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Wolfgang Wrase
17.12.2000 23.00
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Die Alternative

Es sollte vielleicht doch noch angemerkt werden, daß es neben dem Ergebnis „Fehlerzahlen ungefähr 5 zu 1 in den von der Reform betroffenen Bereichen“ noch ein zweites, genauso wichtiges Ergebnis der SZ-Studie gibt, nämlich: „Fehlerzahlen ungefähr 10:1 in den von der Reform betroffenen Bereichen“, wenn man die Neuregelung mit dem ganz selbstverständlichen Ansatz von Professor Ickler vergleicht, die Regeln der Rechtschreibung dem allgemeinen Schreibgebrauch anzupassen, also das Rechtschreibwörterbuch als Maßstab für die Ausgabe vor der Reform heranzieht; auch das habe ich getan.

Der Witz bei diesem Ansatz liegt ja gerade darin, daß sich in den überhaupt für Neuformulierungen in Frage kommenden Bereichen der Rechtschreibung die Fehlerzahlen deutlich senken lassen, ohne daß irgend jemand hätte umlernen müssen; ohne daß man die Bürger hätte vergewaltigen müssen; ohne daß der gesamte Textbestand des 20. Jahrhunderts plötzlich „veraltet“ gewesen wäre; ohne Milliardenkosten; ohne unendliche Auseinandersetzungen; ohne ... ohne ... Die Studie belegt also, daß sich das Ziel der Rechtschreibreform tatsächlich erreichen ließe – sofort, mit vergleichsweise minimalem Aufwand. Aber nicht mit der Rechtschreibreform, sondern mit Professor Icklers Methode.

Es gibt, wie ich finde, kaum eine treffendere bildliche Darstellung der Rechtschreibreform als die Illustration auf der Titelseite von Professor Icklers „Schildbürger“-Buch. Da versuchen die tapferen Bürger mit vergleichsweise gigantischem Aufwand eine Kuh über eine hohe Mauer am Seil hinüberzuwürgen und zu stemmen – die Kuh starrt schon ihrem Tod entgegen –, anstatt sie ein paar Schritte weiter um das Ende der Mauer herumzuführen.

Es gibt übrigens noch eine zweite Methode, die diesem Herumführen vielleicht sogar noch eher entspricht. Ich möchte sie an dieser Stelle jedoch nicht öffentlich ausplaudern.



Wolfgang Wrase
München

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Gast
16.12.2000 23.00
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Danksagung und letzter Gruß

Ich bedanke mich bei Herrn Dörner für die sachliche Auseinandersetzung, bleibe aber dabei, dass die nicht alternierende ß-, ss-Schreibung im Singular und Plural (Gruß, Grüße; Schuss, Schüsse)sinnvoll ist. Sein Argument »Sprachgefühl, Kunstprodukt« usw. wirkt auf mich wenig stichhaltig. Ansonsten würde ich doch bitten, konsequent zu »Thür und Thor« zurückzukehren. Ist das h in diesen Wörtern seinerzeit nicht auch durch eine Reform (und nicht durch die Entwicklung des »natürlichen Sprachgebrauchs«) gekippt worden, die damals wie heute von so manchen Schriftstellern bekämpft wurde?    Die Regel Nuss/Nüsse statt Nuß/Nüsse leuchtet in meinen Klassen (fast!) allen Lernenden ein. Da gibt es überhaupt keine Widerstände.
Manches (z.B. Getrennt- und Zusammenschreibungen) gibt weiterhin Anlass zum Nachdenken. Im Kern, glaube ich, können wir unsere unterschiedlichen Standpunkte ohne Probleme verstehen, trotz unterschiedlicher Rechtschreibung! Selbst mit »wohl riechend/wohlriechend« habe ich kein Problem, wenngleich ich natürlich gerne zugebe, dass man daraus eins machen kann. Aber bei meinem nie kommentierten Beispiel »umfahren« (die unterschiedliche Bedeutung ist wohl nicht bestreitbar, oder bei Ihnen vielleicht doch!) hilft ja auch keine Rechtschreibung, sondern nur der Kontext.
Wenn ich hier das alles lese, habe ich sowieso das Gefühl, dass das gegenseitige Nicht-Begreifen des anderen am wenigsten an der neuen oder alten Schreibweise liegt.
Der Empfehlung, von Herrn Wrase noch etwas durchzulesen, werde ich allerdings nicht nachkommen. Für derartige Entgleisungen, die sich der Herr Wrase hier erlaubt hat, habe ich, im Gegensatz zu Herrn Dörner, überhaupt kein Verständnis.



Sigi Müller
86956 Schongau

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Wolfgang Wrase
16.12.2000 23.00
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Zwei Anmerkungen

Herrn Müllers Beiträge bestätigen mit jedem Mal mehr, daß er nicht viel von der Sache versteht. Ich habe meinerseits kein Interese, mich mit ihm auseinanderzusetzen; ich sagte ja bereits mehrfach, daß es sich nicht lohnt, mit bestimmten Leuten zu diskutieren. Deshalb nur noch zwei Anmerkungen zu dem, was Herr Müller als meine „Entgleisungen“ bezeichnet.

Zum einen ist es verwunderlich, daß er bei Lars Kerner nur die Anonymität mißbilligt, aber von Entgleisungen nichts bemerkt. Die sollen bei mir vorliegen, und zwar weil ich alle Gegner der Reform als Idioten mit BSE-induzierter Gehirnerweichung bezeichnet hätte. Es ist der Aufmerksamkeit von Herrn Müller wohl entgangen, daß es sich bei dem Text über die Verantwortung des Landwirtschaftsministeriums um eine satirische Glosse handelt. Ich habe sie keineswegs in Rage, sondern mit viel Vergnügen geschrieben. Daß Herr Müller sie als „Argumentation“ auffaßt, ist grotesk.

Zum zweiten: Ich bezeichne keineswegs alle Befürworter der Rechtschreibreform als bescheuert; wohl aber diejenigen, die wissen, daß die Fehlerzahl in der Süddeutschen Zeitung sich in den relevanten Bereichen innerhalb eines Jahres ziemlich genau verfünffacht hat und die dennoch für die Rechtschreibreform plädieren oder sogar heftig für sie kämpfen.

Stellen wir uns eine Zwangsdiät vor (einziger Zweck: Verminderung des Übergewichts), die trotz übler Nebenwirkungen und eines gewaltigen Aufwands bei einer Gruppe von Probanden das Übergewicht verfünffacht. Wenn nun ein Arzt oder sonst jemand diese Diät trotz dieses Befundes verteidigt, würde man ihn selbstverständlich als Idioten bezeichnen, als verrückt, als bescheuert oder wie auch immer.

Stellen wir uns eine Wirtschaftsreform vor, die das einzige Ziel hat, die Arbeitslosigkeit in bestimmten Branchen zu senken. Nach einem Jahr hoher Investitionen und gewaltiger Anstrengungen zeigt sich, daß die Reform in genau diesen Branchen die Arbeitslosenquote nicht vermindert, sondern vervielfacht hat. Wenn nun ein Politiker oder irgendein Bürger sagt: Diese Reform ist gut, denn sie senkt die Arbeitslosigkeit – was würde man von ihm halten? Ich würde selbstverständlich auch in diesem Fall von Idiotie reden.

Stellen wir uns ein Konzept zur Entschuldung eines Betriebes vor – einziger Zweck: Schulden vermindern. Nach einem Jahr intensiver Bemühungen stellt sich heraus, daß sich die Schulden verfünffacht haben, wobei andere Einflüsse so gut wie ausgeschlossen werden können und wobei nachweislich Konzepte existieren, die eine Senkung der Schulden sofort bewirken könnten. Wenn nun irgend jemand über dieses Konzept nach wie vor sagt: Es ist gut, denn es senkt die Schulden – dann ist er für mich schlicht und ergreifend bescheuert.

