Zum Beitrag von Jansen, 2.1.2001:
Punkt Imbiß/Imbiss: Hier hat sich Ickler für eine Regelkonformität entschieden, nach der am Wortende nun mal immer ein ß steht. Ausnahmen gibt es bei noch ziemlich frisch in deutschen Sprachgebrauch importierten englischen Ausdrücken. Übrigens, ohne diskriminieren zu wollen, aber Imbißbuden würde ich nun auch nicht gerade als geeignete Leitinstanzen für Rechtschreibung ansehen, wenn man mal die Menütafeln so betrachtet... Falls Sie das anders sehen, Herr Jansen, dann würde mich mal interessieren, in welchen Imbißbuden es jemals die Schreibung Majonäse und Ketschup gab. Ach so, die Reformer wollten gar nicht den bereits vorhandenen Schreibgebrauch abbilden? Welchen Grund gab es dann stattdessen zur Änderung dieser Wörter? Mehr phonetische Nähe? Warum dann nicht gleich Kettschapp? Wo man doch ohnehin schon ändert, warum dann nicht gleich richtig, nach den eigenen Prinzipien? Oder ist das die rührende Behutsamkeit, mit der die Reformer angeblich dem empfindlichen Gebilde der Sprache nicht zuviel zumuten wollten, in Wahrheit aber nichts anderes als ein Gemisch von inkompetenter Willkür, Halbherzigkeit und Kompromiß ist, um die Reform, als deren Gestalter sie sich dann stolz zu rühmen können meinten, an so widerspenstigen Hindernissen wie Minister Zehetmaier vorbei in den sicheren Hafen zu schiffen. Und da glauben dann tatsächlich einige Progressivlinge hinterher, dieser Pfusch sei eine ausgewogene, gut durchdachte, gesunde Neuerung, längst überfällig, in der Linie der natürlichen Sprachentwicklung gar! Ach je, jetzt schweife ich wieder in die allgemeine Beurteilung ab...
Die Phänomene Konsonantendopplung usw. waren natürlich vor der Reform ebenso schon vorhanden und bekannt. Daß sie aber durch die Reform stärkere Beachtung in einem Regelwerk gefunden haben, bringt doch nichts, wenn diese Regeln am Ende doch nur die Begründung für diese und jene Einzelwortfestlegung, ja Einzelwortänderung (!) sind. Gerade der falsche Eindruck, den Sie beschreiben, die Reform würde die Regeln stärken, es sei alles systematischer geworden (während in Wirklichkeit die Systematik nur verlagert worden ist), führt doch zu den lästigen Übergeneralisierungen, die wie gesagt Gift für die Einheitlichkeit einer Orthographie in der Praxis sind. Doch kuriert das Gift vielleicht etwas? Worin besteht der Fortschritt, wenn vieles von jedem neuerdings anders als von seinem Nächsten geschrieben wird und sogar die Wörterbücher es sich in jeder neuen Auflage wieder anders überlegen? Die Frage zu Damwild/Dammwild Was soll man also machen? offenbart das Grundproblem einer Anschauung, es würde überhaupt Änderungsbedarf bestehen. Was man machen soll? Gar nichts! Es gibt doch bereits die völlig problemlos allgemein akzeptierte Schreibung Damwild. Nur weil dieses Wort, wie jedes existierende Wort sowieso, hin und wieder von dem einen oder anderen falsch geschrieben werden mag (aus welchen Gründen auch immer), muß die Normschreibung sich dem anpassen? Was ist das für eine Denkweise? Müßte dann auch in anderen Bereichen des Lebens das Falsche möglicherweise zu dem Richtigen umdefiniert werden, aus der nun doch sehr undurchdachten Annahme, dadurch würde es dann weniger (nominale) Fehler geben? Oberflächlicher geht es nicht, im wahrsten Sinne des Wortes. Sollte man also dann eine neue Variante einführen, damit sowohl Damwild als auch Dammwild richtig sind und sich vor allem zartbesaitete Kinder nicht mehr über einen roten Strich an dieser Stelle ihres korrigierten Textes gramen müssen? Und was ist dann mit den armen Seelen, die Dammwillt geschrieben haben, evtl. wg. Neumotivation zu Wille? Sollte das Mißerfolgsleiden von Schülern, das an anderen Stellen im Schulleben viel massiver und ungerechter ist (Sportunterricht als sofort einsichtiges Beispiel), nicht besser auf eine andere Weise abzumildern gesucht werden?
