ß-Ligatur, Fraktur und Nationalismus, Kohl'sches Ehrenwort
Sehr geehrter Herr Prößdorf,
ich mache Ihnen ein riesiges Kompliment für Ihre Darstellung der Entstehung des Dreierles-s (ß) aus der Fraktur, beglückwünsche Sie auch zur Wahl der besonders schönen Frakturschrift. Meiner Einschätzung nach ist es die Walbaum-Fraktur, also keine »mittelalterliche« Schrift, sondern eine, die um 1800 in dieser Form gestaltet wurde von dem Schriftkünstler Justus Erich Walbaum, dem wir auch eine heute noch sehr verbreitete Antiqua-Schrift verdanken, die im Bleisatz zu den schönsten Schriften gehörte, in den heute verwendeten verschiedenen elektronischen Umsetzungen allerdings stark an Schönheit eingebüßt hat, teilweise bis zur regelrechten Häßlichkeit.
Besonders traurig ist, daß Sie es für notwendig halten mußten, die Verwendung einer Frakturschrift regelrecht zu entschuldigen mit den Worten, dies habe nichts mit nationalistischer Gesinnung zu tun (den genauen Wortlaut habe ich jetzt nicht vor mir). Ich wiederhole mich das ist schrecklich traurig!
Wie unsinnig es ist, die Verwendung einer Frakturschrift mit Nationalismus oder Nationalsozialismus in Verbindung zu bringen, ist oft genug dargelegt worden, auch daß die Nationalsozialisten die Frakturschrift schließlich sogar verboten haben mit der völlig idiotischen Begründung, es handle sich um eine »Judenschrift« (da haben die was von Schwabacher gehört, was nichts mit Schwabach zu tun hat, sondern mit einem Drucker namens Schwabacher, und der wurde für einen Juden gehalten, weil Juden oft so Namen haben wie Nürnberger, Mannheimer usw., also nichts als Quatsch. Ähnliche Volksetymologien erfreuen auch neuerdings wieder die Herzen der Freunde unserer Leitkultur). Ein Körnchen Wahrheit könnte insofern allerdings doch dahinter stecken, als man in Deutschland um 1800, als Nationalismus noch mit unschuldigem Idealismus, Humanismus und einem Streben nach demokratischer Freiheit zu tun hatte (Heine u.a.), also etwas völlig anderes war als im 20. Jahrhundert, Wert darauf legte, deutsche Literatur in Frakturschrift zu drucken im Gegensatz zu der bei den Franzosen damals schon verbreiteten Antiquaschrift. Damals entstand die von Ihnen (vermutlich) verwendete schöne Walbaum-Fraktur und einige andere nicht weniger schöne Frakturschriften.
Es ist aber noch viel schlimmer: Wer in kirchlichen Kreisen verkehrt, weiß, daß Bibeln und insbesondere Bibelsprüche, die man sich in Form von Postkarten gern schenkt oder zur innerlichen Erbauung an den Wänden hängen, meistens in Fraktur geschrieben sind. In der Tradition der klösterlichen Buchschreiber lernen heute noch Diakonissen (und wohl auch Mönche) Schriftschreiben mit der Redisfeder und schreiben sehr schöne, oft selbst gestaltete Frakturschriften, oder sie sticken sie in Altarschmuck und dergleichen. Wollte man pathetisch werden, könnte man sagen, Fraktur ist die Schrift des Wortes Gottes! Aber das wäre wirklich pathetisch.
Fraktur ist nämlich auch die Schrift der Literatur und der Poesie: In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und auch noch in ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg gab es sehr schöne Buchausgaben, die in Frakturschrift gesetzt waren, insbesondere bei der Insel-Bücherei. Im 20. Jahrhundert entwarfen bedeutende Schriftkünstler neue Frakturschriften: Rudolf Koch, F. H. Ernst Schneidler, Herbert Post, E. R. Weiß, Walter Tiemann von einigen weiß ich persönlich, daß sie mutige Gegner des Nazi-Regimes waren. Bedeutende Fraktur-Schriftschöpfer gab es außerdem seit Erfindung der Buchdruckerkunst auch in anderen europäischen Ländern, Italien, Frankreich, England (William Morris). Natürlich hat es keinen Sinn, hier in Nostalgie zu verfallen oder gar sich eine Renaissance der Fraktur herbeizuwünschen. Aber man sollte sich auch nicht entschuldigen müssen, wenn man Fraktur schreibt sondern wenn einem da jemand Deutschtümelei vorhält, dann sollte man mit dem Fraktur reden!