Wieso sollte das bei der Rechtschreibreform anders sein? Es wundert mich nicht einmal, daß es Leute gibt, die die Rechtschreibreform gut finden, auch wenn sie das Gegenteil ihres einzigen Zwecks bewirkt (außerdem zig Milliarden kostet, Streit und Verwirrung verursacht, täglich viele Millionen Irritationen bei Lesern nach sich zieht und so weiter). Ich sage dazu eigentlich nur: Mit solchen Personen ist jede Diskussion sinnlos. Mein Urteil brachte ich gegenüber einem Anonymus zum Ausdruck, der mir sagte: „Geh, korrigiere noch ein paar SZ-Ausgaben“ – er kannte also die Untersuchung. Ich wiederholte dieses Urteil, nachdem ich das wesentliche Ergebnis der Untersuchung, ebenso wie hier, zitiert hatte, und bezog es wiederum nicht auf alle Befürworter der Reform.

Selbstverständlich sind die meisten Befürworter der Reform keine Idioten, sie wissen einfach nur nicht Bescheid. Sie können sich nicht vorstellen, daß es eine solche Reform gibt, die nicht unter dem Strich irgend etwas bringen würde; sie vertrauen darauf, daß die „Experten“ schon etwas Sinnvolles erarbeitet haben werden; sie haben in der Zeitung gelesen, daß die Reform an den Schulen begrüßt werde, daß dort angeblich die Zahl der Kommafehler deutlich zurückgehe oder was dergleichen Propaganda millionenfach verbreitet wurde.

Oder noch einmal anders: Nehmen wir an, es gäbe eine Umfrage, in der realistisch aufgeklärt und anschließend gefragt wird, zum Beispiel: „Die Rechtschreibreform führt dazu, daß kaum jemand noch weiß, wie etwas geschrieben wird. Die Wörterbücher widersprechen einander bei mehreren tausend Einträgen, die Reform wird überall anders angewendet, die meisten haben sowieso keine Ahnung von den Inhalten. Die meisten Schriftsteller lehnen die Reform strikt ab, ebenso die meisten Wissenschaftler, unter anderem weil die Fehlerzahlen nicht zurückgehen, sondern gewaltig zunehmen. Das haben erste Untersuchungen eindeutig bestätigt. – Sind Sie unter diesen Umständen dafür, daß die Rechtschreibreform durchgeführt werden soll?“ Jeder kann sich ausmalen, welche Zustimmungsquote hier ungefähr zustande käme. Diejenigen, die dennoch die Reform befürworten, müßten sich wirklich nicht wundern, wenn sie von anderen als schwachsinnig angesehen werden. Ich meinerseits wäre dankbar, wenn mich jemand darauf hinweist, daß ich mich mit bestimmten Meinungen vor der Öffentlichkeit oder auch nur vor der Fachwelt lächerlich machen könnte, und würde zumindest diese Meinungen gewissenhaft überprüfen, bevor ich mich weiterhin damit aus dem Fenster lehne oder gar die Fachleute zu missionieren versuche.   



Wolfgang Wrase
München

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Theodor Ickler
16.12.2000 23.00
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ss und th

Zu Sigi Müllers Ausführungen:
Die alte Heysesche s-Schreibung ist leicht zu begreifen und zu lehren – aber schwer zu befolgen. Das lehrt die Erfahrung, und es gibt auch theoretische Begründungen dazu, die hier vor längerer Zeit abgehandelt worden sind. Übrigens müßte, wenn es um das Stammprinzip ginge, „schiessen“ wie „Schuss“ geschrieben werden, dann die Stammschreibung besteht, gerade darin, daß trotz unterschiedlicher Aussprache gleich geschrieben wird.
Das th ist eigentlich nicht durch eine Reform abgeschafft worden, sondern die Reform von 1901/02 besiegelte nur die nahezu schon vollendete Abschaffung. So sagte bereits Konrad Duden 1876, die Abschaffung des th in deutschen Wörtern sei hinreichend vorbereitet. Näheres in meinem Kritischen Kommentar. Dies nur zur Erinnerung, die meisten Leser werden es wissen.



Theodor Ickler
91080 Spardorf

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Christian Melsa
16.12.2000 23.00
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Kommentar zu Sigi Müllers Beitrag

Im Gegensatz zu Herrn Wrase bin ich der Ansicht, daß es sehr wohl lohnt, mit entschiedenen Reformbefürwortern zu diskutieren. Es dürte in gewissem Sinne ja sogar noch sehr viel sinnvoller sein, als das mit ohnehin Gleichgesinnten zu tun.

Herr Müller zum Beispiel mag tatsächlich nicht viel von der Sache verstehen (jedenfalls weniger als viele Beitragsschreiber hier), aber das kann sich ja ändern. Ohne die Kenntnis bestimmter Zusammenhänge und Punkte, auf die nicht jeder unbedingt von selbst kommt, ist es doch auch nicht ganz so überraschend, wenn Leute diese als so toll und zeitgemäß und längst überfällig verkaufte Reform in einer Zeit der Trendglorifikation und Aufgeilung an Jahrtausendwende und Zukunft und Internet und blablabla einfach ganz toll finden, daß sie sie mit Fortschritt verwechseln. Vor allem ist gut denkbar, daß so mancher gegenüber den eifrigen Reformkritikern das vorschnelle Urteil fällt, dies seien bestimmt alles ganz unbewegliche Konservative, ewiggestrige Traditionsfanatiker, die sich einfach automatisch gegen jede Progression stemmen wollen und bei jeder kulturellen Neuerung einen Schaden des Deutschtums befürchten. Dann fehlt nur noch ein bißchen IDS-Propagandaschrift, und die betreffende Person ist voller Gewißheit, daß die Reform eine gute, politisch korrekte Sache ist. Weil sie die niedlichen, kleinen, schwachen, schutzbedürftigen Schulkinderchen doch auch so immens entlastet – wer gegen so etwas ist, muß doch kinderfeindlich sein, ein rücksichtsloser Unsympath, der für sein ästhetisches Wohlempfinden die Leiden anderer ignoriert.

Falls Herr Müller doch noch hier reinschaut (was ich begrüßen würde), folgendes möchte ich ihm gerne auf seinen letzten Beitrag entgegnen:

Die neue ss/ß-Schreibung streift die neue Konformität im Plural ja nur zufällig am Rande. Man kann jedenfalls nicht von einer „Regel Nuss/Nüsse statt Nuß/Nüsse“ sprechen. Wenn Sie das so in der Schule unterrichten, bringen Sie den Schülern die falschen Kriterien bei. Zwar haben die Reformer selbst fälschlicherweise behauptet, durch die neue Regel würde die s-Laut-Schreibung nun einem konsequent funktionierendem Stammprinzip entsprechen, aber anhand solcher Beispiele wie „Fluss“ – „fließen“, „ich reiße“ – „er riss“, „so ´ne Scheiße“ – „so ein Beschiss“ erkennt man ja, daß immer noch Unregelmäßigkeiten vorhanden sind.

Welche Regelung die bessere ist, die „alte“ oder die „neue“, ergibt sich schnell, wenn man die extreme Zunahme der Fehler in diesem Bereich (auch bei Schulanfängern, die sich nicht umgewöhnen mußten) sowie solche Schreibungen wie „Missstand“, „Passstempel“ und derlei betrachtet.

Was „wohl riechend/wohlriechend“ betrifft, so ist es doch gerade immer der Clou gewesen, daß durch getrennte und zusammengesetzte Schreibung eine Bedeutungsdifferenz ausgedrückt wird. Wenn daraus normativ eins gemacht wird, wie etwa der Duden zwar neuerdings „wiedersehen“ wieder erlaubt, darin aber auch kein Unterschied zu „wieder sehen“ gemacht wird, dann hat die Existenz zweier Schreibvarianten einfach keinen Sinn. Natürlich kann man die Varianten zulassen, wie das in vielen anderen Fällen auch immer schon geschehen ist. Aber wenn es bereits in der Sprachgeschichte einen eindeutige Bedeutungsunterschied gab (oder besser gesagt: es ihn immer noch GIBT!, denn die Mehrheit aller Lesenden und Schreibenden nimmt das natürlich immer noch so wahr; selbst die heutigen Schulkinder dürften das nach Lektüre einiger gehobener Literatur bemerken), warum sollte man diesen Bedeutungsunterschied verwerfen? Was sind denn das für Sprachverwalter, die solche Maßnahmen zulassen? Bei einigen Wörtern ist der Bedeutungsunterschied so ausgeprägt, daß man dann genausogut rechtfertigen könnte, die beiden Wörter „schön“ und „hell“ zu einem zu verschmelzen, bzw. nur noch eines zuzulassen, daß dann immer beides bedeuten kann.

