Tschichold irrte - somit auch Herr Prößdorf
»Übrigens Die Ligatur ß gilt heute als e i n Buchstabe (Duden, 1991, S.72). Noch Fragen?« Nein, aber Antworten:
Aus dem Zitat geht hervor, daß ß effektiv eine Ligatur i s t , und als ein Buchstabe g i l t . Es steht aber nicht da, daß es ein B u c h s t a b e i s t .
Also: wir sind so schlau als wie zuvor. Nein: schlauer.
Denn Herr Janßen (ich verleihe ihm hiermit das goldende Dreierles-s mit Eichenlaub und Schwertern, direkt aus dem schwäbischen Lustschloß Solitude) hat r e c h t :
Es ist ursprünglich oder zumindest in historischer Zeit eine Ligatur aus dem langen s und dem z. Diese Vermutung legt sich mir nahe, nachdem ich in dem Buch »Schriftkunst« von Albert Kapr (Dresden 1955, dennoch politisch unverdächtig) Beispiele gesehen habe, die ich aus technischen Gründen hier nicht als Faksimile darstellen kann, Sie müssen es mir glauben. (`f= langes s, z = langes nach unten geschwungenes z)
Den vordantz hat man mir getan dann jch on nutz vil buecher han die jch nit lyß / vnd nyt ver`ftan (ly`fz) (Narrenschiff, Basel 1494)
Im gleichen Buch gibt es mehrere Beispiele, daß das Wort »daß« auch »daz« geschrieben (Druck) wurde, mit dem langen, nach unten geschwungenen z.
Hertzog Arnold auß [´fz] Ba(yern) (Frakturtype aus dem Turnierbuch des Sigismund Feyerabend, Frankfurt 1566)
Ich bin ge`fchickt mit der preß So ich aufftrag den Firniß reß / ...... (Jost Amman 1598)
Aber wir werden gleich noch viel schlauer. Es handelt sich nämlich gar nicht um ein deutsches Zeichen, Ligatur oder Buchstaben, auch nicht um ein schwäbisches.
Aus der Werkstatt des Druckers Robert Etienne, Paris 1544, kommt die Granjon-Kursiv, und das Schriftmusterbuch enthält ein wunderschönes ß in dem Wort »aßociation«.
Das Dreierles-s gab es auch schon im Schreibbüchlein des Cresci, Rom 1570, in einer »cancellaresca corrente«, also einer geschriebenen Kanzleischrift in dem Wort »pretiosiß...« danach eine Arabeske, die wohl »issima« darstellen soll.
In einem Beispiel aus dem Jahr 1560, Werkstatt des Michael Vascosan, ein schönes Blatt aus der Garamond kursiv, mit Beispielen eines lateinischen Textes: Princeps illu´fstrißime.. / doctißimi / sanctißimi Diese ß haben aber schon deutlich die Form, die wir heute kennen, also es ist weder ein kleines s noch ein altes z deutlich auszumachen.
Wenn der berühmte Tschichold sich geirrt hat, kann man auch Herrn Prößdorf seinen Irrtum nicht verübeln.
Es geht ja doch auch darum, welche Funktion dieses Zeichen inzwischen in unserer geschriebenen Schrift eingenommen hat, und das war vor der Rechtschreibreform eine vernünftigere als die in der Reform. Weder spreche ich mir beim Schreiben meinen Text vor und schreibe meinem Sprechen nach, noch spreche ich ab dem 2. Schuljahr den gelesenen Text mit und orientiere mein Verstehen am so Nachgesprochenen. Sondern beim Lesen erfasse ich Wortbilder, oder gar Wortgruppenbilder, und je differenzierter und markanter und vertrauter diese sind, umso leichter fällt das Lesen und umso leichter fällt auch das Verstehen, nämlich wenn ich nicht an dem geschriebenen Text herumrätseln und ihn entziffern und die Buchstaben nachzählen muß. Dazu helfen Wortfugen, diese gehen bei der neuen ss/ß-Regelung weitgehend verloren, die Beispiele sind oft genug genannt worden: Basssolo gegen Baßsolo, Messergebnis gegen Meßergebnis.
Jetzt Herr Janßen sind Sie dran: Warum ist Basssolo besser als Baßsolo? Oder Messergebnis als Meßergebnis? Warum sind Schlammmassen besser als Schlammassen? Bekommen Sie überhaupt soviel Auf-und-abs ohne nachzuzählen hin, wenn Sie das zu Papier bringen müssen? Ich weiß, wovon ich rede: ich heiße Lachenmann. Was glauben Sie, wie schwer es fällt, diesen Namen zu schreiben nach dem »che«.
Noch Fragen, Herr Janßßen?
Walter Lachenmann Krottenthal 9
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