Leider ist die Fraktur, auch in besonders wenig schönen Ausformungen und orthographisch völlig daneben, heute wieder beliebt zur Bekundung besonderer Urigkeit, etwa bei Wirtschaften. Da wird dann das lange s völlig ignoriert oder völlig irrwitzig eingesetzt. In einem Ostseerestaurant habe ich eine Speisekarte gesehen, da wurde nur das lange s verwendet, auch am Wortende, das sah dann so aus (ich schreibe f statt dem langen s: »Feinef auf Pfanne und Schmortopf« oder »Deftigef auf Mutterf Küche«. Auch die Bayern lieben es, ihre Bodenständigkeit durch die Verwendung besonders fetter und teigiger Frakturbotschaften zu beteuern. Das ist leider auch so etwas wie Volksetymologie oder Volkstypographie, was soll man dagegen machen!
Da wir hier alle immer auch aneinander herumnörgeln müssen, empfehle ich Ihnen nichts für ungut die paar Tippfehler noch auszubessern und, das lernt man in der Schriftsetzerlehre, die Trennungen zu verringern. Vier Trennungen untereinander: da schlägt der Setzermeister dem Stift mit der Reglette auf den Winkelhaken, kippt ihm das Schiff vor die Füße und der arme Junge kann von vorne anfangen mit der mühevollen Arbeit.
Und nun noch etwas in eigener Sache: Für einen, der sich mit Theaterdonner von dieser Seite verabschiedet hat (nämlich weil man ihn ohne nachvollziehbare Begründung mehrfach vor die Tür gesetzt hat), mit Kohl'schem Ehrenwort, hier nie wieder unter seinem Namen zu erscheinen, müßte es eigentlich peinlich sein, nun plötzlich wieder so massiv hier aufzutreten. Das hat den einen Grund, daß ich hoffe, so Herrn Kohl, der hier sicherlich das Geschehen aufmerksam verfolgt, auch seinerseits dazu zu bewegen, sein Ehrenwort fahren zu lassen und somit seiner persönlichen Ehre wieder zum Aufschwung zu verhelfen. Zum andern ist es leider wahr, daß der Widerstand gegen die Rechtschreibreform für politische Wühlmäuse brauner Couleur als trojanisches Pferd mißbraucht wird, um ins Gespräch zu kommen mit arglosen Menschen, die nichts anderes wollen, als gegen diese Reform zu protestieren. Und dann befindet man sich plötzlich in einer höchst anrüchigen Gesellschaft, die nationalistisches Gedankengut gehässigster Natur vermengt mit einem Anliegen völlig anderer Art, die allerdings so feige ist, daß sie jedesmal mit Entrüstung beteuert, sie sei ja überhaupt nicht »braun«, man müsse das beweisen, Roß und Reiter, Zitate usw., sich als von »politisch Korrekten« an den Rand gedrückte Minderheit selbst bemitleidet, also nicht einmal den Mut hat, zu ihrer mickrigen Gesinnung sich zu bekennen, so wie das die nun auch nicht gerade beispielhaften »Altlinken« getan haben, die aber jedenfalls nie einen Zweifel daran ließen, daß sie »links« stehen, und zwar extrem mit allen grausamen Konsequenzen. Diese Gefahr ist viel konkreter, als die, durch Verwendung einer Frakturschrift als Deutschtümler hingestellt zu werden. Und weil auf der Diskussionsseite, die alternativ zu dieser Rechtschreibreform.com-Seite dieser politische Hintergrund auch für den wohlwollendsten und demokratischsten Diskutanten nicht mehr zu übersehen ist, das Diskussionsniveau dort überdies auf einem Tiefpunkt angekommen ist, an dem man als ernsthafter Mensch nicht angetroffen werden sollte, kehre ich sozusagen reumütig hierher zurück, und hoffe, von solchen Kursrichtungen hier nichts erleben zu müssen.
Nochmals ganz herzlichen Dank, lieber Herr Prößdorf, für Ihre sehr anschauliche und schön gestaltete Darstellung der Dreierles-s-Ligatur. Und wenn Sie jetzt noch eine schöne Ligatur für »MfG« erfinden, dann will ich Ihnen diese »Sünde« auch noch gerne nachsehen, wobei ich soeben ich schreibe den Text in WORD feststelle, daß Bill Gates die Dürftigkeit dieser Grußformel erkannt hat und sie per Autokorrektur in den vollen Wortlaut automatisch umwandelt.
Ihr Walter Lachenmann
Walter Lachenmann Krottenthal 9, 83666 Waakirchen
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