Natürlich hat es immer schon Formulierungen gegeben, die etwas unklar ausdrücken, und natürlich hat es auch immer schon Wörter gegeben, die eine schillernde Bedeutung haben (wie „umfahren“ – oder „miteinander schlafen“; komisch, das Beispiel wäre noch viel besser, da könnte man sogar tatsächlich Zusammenschreibung erwägen). Doch wenn eine Orthographie einen eleganten Trick aufweist, den Inhalt durch eine kleine Lücke zwischen zwei Wörtern oder eben ihr Fehlen noch viel treffender, kürzer, eindeutiger, stilistisch vollendeter auszudrücken, dann ist es doch eine Schande, gerade diese nette und nützliche Eigenschaft in der Schriftsprache, die es bereits lange gibt und nicht etwa erst eine neu einzuführende Idee wäre, abzutöten.

Von allem, was die Reform gebracht hat, ist die ss/ß-Schreibung formal gesehen noch das Gelungenste, da sie eigentlich kristallklar funktioniert. Doch im Vergleich zur bisherigen Lösung kann sie trotzdem nicht überzeugen. Wenn die Neuregelung der Rechtschreibung die überhaupt erste jemals aufgestellte Regelung wäre, dann könnte man von Kinderkrankheiten reden, aber die Orthographie war bereits schon einmal besser, durchdachter, funktionaler – einfach sprachgemäßer! Versucht man, die eindeutigen systematischen Mängel der Reform zu verdrängen, so bleiben nur noch ein paar überflüssige, irrelevante und zudem noch völlig willkürliche Änderungen von Schreibweisen einiger Wörter, die nun wirklich kein Mensch gebraucht hat. Die auch nichts nützen, da in den meisten Fällen dann auch noch nach 2005 in den Schulen die bisherigen Schreibweisen als Fehler angestrichen werden sollen!

Übrigens – gegen „Thür“ und „Thor“ hätte ich nichts einzuwenden. Wenn man es Anfang des Jahrhunderts unterlassen hätte, das h aus diesen Wörtern zu streichen, würde mich das nicht weiter stören. Die Existenz des Dehnungs-h in „wahr“ ist nicht viel berechtigter, denn trotzdem reimt es sich ja noch auf „Bar“. Wenn man erst einmal erkannt hat, daß sich die deutsche Orthographie nicht mehr auf ein phonetisches Prinzip trimmen läßt (zumal sie ja auch so völlig hinreichend funktioniert), dann kann man mit solchen Schreibweisen doch ganz gut leben. Hätte ich hundert Jahre früher gelebt, hätte ich die Streichung des h in „Thür“ usw. wohl auch als sonderbar empfunden und vielleicht dagegen protestiert, je nachdem, ob es aktuell noch mehrheitlich gebräuchlich war oder nicht. Damals wurde jedoch erstmals ein allgemeiner Standard gesetzt, das darf man nicht übersehen. Und man darf auch nicht übersehen, daß der damalige Vorgang, sei er auch ohne Rücksicht auf vielleicht berechtigte Einwände geschehen, sich in der Kaiserzeit abspielte. Offensichtlich ist das Wort „Demokratie“ heute doch nur einfach ein schönes Wort, faktisch aber eine Illusion. Sollte man das so hinnehmen? Das bundesdeutsche Grundgesetz enthält extra einen Paragraphen, der das Recht auf Widerstand gegen undemokratische Maßnahmen des Staates gewährt. Die Rechtschreibreform von 1996 ist nicht nur undemokratisch, sie ist geradezu antidemokratisch. Das weiß jeder, und doch ist es der politischen Macht egal: „Bürger, schluck es oder laß es sein / doch halt dich raus, misch dich nicht ein.“ Tolle Demokratie.



Christian Melsa
Veltheimstraße 26, 22149 Hamburg

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anonymer Gast
16.12.2000 23.00
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Verschiedenes

Wie in der Rechtschreibung insgesamt geht es auch bei der jetzigen Angleichung der ss-Regelung an die Doppelkonsonanz zur Markierung eines kurzen Vokals um ein Prinzip, das mit anderen kombiniert wird (z.B. dem Stammprinzip). Der Vorteil ist nun, dass es eine deutlich größere Übereinstimmung zwischen Stammprinzip und der Aussprache im Sinne dieser Doppelkonsonanz gibt. Ich schlage vor, dass man eine noch weitere „Harmonisierung“ wie in 'schiessen' (Doppel-s wie auch in 'schoss') nicht allein als Fehler in dem aggressiven Sinne der Wrase-Studie sieht, sondern, wie es in dem hier üblichen Sprachgebrauch positiv als „natürliche Weiterentwicklung“ gesehen wird. Das meine ich zunächst mal als Gedankenexperiment, noch nicht als Plädoyer (Agenturregelung Plaidoyer, da dort angeblich lebendige Sprachen nicht eingedeutscht werden). Meines Wissen ist das th durch eine andere Reform weitgehend abgeschafft worden, nämlich durch die so genannte „Schulorthografie“ von 1880. 20 Jahre später war dies mit Sicherheit noch nicht in dem Maße aus dem Gebrauch verschwunden, wie es die Regelung von 1901 abbildet. "Üblich-bewährt-Schreiber“ wird es wohl auch diesmal noch ein paar Jahre geben.

Zu den fantasievollen Vergleichen von Herrn Wrase (Diät und andere) kann ich nur sagen: Herr Wrase fordert aus seiner SZ-Studie radikale Konsequenzen, hält aber das Argument der Abweichungen zwischen den neueren Wörterbüchern in einer Weise aufrecht als hätte er die IDS-Studie hierzu nicht zur Kenntnis genommen. Das ist eben so eine Sache. Die IDS-Studie ist an einem Buchstaben durchgeführt worden und in sofern relativ; das gilt ebenso für das Korpus von Wrase, Marx und anderen. Ohne letztere Studien gelesen zu haben, sollte man mit der Aussagefähigkeit etwas vorsichtig sein. Die Fehler werden längerfristig zurückgehen, davon mit ich nach wie vor überzeugt. Die SZ-Studie ist noch einmal dadurch relativiert, dass bei der SZ größtenteils Journalisten arbeiten, die die so genannte „neue“ Rechtschreibung als Umlerner erworben haben. Das wiederum hat die Kultusministerkonferenz nicht behauptet, dass die Fehlerzahl bei Leuten zurückgeht, die die alte Regelung mehr als andere verinnerlicht haben. Bei Herrn Wrases Vorschlag für eine „neutrale“ Meinungsumfrage zum Thema erhält man ein weiteres Argument, dem Braten nicht ganz zu trauen. Man stelle sich vor, Herr Wrase wäre mit der gleichen Leidenschaft Anhänger von Gore oder Bush gewesen und man hätte ihn beauftragt, die zweifelhaften Stimmzettel auszuzählen. Ich kenne eine Zeitung, die hat erst nach dem gemeinsamen Termin auf neue Rechtschreibung umgestellt, und ist mit der Meinungsmache zu dem Thema eher Provinz-FAZ. Diese Zeitung trennt trotz Umstellung weiterhin k-k und s-t nach alter Regelung. Die schreibt auch so einen Unsinn wie „zurück kommen“. Würde ich zu dieser Zeitung eine Fehler-Studie machen, dann würde ich zu dem Ergebnis kommen, dass „selbst Schreibprofis nicht in der Lage sind, die neuen Trennregeln umzusetzen und dass das neue Regelwerk deswegen auf den Müll gehört“. Na, und wie sinnvoll wäre diese Schlussfolgerung? Eine gute Studie würde der Frage nachgehen, wie viele Fehler direkte Übernahmen aus Agenturfehlern sind. Man würde fragen, welche Korrelation es zwischen Meinung und Kompetenz gibt, was für Korrekturprogramme, wie wurden die Mitarbeiter geschult usw.? Nun, ich weiß nicht, ob Wrase dies alles tut. Asche auf mein Haupt: Ich halte die Studie von vornherein für zu unbedeutend, um mich mit ihr zu beschäftigen.

