei-ster aber Diens-tag; Bäk-ker statt neu – und besser – Bä-cker, ähnlich wie Be-cher (Warum plädieren Sie nicht für Beh-her?) Was Sie zu »in Bezug auf« sagen, trifft auf meine Schüler kaum zu, weil in Geschäftsbriefen diese Floskel häufig vorkommt. Aber können Sie mir irgendeine Schülerarbeit zeigen, wo das Wort »Numerus« zu schreiben ist? Während das Verb »nummerieren« doch des Öfteren vorkommt – übrigens seit Jahrzehnten meist in dieser »falschen« Schreibweise. Dass jetzt mehr Fehler gemacht werden, ist nicht meine Erfahrung. Es sind eher weniger. Trotzdem, vielen Dank für Ihren Brief. Er hat mich durchaus positiv überrascht. Ihm fehlt die auf dieser Homepage für mich so unangenehme Verbissenheit, die in vielen anderen Reaktionen zum Ausdruck kommt. Ihm fehlt auch der »blinde Hass« auf die hirnverbrannten, willfährigen Pädagogen, die diese Reform gut finden. Ebenso fehlt: »Schüler von den Kultusministern vergewaltigt oder als Geiseln genommen oder ähnlicher Schwachsinn. Herzliche Grüße, Sigi Müller
Die Schüler freuen sich über die Rechtschreibreform? Lieber Herr Müller, daß sich die Schüler darüber freuen, daß man in bezug auf jetzt groß schreibt, ist vielleicht nicht falsch. Allerdings kommt diese Floskel in Schüleraufsätzen so gut wie nie vor weder falsch noch richtig. Des weiteren ist die Großschreibung m. E. auch nach den alten Regeln nicht falsch. Soweit ich weiß, wurden »in bezug auf» und »auf/von seiten« bis vor ca. 50 Jahren groß geschrieben, also auch nach 1901, als die sogenannte alte (in Wirklichkeit moderne) Rechtschreibung in Kraft trat. Bei 'heute abend' sieht die Sache ganz einfach so aus, daß 'abend' hier nun mal ein Adverb ist. Daran kann auch die Rechtschreibreform nichts ändern, da die Rechtschreibung keinen Einfluß auf die Grammatik hat. Man betrachte nur die Äußerung des Duden 2000 (22. Aufl.) in bezug auf 'heute abend': "... werden als Substantive ANGESEHEN und großgeschrieben. Hilfloser geht es nicht mehr. Der Duden weiß ganz genau, daß es sich hier weder um ein Substantiv noch um eine Substantivierung handelt. Bei 'heute früh' ist es sogar noch schlimmer, denn die vom Duden 2000 erlaubte optionale Großschreibung wird nicht einmal von den neuen Regeln gedeckt. Bei 'Streß' geht es wieder um die alte Diskussion der ß/ss-Schreibung. Hier dreht es sich um die Zweckmäßigkeit der Neuschreibung. Tatsache ist, daß jetzt bei ß/ss mehr Fehler als früher gemacht werden und daß auch die Lesbarkeit (Missstand, Gussstahl, Verschlusssache usw.) deutlich abnimmt. Die Schreibung 'nummerieren' ist jetzt richtig, aber es bleibt beim 'Numerus', beim 'Numeral' und bei 'subsumieren'. Ist das eine Vereinfachung? Und was passiert ab 2005? Lieber Herr Müller, ich denke, daß die Schüler schon jetzt richtig darauf brennen, daß ihnen 'kennenlernen', 'bekanntgeben', 'sogenannt', 'schneuzen', 'sitzenbleiben', 'zur Zeit', 'wie leid du mir doch tust', 'er wird mir doch wohl nicht weh tun' usw. als Fehler angekreidet werden. Da bin ich mir ganz sicher, oder!?
Christian Dörner 91058 Erlangen
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