Ich glaube wie Sie, daß Reformbefürworter mit der Schilderung von Schäblers Methodik verspottet worden wären, aber nur insofern zu Recht, als daß sie sich viel Mühe mit didaktischen Maßnahmen machen, aber dann ausgerechnet die kompliziertere, schwierigere Rechtschreibregelung favorisieren; das würde ja wohl kaum richtig zusammenpassen. Die umfanglosere Regelmasse ist die der alten Rechtschreibung, die schon genügend praxistauglich war und darüber hinaus ja auch immer noch die in allen existierenden Druckwerken mit großem Vorsprung meistvorkommende ist. Herr Schäbler kann von seinen persönlichen Methoden zudem immerhin behaupten, gute Erfolge im Unterricht erzielt zu haben. Jedenfalls hat er nicht einfach Ideen von irgendwelchen als namhaft geltenden Didaktikgurus ungeprüft übernommen; das Kriterium ist hier nicht der Zeitgeist, was also nach Meinung gewisser Strömungen als veraltet und was als der letzte Schrei zu gelten hat, sondern der erfahrene Erfolg, das eigene Verständnis dessen, was man tut. Das ist die aufgeklärte Mündigkeit, die Kant meinte. Wäre sie verbreitet genug, würde ich vielleicht auch an den Humanismus glauben. Trotzdem gehe ich aber auch nicht davon aus, das Bestehende ließe sich nicht verbessern man darf nur nicht meinen, Bewährtes würde durch neue Ideen allein schon obsolet, als ob jede neue Idee allein wegen ihres jüngeren Alters schon die Überlegenheit gepachtet hätte. Daß automatisch alles Neue deswegen zweifelhaft sei, will ich damit natürlich aber auch nicht sagen. Übrigens, der Unterschied zwischen Überlänge und Oberlänge wird natürlich nur offenbar, wenn man sich die Buchstaben in Schreibschrift vorstellt. Dann reichen ß und f sowohl höher (wie b,d,h,t,k,l) als auch tiefer (wie q,p,g,j,y) als die restlichen kleinen Buchstaben, bilden somit also die vierte mögliche Kategorie. Sobald die betroffenen Schüler z.B. am Computer oder an der Schreibmaschine zu schreiben beginnen oder sich auch nur eine eigene Handschriftversion zulegen, funktioniert diese Kategorisierung so natürlich nicht mehr. Aber es geht ja in der Grundschule nur um die ersten Schritte für Anfänger. Beim Klavierspielen denke ich auch nicht mehr an die ersten Lektionen meiner Klavierlehrerin nach, es ist einfach eine verinnerlichte Fähigkeit geworden, die mittlerweile unbewußt abläuft, auf einer anderen Ebene.
Sie sind auf der richtigen Fährte, wenn Sie am Schluß schreiben, daß es um ein Erkennen der Unzulänglichkeit der Rechtschreibung geht. Unzulänglich war sie schon immer im Bereich der Systematik und ist sie noch immer, es mag darin anhand von Einzelfällen zwar geradliniger geworden sein, an anderen Stellen hat sich dafür aber wiederum eine Verschlechterung ergeben. Der vermeintliche marginale Fortschritt durch systematischere Einzelfälle (die nicht mal alle wirklich stimmig sind) wird durch die Lawine falscher Analogien erbarmungslos verschüttet. An der Frage des Damwilds haben Sie ja selber gezeigt, daß manche Fälle aus einer bestimmten Sicht völlig unmöglich für alle befriedigend lösbar sind. Gerade deswegen ist eine etablierte Rechtschreibung, die hundert Jahre lang von so gut wie allen Sprachteilnehmern als feste Orientierung galt (und für die meisten davon immer noch gilt), ein wertvoller Konsens, den man nicht antasten sollte, und wenn auch nur aus dem Grund der Gewöhnung der so unwichtig nun wirklich nicht ist. Nun, glücklicherweise gibt es in Sachen Rechtschreibung eben eine Menge Leute, die darauf achten, was ihnen in die Sprachnahrung gemischt wird, und daraus erklärt sich der Widerstand gegen die Reform.
Christian Melsa 22149 Hamburg
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