In dem Satz Wrases "...können sie mir erklären, warum ich 1998 nur einen „wohl riechenden“ Glühwein trinken konnte“ wird so getan, als wäre die Interpretation der Regeln diese selber. Nein, wohl + Verb (bzw. Partizip) ist ein Grenzfall. Der Duden sagt mit einzelnen Wörterbucheinträgen nicht mehr, was Rechtschreibung ist. Das muss man doch nun verstanden haben. Mit Ickler'schem Ansatz gibt es doch auch ein sowohl als auch; warum bei 'wohl' so verbissen?

PS: Was hab ich da irgendwo gelesen 'gleichgut bzw. gleichschlecht' zusammengeschrieben? Ist das ein Einzelphänomen oder eine Schreibentwicklung? Ickler, das wäre ein Stichwort für Sie...



Daniela Kopsch

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Christian Dörner
16.12.2000 23.00
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Von "wohl riechend" über "bis auf Weiteres" zu "Topp"

Wenn ich mir die letzten Beitrage ansehe, so muß ich feststellen, daß die Befürworter noch immer nicht verstanden haben, worum es eigentlich geht.

Zuerst ein Kommentar zu Frau Kopsch: Das Ziel der Reform war natürlich, lediglich ein paar krasse Zweifelsfälle aus der bisherigen Orthographie zu beseitigen. Keinesfalls sollten die Reformer eine neue Rechtschreibung entwickeln. Leider haben sie aber genau dies getan. Wenn es sich aber im Vergleich zur bisherigen Schreibung lediglich um eine Vereinfachung handelt – das behaupten die Befürworter und die Reformer –, dann müßte doch eine Zeitung wie die SZ erst recht keine Probleme haben, sich auf die neue – angeblich einfachere – Schreibweise einzustellen. Doch trotz des hohen Niveaus der SZ-Journalisten verfünffachen sich die Fehler in den geänderten Bereichen nach einem Jahr. Man muß außerdem davon ausgehen, daß Normalbürger erst in 10 Jahren soviel geschrieben haben werden, wie ein SZ-Journalist in einem Jahr. Das Ziel der Reform wurde eindeutig verfehlt. Auch bei Schülern, die nur die neue Schreibung kennenlernen, vermehrt sich die Fehlerzahl. Leider ist dies Fakt.

Noch etwas zu „wohl riechend“: Erstens stammt der von Frau Kopsch zitierte Satz nicht von Herrn Wrase, sondern von mir, und zweitens ist natürlich nicht richtig, was Frau Kopsch hier sagt. Bei „wohl[...]" gab es früher nicht das geringste Problem. Man muß nur einmal die betreffenden Seiten im alten und im neuen Duden aufschlagen und nebeneinanderlegen. Dann sieht man sofort, welche Regelung die kompliziertere ist. Die neuen Regeln sind so diffizil, daß sie nicht einmal der Duden versteht, denn seine Interpretation der Regeln in bezug auf „wohl[...]" oszilliert von Auflage zu Auflage. Duden 1996, Duden-Universalwörterbuch 1998 und Duden 2000 sagen jedesmal etwas anderes aus. 1998 interpretierte der Duden die Regeln noch so, daß „wohl riechend“ getrennt geschrieben werden *müsse*. Im Jahr 2000 ist es nur noch zusammen erlaubt, während bei dem exakt gleich gebauten „wohlschmeckend“ jetzt ein Wahlrecht besteht. Einfach ist das für den Lernenden auf keinen Fall. Im nächsten Duden – um was wetten wir, Frau Kopsch? – wird sich bei der Kategorie „wohl“ wieder viel geändert haben. Davon kann man ausgehen.

Im übrigen fällt auf, wie konsequent die Befürworter das Wörtchen „sogenannt“ getrennt schreiben, obwohl dies nur eine unbeabsichtigte Folge der undurchdachten Regeln ist. Die Getrenntschreibung wird sicher bald zurückgenommen, zumal die Abkürzung „sog.“ ja bereits wiederhergestellt wurde. Allein daran, daß die Befürworter selbst diesen – selbst von seiten der Reformer ungewollten – Unsinn konsequent nachvollziehen, läßt sich erkennen, welcher Ungeist der Reform zugrunde liegt.

Die neuen Schreibungen der Pseudosubstantivierungen sind ebenfalls nicht leichter als die alten. Wer jetzt plötzlich „des Weiteren“ schreiben muß, der wird es auch nicht einsehen, warum „bei Weitem“ und „bis auf Weiteres“ falsch sein sollen. Bei „im Allgemeinen“ und „alles in allem“ ist die Sache ähnlich. Eine Erleichterung? – Nein.

Wenn Herr Müller schreibt, daß „Tip“ jetzt wegen „tippen“ mit Doppel-p geschrieben werden müsse, dann muß man doch die Frage stellen, wieso man dann bei „Top“ – trotz des gerade bei den sogenannten Wenigschreibern häufig gebrauchten Wortes „jmd. toppen“ (=jmd. übertreffen) – völlig anders verfährt. Die Kultusminister haben ja auch noch mal etliches daran geändert. Der „Flop“ und der „Hit“ bleiben genauso wie „fit“ unangetastet. Dafür wird der „Mop“ zum „Mopp“. Wegen „moppen“? Hab ich zumindest noch nicht gehört. Einen Grund wird man nicht erkennen können.

Da kann man zur Rechtschreibreform nur noch sagen: außen Topphitts – innen Geschmack.



Christian Dörner
91058 Erlangen

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Theodor Ickler
16.12.2000 23.00
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Anmerkungen zu Frau Kopsch

Obwohl das Wesentliche schon oft gesagt worden ist, sehe ich keinen Grund, die sachlichen Streitpunkte immer wieder einmal zu erörtern, weil ja die Gesamtdiskussion äußerst ausgedehnt und nicht jedem Diskutanten jederzeit gegenwärtig ist. Daher folgende Hinweise zu Frau Kopschs letztem Beitrag (Dank auch an Herrn Doerner für seine sachkundigen Ausführungen!):
Die IDS-Studie, gemeint ist Güthert/Hellers Aufsatz zur vergleichenden Wörterbuchanalyse, wird ihrerseits in meiner Schrift „Propaganda und Wirklichkeit“ (hier auf der Rechtschreibseite zu lesen, Unterkapitel „Der Fall Heller/Bertelsmann“) analysiert. Frau Kopsch hätte hören sollen, wie Heller sich am Telefon wand, als ich ihm auf den Kopf zu sagte, daß er uns hinters Licht zu führen beabsichtige! Wenige Stunden später rief er bei der Redation der „Muttersprache“ an und veranlaßte, daß in seinem Aufsatz wenigstens ganz am Ende ein Hinweis auf die benutzte, bereits angeglichene Bertelsmannausgabe angebracht wurde. Für alle anderen Zwecke wurde dieser Hinweis unterdrückt, und die „Studie“ tat ihre betrügerische Wirkung. Ich habe übrigens Einblick in die von Bertelsmann und Duden angefertigten, geheimen Listen gehabt, aus denen die wirkliche, ungeheuer große Zahl von Abweichungen hervorgeht. Die beiden marktbeherschenden Unternehmen haben sich aus Gründen der Selbsterhaltung zusammengetan, um die Zahl der Abweichungen in weniger beunruhigende Dimensionen zu drücken. Man traf sich dann mehrere Male im Hause Duden, um konspirativ (unter Ausschluß der Öffentlichkeit wie der Mitbewerber) mit der Kommission einheitliche Schreibregelungen zu vereinbaren. Das Ergebnis: Duden stellt die Wörterbücher um, Bertelsmann sorgt dafür, daß die übrige Literatur umgestellt wird.

Die Schreibweise „schiessen“ usw. ist letzten Endes die Schweizer Schreibweise, die sowohl nach altem Duden als nach meinem Rechtschreibwörterbuch jederzeit möglich ist.

Die Trennung k-k ist die logische Folge aus der Tatsache, daß ck eine stellungsgebundene Variante von kk ist. Das bestätigt § 3 der Neuregelung; leider widerspricht die neue Silbentrennung dieser Einsicht. Das sieht auch Kollege Munske heute so, auf den die Nichttrennung von ck ja zurückgeht.

Das th in deutschen Wörtern wurde nicht 1880 abgeschafft.

