Ein ewig langer Beitrag über Rechtschreibmethoden
Als Lehrer, der über lange Jahre in der Grundschule tätig war unter anderem hielt ich auch sogenannte LRS-Kurse (Betreuung von Schülern mit Lese-Rechtschreibschwäche) will ich einige meiner Methoden erläutern und auf die gegenwärtige Rechtschreibsituation Bezug nehmen. Laut Unterstellung von Frau Wagner unterrichte ich nach verjährter Didaktik und meine Methoden sind veraltet. Sie mag darüber befinden. Meine Einstiegsstunde für LRS-Kurse bestand immer darin, die Schüler aufzuklären über die breite Palette der Rechtschreibsinne (sehen, hören, deutlich sprechen, fühlen, spüren, üben, überdenken). Prinzipiell konnte ich feststellen, daß im Regelunterricht diese Palette häufig auf den visuellen Leitsinn verkürzt wurde. Deshalb wurden Schwächen der Schüler im Bereich der Akustik und der Lautierung oftmals nicht erkannt und somit auch nicht durch wichtige Übungen ausgemerzt. Einen schwerwiegenden Fehler begehen allerdings die Rechtschreibreformer. Sie gehen vorzugsweise von einer akustischen Wahrnehmungsfähigkeit aus (dem kurzen Vokal folgt eine Mitlautverdopplung). Dies allerdings ist aus drei Gründen falsch! Erstens: Die Regel der Mitlautverdopplung beinhaltet zahlreiche Ausnahmen (Bsp. Kurzwörter: in, ab, mit, As!! Tip!!, ex, Jet, Bus...), und bedarf der nachfolgenden Korrektur: Auch zwei verschiedene Mitlaute gelten als Verdopplung (Bsp.: Folge, Falte, Fenster, Kiste, Rast, Lust...). Zweitens: Das akustische Prinzip ist nicht zeitgemäß, denn weit mehr als 90 Prozent aller Schüler sind vorwiegend visuell gesteuert. Drittens: Den Schülern wird durch die fast ausschließliche Festlegung auf den Hörsinn die Möglichkeit genommen, das Wortbild durch andere Rechtschreibsinne zu stützen und zu festigen. Hierbei gilt es zusätzlich zu beanstanden, daß es im Zuge der ausufernden Variantenschreibung keine eindeutigen Wortbilder mehr gibt. Beispiele aus der Schulpraxis: Aus meinen Erfahrungen im Bereich der S-Laut-Schreibung kann ich zahlreiche Erfolge melden. Wörter mit "ß wurden von den Schülern mit Begeisterung trainiert und behalten. Das lag daran, daß in diesem Bereich alle Rechtschreibsinne aktiviert werden konnten. 1. Der Sehsinn: Im Bereich der visuellen Wortspeicherungstechniken wurde und wird in der Grundschule die sogenannte Geisterschrift als Wortspeicherungshilfe eingesetzt. Diese Geisterschrift basiert auf der Lineatur der 1.und 2. Grundschulklassen (vier Zeilen) und stellt die Buchstaben der lateinischen Ausgangsschrift als Striche dar. Dabei existieren folgende Darstellungsmöglichkeiten: a) Normallänge (o, a, e...), b) Oberlänge (b, l, t...), c) Unterlänge (g, p, y...) und d) Überlänge ( f und ß ) Den Wörtern, in denen Buchstaben mit Überlängen enthalten waren, wandten sich die Schüler immer als erstes zu, denn sie waren am leichtesten zu dekodieren, da es lediglich zwei Buchstaben gibt, die im Wortinneren als Überlänge auftreten können: das ß und das f . (Das ist nachvollziehbar, wenn man z.B. das in Schreibschrift notierte Wort Strafstoß in Geisterschrift umwandelt. Aufgrund seiner zwei Überlängen ist das Wort leicht zu entschlüsseln). 2. Der Sprechsinn (Kombination mit anderen Rechtschreibsinnen): Meine Übungen des Lautierens waren stets als Kombinationsübungen aufgebaut. Zum einen galt es ähnlich klingende Wortbeispiele zu trainieren, die sich gleichwohl bei klarer Aussprache deutlich unterschieden, zum anderen galt es hier Hör-, Fühl- und Spürerlebnisse zu aktivieren. Als Beispiel diene die Wortkette: Hase, hasse, Haß Wenig brachte hier der fachwissenschaftliche Hinweis auf stimmloses und stimmhaftes S, während die Wahrnehmung des S-Lautes als Zischlaut sehr wohl erkannt wurde. Jederzeit fähig waren die Schüler, die Herkunft dieses Zischlautes zu erklären. Hierzu genügte es, die Fühl- und Spürprobe einzusetzen. Die Hinweise: Achte beim deutlichen Sprechen auf deine Zunge, deine Zahnreihe und deine Backenmuskeln! Versuche den Windhauch auf deiner Handfläche zu spüren! brachten eindeutige Erkenntnisse. 