Selbst Lehrer verstehen das Problem nicht
Es ist in der Tat schade, daß selbst die Lehrer die Hauptprobleme der neuen Schreibung nicht verstehen und Tatsachen einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Aber ich möchte sie im folgenden noch einmal kurz ansprechen:
1.) Die Heysesche ss-Schreibung verursacht mehr Fehler als die bewährte ss/ß-Regelung. Das wichtigste ist aber, daß die neue ss-Regelung nicht nur beim Umlernen mehr Fehler produziert denn das wäre notfalls noch akzeptabel , sondern auch beim Neulernen. Im 19. Jahrhundert, als die Heysesche ss-Schreibung sich ebenfalls nicht bewährte, war es genau dasselbe. Daran hat sich nichts geändert, daran wird sich nichts ändern. Die neue ss-Schreibung widerspricht anscheinend dem deutschen Sprachgefühl. Vielleicht deswegen, da das Zeichen ß, historisch betrachtet, zwar mit sehr vielen Dingen etwas zu tun hat, nur nicht mit der Länge oder Kürze des Vorgängervokals. Die neue ss-Schreibung ist eben ein Kunstprodukt, nicht das Ergebnis der natürlichen Sprachentwicklung.
2.) Herr Müller sieht das vermeintliche Problem bei "-ness/-neß/-dess/-deß völlig falsch: Die von Prof. Ickler vorgeschlagenen Schreibweisen sind keine alleinseligmachende (Bertelsmann schreibt allein seligmachend) Vorschrift, sondern lediglich ein Vorschlag, wie man schreiben kann. Prozeß und Streß sind natürlich Wörter, die längst als deutsche Wörter betrachtet werden. Damit gibt es, damit gab es natürlich keine Probleme. Herrn Prof. Icklers Ziel ist eben gerade, keine Zwangsschreibweise mehr vorzuschreiben, sondern den natürlichen Sprachgebrauch zu erfassen. Wer das Rechtschreibwörterbuch mit dem Begriff alleinseligmachend versieht, hat den Zweck dieses Buches überhaupt nicht verstanden. Des weiteren im übrigen schrieben nach meiner Erfahrung ca. 75 % der Deutschen 'desweiteren' ist Cleverneß wirklich eine unwichtige Einzelheit. Aber klären wir es doch einmal: Wie viele Wörter sind denn von diesem Zweifelsfall betroffen? Da wären Fitneß, Fairneß, Cleverneß, Stewardeß, Wellness, Uniqueness und das seit Big Brother berühmte Contentness. Übrigens habe ich diese Wörter meinem Sprachgefühl entsprechend geschrieben. Mit dieser Aufzählung ist doch schon fast Schluß, oder? Wenn wir für diese Wörter beide Schreibweisen zulassen, ist das Problem gelöst. Dann erübrigt sich auch die in der Tat unwichtige Einzelheit.
3.) Der Duden 2000 sieht bei spinnefeind kein Problem? Meint Herr Müller das ernst? Der Duden 1996 schreibt Feind/todfeind/Spinnefeind. Daraus wird jetzt Feind/Todfeind/spinnefeind. Da sieht Herr Müller kein Problem? Ich sehe da ein ganz gewaltiges. Außerdem kommen diese Phrasen sicherlich häufiger vor als in bezug auf, was ja von seiten der Befürworter immer wieder gern genannt wird und wo ich die Richtigkeit der Großschreibung auch nach den alten Regeln bereits erwähnt habe.
4.) Die grammatischen Unrichtigkeiten scheinen die Befürworter gar nicht zu stören: da hast du aber sehr Recht, wie Leid du mir doch jetzt tust, da du mir sehr Leid tust, möchte ich dir sehr Recht geben. Daß diese Unrichtigkeiten auch vielen Lehrern nicht auffallen, zeigt, warum sich die meisten Lehrer gegen die Reform nicht wehren. Daß die Verbindung sehr + Substantiv gänzlich unmöglich ist und daß man auch ein Substantiv nicht steigern kann, fällt den Befürwortern auch nicht auf.
5.) Die Rechtschreibreform erzeugt in allen Bereichen mehr Fehler. Den Befürwortern kann ich nur empfehlen, sich in einer ruhigen Stunde die Fehleranalyse von Herrn Wrase durchzulesen. Wer sich mit solchen Dingen auseinandersetzen muß, dem muß ich auch zugestehen, daß er etwas gereizt reagiert. Deswegen kann ich die heftige Reaktion von Herrn Wrase schon verstehen.
6.) Die Rechtschreibreform ist uneinheitlich, nicht nur bei spinnefeind. Lieber Herr Müller, können sie mir erklären, warum ich 1998 nur einen wohl riechenden Glühwein trinken konnte, während es im Jahr 2000 einen wohl schmeckenden und wohlschmeckenden Glühwein gibt, dafür aber keinen wohl riechenden mehr, sondern nur noch einen wohlriechenden? Das versteht überhaupt niemand mehr.
7.) Die Rechtschreibreform verarmt die deutsche Sprache. Wenn ein Schüler vor dem Fernseher sitzen bleibt, dann ist es wahrscheinlich, daß er sitzenbleibt. Die von den Reformern nicht bekanntgemachten neuen Regeln haben sie schließlich doch bekannt gemacht. Die nichts sagenden Refomer hatten auch das Ziel, die nichtssagenden neuen Regln möglichst lange zu verheimlichen. Und die sogenannte Reform sollte deshalb noch lange nicht so genannt werden. Manchen wird es auch sicher schwerfallen, daß sie nur leicht fallen, obwohl sie eigentlich schwer gefallen sind, als sie ausrutschten.
Ich möchte das jetzt nicht weiter verlängern. Das Wesentliche ist jetzt eigentlich gesagt, oder?
Christian Dörner 91058 Erlangen
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