Es gibt in der Tat eine Neigung, „gleichgut“ u. ä. zusammenzuschreiben. Mein Wörterbuch wird, soweit ich sehe, den Gegebenheiten gerecht. Das ständige Schwanken der reformierten Wörterbücher bei gleich-, hoch-, wohl-, wieder- spricht für eine tiefe Verworrenheit bei gleichzeitigem Festlegungszwang auch dort, wo nur Tendenzen zu beobachten sind. Ich verweise auf meinen Kritischen Kommentar, wo die Einzelheiten dargestellt sind.

Auch ich meine, daß „so genannt“ eine unbeabsichtigte Folge der neuen Regeln ist, denn Gallmann/Sitta wußten 1996 noch nichts davon. Damals sind in großer Hektik ständig neue Schreibweisen erfunden und wieder verworfen worden, so daß die Reformer, wie vielfach bezeugt ist, in keinem Augenblick die volle Übersicht hatten. Sie mußten aber dann einfach irgendwo zum Abschluß kommen, weil die politischen Auftraggeber die Nase voll hatten. Wenn man die schäbigen Hinterzimmervorgänge kennt, ist es natürlich besonders komisch, daß heute ganz normale Zeitgenossen glauben, das Wort „sogenannt“ aufspalten zu müssen!

Frau Kopsch verteidigt Positionen, die die Reformer selbst teilweise schon geräumt haben oder nur auf höheren Befehl noch halten. Ich werde den Hergang demnächst in meinem Buch „Regelungsgewalt“ auf über 300 Seiten noch einmal darstellen und hoffe, dadurch manche Diskussion überflüssig zu machen.



Theodor Ickler
Ringstr. 46, D-91080 Spardorf

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Manches (z.B. Getrennt- und Zusammenschreibungen) gibt weiterhin Anlass zum Nachdenken. Im Kern, glaube ich, können wir unsere unterschiedlichen Standpunkte ohne Probleme verstehen, trotz unterschiedlicher Rechtschreibung! Selbst mit »wohl riechend/wohlriechend« habe ich kein Problem, wenngleich ich natürlich gerne zugebe, dass man daraus eins machen kann. Aber bei meinem nie kommentierten Beispiel »umfahren« (die unterschiedliche Bedeutung ist wohl nicht bestreitbar, oder bei Ihnen vielleicht doch!) hilft ja auch keine Rechtschreibung, sondern nur der Kontext.
Wenn ich hier das alles lese, habe ich sowieso das Gefühl, dass das gegenseitige Nicht-Begreifen des anderen am wenigsten an der neuen oder alten Schreibweise liegt.
Der Empfehlung, von Herrn Wrase noch etwas durchzulesen, werde ich allerdings nicht nachkommen. Für derartige Entgleisungen, die sich der Herr Wrase hier erlaubt hat, habe ich, im Gegensatz zu Herrn Dörner, überhaupt kein Verständnis.



Sigi Müller
86956 Schongau

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Wolfgang Wrase
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Zwei Anmerkungen

Herrn Müllers Beiträge bestätigen mit jedem Mal mehr, daß er nicht viel von der Sache versteht. Ich habe meinerseits kein Interese, mich mit ihm auseinanderzusetzen; ich sagte ja bereits mehrfach, daß es sich nicht lohnt, mit bestimmten Leuten zu diskutieren. Deshalb nur noch zwei Anmerkungen zu dem, was Herr Müller als meine „Entgleisungen“ bezeichnet.

Zum einen ist es verwunderlich, daß er bei Lars Kerner nur die Anonymität mißbilligt, aber von Entgleisungen nichts bemerkt. Die sollen bei mir vorliegen, und zwar weil ich alle Gegner der Reform als Idioten mit BSE-induzierter Gehirnerweichung bezeichnet hätte. Es ist der Aufmerksamkeit von Herrn Müller wohl entgangen, daß es sich bei dem Text über die Verantwortung des Landwirtschaftsministeriums um eine satirische Glosse handelt. Ich habe sie keineswegs in Rage, sondern mit viel Vergnügen geschrieben. Daß Herr Müller sie als „Argumentation“ auffaßt, ist grotesk.

Zum zweiten: Ich bezeichne keineswegs alle Befürworter der Rechtschreibreform als bescheuert; wohl aber diejenigen, die wissen, daß die Fehlerzahl in der Süddeutschen Zeitung sich in den relevanten Bereichen innerhalb eines Jahres ziemlich genau verfünffacht hat und die dennoch für die Rechtschreibreform plädieren oder sogar heftig für sie kämpfen.

Stellen wir uns eine Zwangsdiät vor (einziger Zweck: Verminderung des Übergewichts), die trotz übler Nebenwirkungen und eines gewaltigen Aufwands bei einer Gruppe von Probanden das Übergewicht verfünffacht. Wenn nun ein Arzt oder sonst jemand diese Diät trotz dieses Befundes verteidigt, würde man ihn selbstverständlich als Idioten bezeichnen, als verrückt, als bescheuert oder wie auch immer.

Stellen wir uns eine Wirtschaftsreform vor, die das einzige Ziel hat, die Arbeitslosigkeit in bestimmten Branchen zu senken. Nach einem Jahr hoher Investitionen und gewaltiger Anstrengungen zeigt sich, daß die Reform in genau diesen Branchen die Arbeitslosenquote nicht vermindert, sondern vervielfacht hat. Wenn nun ein Politiker oder irgendein Bürger sagt: Diese Reform ist gut, denn sie senkt die Arbeitslosigkeit – was würde man von ihm halten? Ich würde selbstverständlich auch in diesem Fall von Idiotie reden.

Stellen wir uns ein Konzept zur Entschuldung eines Betriebes vor – einziger Zweck: Schulden vermindern. Nach einem Jahr intensiver Bemühungen stellt sich heraus, daß sich die Schulden verfünffacht haben, wobei andere Einflüsse so gut wie ausgeschlossen werden können und wobei nachweislich Konzepte existieren, die eine Senkung der Schulden sofort bewirken könnten. Wenn nun irgend jemand über dieses Konzept nach wie vor sagt: Es ist gut, denn es senkt die Schulden – dann ist er für mich schlicht und ergreifend bescheuert.

Wieso sollte das bei der Rechtschreibreform anders sein? Es wundert mich nicht einmal, daß es Leute gibt, die die Rechtschreibreform gut finden, auch wenn sie das Gegenteil ihres einzigen Zwecks bewirkt (außerdem zig Milliarden kostet, Streit und Verwirrung verursacht, täglich viele Millionen Irritationen bei Lesern nach sich zieht und so weiter). Ich sage dazu eigentlich nur: Mit solchen Personen ist jede Diskussion sinnlos. Mein Urteil brachte ich gegenüber einem Anonymus zum Ausdruck, der mir sagte: „Geh, korrigiere noch ein paar SZ-Ausgaben“ – er kannte also die Untersuchung. Ich wiederholte dieses Urteil, nachdem ich das wesentliche Ergebnis der Untersuchung, ebenso wie hier, zitiert hatte, und bezog es wiederum nicht auf alle Befürworter der Reform.

Selbstverständlich sind die meisten Befürworter der Reform keine Idioten, sie wissen einfach nur nicht Bescheid. Sie können sich nicht vorstellen, daß es eine solche Reform gibt, die nicht unter dem Strich irgend etwas bringen würde; sie vertrauen darauf, daß die „Experten“ schon etwas Sinnvolles erarbeitet haben werden; sie haben in der Zeitung gelesen, daß die Reform an den Schulen begrüßt werde, daß dort angeblich die Zahl der Kommafehler deutlich zurückgehe oder was dergleichen Propaganda millionenfach verbreitet wurde.