3. Der "Übungssinn (Voraussetzung zur Regelfindung). Ebenfalls sehr einfach war es, durch sogenannte Analogiebildungen die Regel aufzubauen. Kuß, Faß, Schluß, Verdruß... legten die Einsicht nahe: ss am Schluß, bringt Verdruß! Durch Silbentrennübungen wurde die Regel ausgeweitet auf die Wörter (Küß-chen, Schüß-chen, Fäß-chen, muß-te) und ergänzt zu: Auch das ss am Silbenschluß, bringt in jedem Fall Verdruß! Im übrigen war das Arbeiten mit Farbkreide und Farbstiften (Visualisierung), nebst deutlichem Hinweis auf das Hören (kurzer oder langer Vokal) hierbei von entscheidender Bedeutung. 4. Einige spezielle Mätzchen des Rechtschreibunterrichts: Das Photographieren der Wörter und das Gedächtnis des Handgelenks. Gerade bei sogenannten Legasthenikern war generell ein fehlerhaftes Abschreiben von Tafelanschriften festzustellen. Buchstabe für Buchstabe übernahmen die verunsicherten Schüler in ihr Heft und unterbrachen bei längeren Wörtern wiederholt den Schreibprozeß. Deshalb wurden die Schüler aufgefordert, Photograph zu spielen, das Wort gestikulierend und schauspielernd von der Tafel abzuklicken und dann in einem Zug niederzuschreiben. Diese Übungen waren stets sehr lustig und förderten sowohl die Schreibgeschwindigkeit als auch die Rechtschreibsicherheit. Auch die Speicherabrufübungen brachten Erfolg, denn die Schüler wurden dazu angehalten, fehlerhafte Wortbilder zu eliminieren. Jeder Schüler mußte in seinem Heft ein Löschblatt führen, auf das er ein schwieriges Wort zunächst mit Bleistift aufspurte, ehe er es als Reinschrift mit Füller ins Heft einbrachte. Unter dem Motto: Was hat sich dein Handgelenk gemerkt, konnte neben dem sichtbaren Erfolg beim Ausschluß fehlerhaft gespeicherter Wörter mit dieser Technik zudem einer Verkopfung entgegengesteuert werden.
All diese Kenntnisse des sinnvollen Rechtschreibtrainings gehen den Reformern scheinbar völlig ab. Die an der Rechtschreibreform beteiligten Linguisten und Bürokraten haben zumindest den Bezug zur Schulpraxis vermissen lassen. Ihr Hang zur ausufernden Variantenschreibung ist der Tod des sinnvollen und richtigen Schreibens, denn die Schüler lechzen nach eindeutigen Wortbildern und gehen sehr wohl davon aus, daß es genau wie im Fachbereich Mathematik jeweils nur eine richtige und anerkannte Lösung geben kann. Noch krasser ist es, daß insbesondere im Rechtschreibsonderfalle der S-Laute eine methodische Einengung stattfand. Sowohl im visuellen Bereich als auch im Bereich der Regel hat man den Schülern wesentliche Eselsbrücken genommen und die Palette der Rechtschreibsinne verkürzt. Deshalb die Forderung: Zurück zum scharfen ß! Und dies nicht nur, weil das ß beim Lesen eine hervorragende Wortgliederungshilfe ist (vgl. Mißstand Missstand, Meßergebnis Messergebnis) sondern auch, weil es beim Schreiblernprozeß ein außerordentlich signifikanter Buchstabe ist, der das richtige Schreiben fördert.
Sollte Frau Wagner wichtige Zitate sowie den Bezug auf die wirklich großen Namen der Rechtschreibdidaktiker vermissen. Dann hat sie recht. Sollte Frau Wagner meine Methoden als veraltet bezeichnen, die mit absoluter Sicherheit von der Didaktik abgesegnet und vor allem von Erfolg gekrönt waren, dann ist das ihre Sache. Darüber hinaus ist es ihre Sache, die Missstände der neueren Didaktik sowie die der Neuschreibung hinzunehmen oder gegen sie anzukämpfen. Nicht jeder ist zum Kämpfen geboren. Dann aber mag man die Waffen generell ruhen lassen. Über die neuen didaktischen Pillen, die man heutzutage den sog. Legasthenikern reicht, lasse ich mich gerne aufklären. Sollte diese Pille Rechtschreibreform heißen, empfehle ich die Nebenwirkungen zu studieren und das Medikament schnellstmöglich abzusetzen.
Norbert Schäbler Hösbach
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