Oder noch einmal anders: Nehmen wir an, es gäbe eine Umfrage, in der realistisch aufgeklärt und anschließend gefragt wird, zum Beispiel: „Die Rechtschreibreform führt dazu, daß kaum jemand noch weiß, wie etwas geschrieben wird. Die Wörterbücher widersprechen einander bei mehreren tausend Einträgen, die Reform wird überall anders angewendet, die meisten haben sowieso keine Ahnung von den Inhalten. Die meisten Schriftsteller lehnen die Reform strikt ab, ebenso die meisten Wissenschaftler, unter anderem weil die Fehlerzahlen nicht zurückgehen, sondern gewaltig zunehmen. Das haben erste Untersuchungen eindeutig bestätigt. – Sind Sie unter diesen Umständen dafür, daß die Rechtschreibreform durchgeführt werden soll?“ Jeder kann sich ausmalen, welche Zustimmungsquote hier ungefähr zustande käme. Diejenigen, die dennoch die Reform befürworten, müßten sich wirklich nicht wundern, wenn sie von anderen als schwachsinnig angesehen werden. Ich meinerseits wäre dankbar, wenn mich jemand darauf hinweist, daß ich mich mit bestimmten Meinungen vor der Öffentlichkeit oder auch nur vor der Fachwelt lächerlich machen könnte, und würde zumindest diese Meinungen gewissenhaft überprüfen, bevor ich mich weiterhin damit aus dem Fenster lehne oder gar die Fachleute zu missionieren versuche.   



Wolfgang Wrase
München

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Theodor Ickler
16.12.2000 23.00
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ss und th

Zu Sigi Müllers Ausführungen:
Die alte Heysesche s-Schreibung ist leicht zu begreifen und zu lehren – aber schwer zu befolgen. Das lehrt die Erfahrung, und es gibt auch theoretische Begründungen dazu, die hier vor längerer Zeit abgehandelt worden sind. Übrigens müßte, wenn es um das Stammprinzip ginge, „schiessen“ wie „Schuss“ geschrieben werden, dann die Stammschreibung besteht, gerade darin, daß trotz unterschiedlicher Aussprache gleich geschrieben wird.
Das th ist eigentlich nicht durch eine Reform abgeschafft worden, sondern die Reform von 1901/02 besiegelte nur die nahezu schon vollendete Abschaffung. So sagte bereits Konrad Duden 1876, die Abschaffung des th in deutschen Wörtern sei hinreichend vorbereitet. Näheres in meinem Kritischen Kommentar. Dies nur zur Erinnerung, die meisten Leser werden es wissen.



Theodor Ickler
91080 Spardorf

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Christian Melsa
16.12.2000 23.00
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Kommentar zu Sigi Müllers Beitrag

Im Gegensatz zu Herrn Wrase bin ich der Ansicht, daß es sehr wohl lohnt, mit entschiedenen Reformbefürwortern zu diskutieren. Es dürte in gewissem Sinne ja sogar noch sehr viel sinnvoller sein, als das mit ohnehin Gleichgesinnten zu tun.

Herr Müller zum Beispiel mag tatsächlich nicht viel von der Sache verstehen (jedenfalls weniger als viele Beitragsschreiber hier), aber das kann sich ja ändern. Ohne die Kenntnis bestimmter Zusammenhänge und Punkte, auf die nicht jeder unbedingt von selbst kommt, ist es doch auch nicht ganz so überraschend, wenn Leute diese als so toll und zeitgemäß und längst überfällig verkaufte Reform in einer Zeit der Trendglorifikation und Aufgeilung an Jahrtausendwende und Zukunft und Internet und blablabla einfach ganz toll finden, daß sie sie mit Fortschritt verwechseln. Vor allem ist gut denkbar, daß so mancher gegenüber den eifrigen Reformkritikern das vorschnelle Urteil fällt, dies seien bestimmt alles ganz unbewegliche Konservative, ewiggestrige Traditionsfanatiker, die sich einfach automatisch gegen jede Progression stemmen wollen und bei jeder kulturellen Neuerung einen Schaden des Deutschtums befürchten. Dann fehlt nur noch ein bißchen IDS-Propagandaschrift, und die betreffende Person ist voller Gewißheit, daß die Reform eine gute, politisch korrekte Sache ist. Weil sie die niedlichen, kleinen, schwachen, schutzbedürftigen Schulkinderchen doch auch so immens entlastet – wer gegen so etwas ist, muß doch kinderfeindlich sein, ein rücksichtsloser Unsympath, der für sein ästhetisches Wohlempfinden die Leiden anderer ignoriert.

Falls Herr Müller doch noch hier reinschaut (was ich begrüßen würde), folgendes möchte ich ihm gerne auf seinen letzten Beitrag entgegnen:

Die neue ss/ß-Schreibung streift die neue Konformität im Plural ja nur zufällig am Rande. Man kann jedenfalls nicht von einer „Regel Nuss/Nüsse statt Nuß/Nüsse“ sprechen. Wenn Sie das so in der Schule unterrichten, bringen Sie den Schülern die falschen Kriterien bei. Zwar haben die Reformer selbst fälschlicherweise behauptet, durch die neue Regel würde die s-Laut-Schreibung nun einem konsequent funktionierendem Stammprinzip entsprechen, aber anhand solcher Beispiele wie „Fluss“ – „fließen“, „ich reiße“ – „er riss“, „so ´ne Scheiße“ – „so ein Beschiss“ erkennt man ja, daß immer noch Unregelmäßigkeiten vorhanden sind.

Welche Regelung die bessere ist, die „alte“ oder die „neue“, ergibt sich schnell, wenn man die extreme Zunahme der Fehler in diesem Bereich (auch bei Schulanfängern, die sich nicht umgewöhnen mußten) sowie solche Schreibungen wie „Missstand“, „Passstempel“ und derlei betrachtet.

Was „wohl riechend/wohlriechend“ betrifft, so ist es doch gerade immer der Clou gewesen, daß durch getrennte und zusammengesetzte Schreibung eine Bedeutungsdifferenz ausgedrückt wird. Wenn daraus normativ eins gemacht wird, wie etwa der Duden zwar neuerdings „wiedersehen“ wieder erlaubt, darin aber auch kein Unterschied zu „wieder sehen“ gemacht wird, dann hat die Existenz zweier Schreibvarianten einfach keinen Sinn. Natürlich kann man die Varianten zulassen, wie das in vielen anderen Fällen auch immer schon geschehen ist. Aber wenn es bereits in der Sprachgeschichte einen eindeutige Bedeutungsunterschied gab (oder besser gesagt: es ihn immer noch GIBT!, denn die Mehrheit aller Lesenden und Schreibenden nimmt das natürlich immer noch so wahr; selbst die heutigen Schulkinder dürften das nach Lektüre einiger gehobener Literatur bemerken), warum sollte man diesen Bedeutungsunterschied verwerfen? Was sind denn das für Sprachverwalter, die solche Maßnahmen zulassen? Bei einigen Wörtern ist der Bedeutungsunterschied so ausgeprägt, daß man dann genausogut rechtfertigen könnte, die beiden Wörter „schön“ und „hell“ zu einem zu verschmelzen, bzw. nur noch eines zuzulassen, daß dann immer beides bedeuten kann.

Natürlich hat es immer schon Formulierungen gegeben, die etwas unklar ausdrücken, und natürlich hat es auch immer schon Wörter gegeben, die eine schillernde Bedeutung haben (wie „umfahren“ – oder „miteinander schlafen“; komisch, das Beispiel wäre noch viel besser, da könnte man sogar tatsächlich Zusammenschreibung erwägen). Doch wenn eine Orthographie einen eleganten Trick aufweist, den Inhalt durch eine kleine Lücke zwischen zwei Wörtern oder eben ihr Fehlen noch viel treffender, kürzer, eindeutiger, stilistisch vollendeter auszudrücken, dann ist es doch eine Schande, gerade diese nette und nützliche Eigenschaft in der Schriftsprache, die es bereits lange gibt und nicht etwa erst eine neu einzuführende Idee wäre, abzutöten.

Von allem, was die Reform gebracht hat, ist die ss/ß-Schreibung formal gesehen noch das Gelungenste, da sie eigentlich kristallklar funktioniert. Doch im Vergleich zur bisherigen Lösung kann sie trotzdem nicht überzeugen. Wenn die Neuregelung der Rechtschreibung die überhaupt erste jemals aufgestellte Regelung wäre, dann könnte man von Kinderkrankheiten reden, aber die Orthographie war bereits schon einmal besser, durchdachter, funktionaler – einfach sprachgemäßer! Versucht man, die eindeutigen systematischen Mängel der Reform zu verdrängen, so bleiben nur noch ein paar überflüssige, irrelevante und zudem noch völlig willkürliche Änderungen von Schreibweisen einiger Wörter, die nun wirklich kein Mensch gebraucht hat. Die auch nichts nützen, da in den meisten Fällen dann auch noch nach 2005 in den Schulen die bisherigen Schreibweisen als Fehler angestrichen werden sollen!

Übrigens – gegen „Thür“ und „Thor“ hätte ich nichts einzuwenden. Wenn man es Anfang des Jahrhunderts unterlassen hätte, das h aus diesen Wörtern zu streichen, würde mich das nicht weiter stören. Die Existenz des Dehnungs-h in „wahr“ ist nicht viel berechtigter, denn trotzdem reimt es sich ja noch auf „Bar“. Wenn man erst einmal erkannt hat, daß sich die deutsche Orthographie nicht mehr auf ein phonetisches Prinzip trimmen läßt (zumal sie ja auch so völlig hinreichend funktioniert), dann kann man mit solchen Schreibweisen doch ganz gut leben. Hätte ich hundert Jahre früher gelebt, hätte ich die Streichung des h in „Thür“ usw. wohl auch als sonderbar empfunden und vielleicht dagegen protestiert, je nachdem, ob es aktuell noch mehrheitlich gebräuchlich war oder nicht. Damals wurde jedoch erstmals ein allgemeiner Standard gesetzt, das darf man nicht übersehen. Und man darf auch nicht übersehen, daß der damalige Vorgang, sei er auch ohne Rücksicht auf vielleicht berechtigte Einwände geschehen, sich in der Kaiserzeit abspielte. Offensichtlich ist das Wort „Demokratie“ heute doch nur einfach ein schönes Wort, faktisch aber eine Illusion. Sollte man das so hinnehmen? Das bundesdeutsche Grundgesetz enthält extra einen Paragraphen, der das Recht auf Widerstand gegen undemokratische Maßnahmen des Staates gewährt. Die Rechtschreibreform von 1996 ist nicht nur undemokratisch, sie ist geradezu antidemokratisch. Das weiß jeder, und doch ist es der politischen Macht egal: „Bürger, schluck es oder laß es sein / doch halt dich raus, misch dich nicht ein.“ Tolle Demokratie.



Christian Melsa
Veltheimstraße 26, 22149 Hamburg

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anonymer Gast
16.12.2000 23.00
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Verschiedenes

Wie in der Rechtschreibung insgesamt geht es auch bei der jetzigen Angleichung der ss-Regelung an die Doppelkonsonanz zur Markierung eines kurzen Vokals um ein Prinzip, das mit anderen kombiniert wird (z.B. dem Stammprinzip). Der Vorteil ist nun, dass es eine deutlich größere Übereinstimmung zwischen Stammprinzip und der Aussprache im Sinne dieser Doppelkonsonanz gibt. Ich schlage vor, dass man eine noch weitere „Harmonisierung“ wie in 'schiessen' (Doppel-s wie auch in 'schoss') nicht allein als Fehler in dem aggressiven Sinne der Wrase-Studie sieht, sondern, wie es in dem hier üblichen Sprachgebrauch positiv als „natürliche Weiterentwicklung“ gesehen wird. Das meine ich zunächst mal als Gedankenexperiment, noch nicht als Plädoyer (Agenturregelung Plaidoyer, da dort angeblich lebendige Sprachen nicht eingedeutscht werden). Meines Wissen ist das th durch eine andere Reform weitgehend abgeschafft worden, nämlich durch die so genannte „Schulorthografie“ von 1880. 20 Jahre später war dies mit Sicherheit noch nicht in dem Maße aus dem Gebrauch verschwunden, wie es die Regelung von 1901 abbildet. "Üblich-bewährt-Schreiber“ wird es wohl auch diesmal noch ein paar Jahre geben.

Zu den fantasievollen Vergleichen von Herrn Wrase (Diät und andere) kann ich nur sagen: Herr Wrase fordert aus seiner SZ-Studie radikale Konsequenzen, hält aber das Argument der Abweichungen zwischen den neueren Wörterbüchern in einer Weise aufrecht als hätte er die IDS-Studie hierzu nicht zur Kenntnis genommen. Das ist eben so eine Sache. Die IDS-Studie ist an einem Buchstaben durchgeführt worden und in sofern relativ; das gilt ebenso für das Korpus von Wrase, Marx und anderen. Ohne letztere Studien gelesen zu haben, sollte man mit der Aussagefähigkeit etwas vorsichtig sein. Die Fehler werden längerfristig zurückgehen, davon mit ich nach wie vor überzeugt. Die SZ-Studie ist noch einmal dadurch relativiert, dass bei der SZ größtenteils Journalisten arbeiten, die die so genannte „neue“ Rechtschreibung als Umlerner erworben haben. Das wiederum hat die Kultusministerkonferenz nicht behauptet, dass die Fehlerzahl bei Leuten zurückgeht, die die alte Regelung mehr als andere verinnerlicht haben. Bei Herrn Wrases Vorschlag für eine „neutrale“ Meinungsumfrage zum Thema erhält man ein weiteres Argument, dem Braten nicht ganz zu trauen. Man stelle sich vor, Herr Wrase wäre mit der gleichen Leidenschaft Anhänger von Gore oder Bush gewesen und man hätte ihn beauftragt, die zweifelhaften Stimmzettel auszuzählen. Ich kenne eine Zeitung, die hat erst nach dem gemeinsamen Termin auf neue Rechtschreibung umgestellt, und ist mit der Meinungsmache zu dem Thema eher Provinz-FAZ. Diese Zeitung trennt trotz Umstellung weiterhin k-k und s-t nach alter Regelung. Die schreibt auch so einen Unsinn wie „zurück kommen“. Würde ich zu dieser Zeitung eine Fehler-Studie machen, dann würde ich zu dem Ergebnis kommen, dass „selbst Schreibprofis nicht in der Lage sind, die neuen Trennregeln umzusetzen und dass das neue Regelwerk deswegen auf den Müll gehört“. Na, und wie sinnvoll wäre diese Schlussfolgerung? Eine gute Studie würde der Frage nachgehen, wie viele Fehler direkte Übernahmen aus Agenturfehlern sind. Man würde fragen, welche Korrelation es zwischen Meinung und Kompetenz gibt, was für Korrekturprogramme, wie wurden die Mitarbeiter geschult usw.? Nun, ich weiß nicht, ob Wrase dies alles tut. Asche auf mein Haupt: Ich halte die Studie von vornherein für zu unbedeutend, um mich mit ihr zu beschäftigen.

In dem Satz Wrases "...können sie mir erklären, warum ich 1998 nur einen „wohl riechenden“ Glühwein trinken konnte“ wird so getan, als wäre die Interpretation der Regeln diese selber. Nein, wohl + Verb (bzw. Partizip) ist ein Grenzfall. Der Duden sagt mit einzelnen Wörterbucheinträgen nicht mehr, was Rechtschreibung ist. Das muss man doch nun verstanden haben. Mit Ickler'schem Ansatz gibt es doch auch ein sowohl als auch; warum bei 'wohl' so verbissen?

PS: Was hab ich da irgendwo gelesen 'gleichgut bzw. gleichschlecht' zusammengeschrieben? Ist das ein Einzelphänomen oder eine Schreibentwicklung? Ickler, das wäre ein Stichwort für Sie...



Daniela Kopsch

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Christian Dörner
16.12.2000 23.00
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Von "wohl riechend" über "bis auf Weiteres" zu "Topp"

Wenn ich mir die letzten Beitrage ansehe, so muß ich feststellen, daß die Befürworter noch immer nicht verstanden haben, worum es eigentlich geht.

Zuerst ein Kommentar zu Frau Kopsch: Das Ziel der Reform war natürlich, lediglich ein paar krasse Zweifelsfälle aus der bisherigen Orthographie zu beseitigen. Keinesfalls sollten die Reformer eine neue Rechtschreibung entwickeln. Leider haben sie aber genau dies getan. Wenn es sich aber im Vergleich zur bisherigen Schreibung lediglich um eine Vereinfachung handelt – das behaupten die Befürworter und die Reformer –, dann müßte doch eine Zeitung wie die SZ erst recht keine Probleme haben, sich auf die neue – angeblich einfachere – Schreibweise einzustellen. Doch trotz des hohen Niveaus der SZ-Journalisten verfünffachen sich die Fehler in den geänderten Bereichen nach einem Jahr. Man muß außerdem davon ausgehen, daß Normalbürger erst in 10 Jahren soviel geschrieben haben werden, wie ein SZ-Journalist in einem Jahr. Das Ziel der Reform wurde eindeutig verfehlt. Auch bei Schülern, die nur die neue Schreibung kennenlernen, vermehrt sich die Fehlerzahl. Leider ist dies Fakt.

Noch etwas zu „wohl riechend“: Erstens stammt der von Frau Kopsch zitierte Satz nicht von Herrn Wrase, sondern von mir, und zweitens ist natürlich nicht richtig, was Frau Kopsch hier sagt. Bei „wohl[...]" gab es früher nicht das geringste Problem. Man muß nur einmal die betreffenden Seiten im alten und im neuen Duden aufschlagen und nebeneinanderlegen. Dann sieht man sofort, welche Regelung die kompliziertere ist. Die neuen Regeln sind so diffizil, daß sie nicht einmal der Duden versteht, denn seine Interpretation der Regeln in bezug auf „wohl[...]" oszilliert von Auflage zu Auflage. Duden 1996, Duden-Universalwörterbuch 1998 und Duden 2000 sagen jedesmal etwas anderes aus. 1998 interpretierte der Duden die Regeln noch so, daß „wohl riechend“ getrennt geschrieben werden *müsse*. Im Jahr 2000 ist es nur noch zusammen erlaubt, während bei dem exakt gleich gebauten „wohlschmeckend“ jetzt ein Wahlrecht besteht. Einfach ist das für den Lernenden auf keinen Fall. Im nächsten Duden – um was wetten wir, Frau Kopsch? – wird sich bei der Kategorie „wohl“ wieder viel geändert haben. Davon kann man ausgehen.

Im übrigen fällt auf, wie konsequent die Befürworter das Wörtchen „sogenannt“ getrennt schreiben, obwohl dies nur eine unbeabsichtigte Folge der undurchdachten Regeln ist. Die Getrenntschreibung wird sicher bald zurückgenommen, zumal die Abkürzung „sog.“ ja bereits wiederhergestellt wurde. Allein daran, daß die Befürworter selbst diesen – selbst von seiten der Reformer ungewollten – Unsinn konsequent nachvollziehen, läßt sich erkennen, welcher Ungeist der Reform zugrunde liegt.

Die neuen Schreibungen der Pseudosubstantivierungen sind ebenfalls nicht leichter als die alten. Wer jetzt plötzlich „des Weiteren“ schreiben muß, der wird es auch nicht einsehen, warum „bei Weitem“ und „bis auf Weiteres“ falsch sein sollen. Bei „im Allgemeinen“ und „alles in allem“ ist die Sache ähnlich. Eine Erleichterung? – Nein.

Wenn Herr Müller schreibt, daß „Tip“ jetzt wegen „tippen“ mit Doppel-p geschrieben werden müsse, dann muß man doch die Frage stellen, wieso man dann bei „Top“ – trotz des gerade bei den sogenannten Wenigschreibern häufig gebrauchten Wortes „jmd. toppen“ (=jmd. übertreffen) – völlig anders verfährt. Die Kultusminister haben ja auch noch mal etliches daran geändert. Der „Flop“ und der „Hit“ bleiben genauso wie „fit“ unangetastet. Dafür wird der „Mop“ zum „Mopp“. Wegen „moppen“? Hab ich zumindest noch nicht gehört. Einen Grund wird man nicht erkennen können.

Da kann man zur Rechtschreibreform nur noch sagen: außen Topphitts – innen Geschmack.



Christian Dörner
91058 Erlangen

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Theodor Ickler
16.12.2000 23.00
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Anmerkungen zu Frau Kopsch

Obwohl das Wesentliche schon oft gesagt worden ist, sehe ich keinen Grund, die sachlichen Streitpunkte immer wieder einmal zu erörtern, weil ja die Gesamtdiskussion äußerst ausgedehnt und nicht jedem Diskutanten jederzeit gegenwärtig ist. Daher folgende Hinweise zu Frau Kopschs letztem Beitrag (Dank auch an Herrn Doerner für seine sachkundigen Ausführungen!):
Die IDS-Studie, gemeint ist Güthert/Hellers Aufsatz zur vergleichenden Wörterbuchanalyse, wird ihrerseits in meiner Schrift „Propaganda und Wirklichkeit“ (hier auf der Rechtschreibseite zu lesen, Unterkapitel „Der Fall Heller/Bertelsmann“) analysiert. Frau Kopsch hätte hören sollen, wie Heller sich am Telefon wand, als ich ihm auf den Kopf zu sagte, daß er uns hinters Licht zu führen beabsichtige! Wenige Stunden später rief er bei der Redation der „Muttersprache“ an und veranlaßte, daß in seinem Aufsatz wenigstens ganz am Ende ein Hinweis auf die benutzte, bereits angeglichene Bertelsmannausgabe angebracht wurde. Für alle anderen Zwecke wurde dieser Hinweis unterdrückt, und die „Studie“ tat ihre betrügerische Wirkung. Ich habe übrigens Einblick in die von Bertelsmann und Duden angefertigten, geheimen Listen gehabt, aus denen die wirkliche, ungeheuer große Zahl von Abweichungen hervorgeht. Die beiden marktbeherschenden Unternehmen haben sich aus Gründen der Selbsterhaltung zusammengetan, um die Zahl der Abweichungen in weniger beunruhigende Dimensionen zu drücken. Man traf sich dann mehrere Male im Hause Duden, um konspirativ (unter Ausschluß der Öffentlichkeit wie der Mitbewerber) mit der Kommission einheitliche Schreibregelungen zu vereinbaren. Das Ergebnis: Duden stellt die Wörterbücher um, Bertelsmann sorgt dafür, daß die übrige Literatur umgestellt wird.

Die Schreibweise „schiessen“ usw. ist letzten Endes die Schweizer Schreibweise, die sowohl nach altem Duden als nach meinem Rechtschreibwörterbuch jederzeit möglich ist.

Die Trennung k-k ist die logische Folge aus der Tatsache, daß ck eine stellungsgebundene Variante von kk ist. Das bestätigt § 3 der Neuregelung; leider widerspricht die neue Silbentrennung dieser Einsicht. Das sieht auch Kollege Munske heute so, auf den die Nichttrennung von ck ja zurückgeht.

Das th in deutschen Wörtern wurde nicht 1880 abgeschafft.

Es gibt in der Tat eine Neigung, „gleichgut“ u. ä. zusammenzuschreiben. Mein Wörterbuch wird, soweit ich sehe, den Gegebenheiten gerecht. Das ständige Schwanken der reformierten Wörterbücher bei gleich-, hoch-, wohl-, wieder- spricht für eine tiefe Verworrenheit bei gleichzeitigem Festlegungszwang auch dort, wo nur Tendenzen zu beobachten sind. Ich verweise auf meinen Kritischen Kommentar, wo die Einzelheiten dargestellt sind.

Auch ich meine, daß „so genannt“ eine unbeabsichtigte Folge der neuen Regeln ist, denn Gallmann/Sitta wußten 1996 noch nichts davon. Damals sind in großer Hektik ständig neue Schreibweisen erfunden und wieder verworfen worden, so daß die Reformer, wie vielfach bezeugt ist, in keinem Augenblick die volle Übersicht hatten. Sie mußten aber dann einfach irgendwo zum Abschluß kommen, weil die politischen Auftraggeber die Nase voll hatten. Wenn man die schäbigen Hinterzimmervorgänge kennt, ist es natürlich besonders komisch, daß heute ganz normale Zeitgenossen glauben, das Wort „sogenannt“ aufspalten zu müssen!

Frau Kopsch verteidigt Positionen, die die Reformer selbst teilweise schon geräumt haben oder nur auf höheren Befehl noch halten. Ich werde den Hergang demnächst in meinem Buch „Regelungsgewalt“ auf über 300 Seiten noch einmal darstellen und hoffe, dadurch manche Diskussion überflüssig zu machen.



Theodor Ickler
Ringstr. 46, D-91080 Spardorf

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