richtige und falsche Ansätze der Lehre erkennen
Man darf bei der Frage Was wollen Schüler? nicht den Fehler machen, die bequeme Lösung anzustreben, ihnen einfach alles zu geben, was sie haben wollen. Das ist ja nicht der Sinn und Zweck von Schule. Andernfalls müßte man den meisten von ihnen konsequenterweise ständig schulfrei geben.
Wenn in der Schule das Schreiben gelehrt werden soll, und zwar nicht nur als Formalitätsübung, sondern sinnerfüllt als Werkzeug des Ausdrucks, dann muß man den Schülern auch beibringen, daß bei solchen Wahlmöglichkeiten wie Christian Dörner ausführt beide Fälle ihre Berechtigung haben und es eben Kriterien gibt, aufgrund denen die eine oder andere Variante vorzuziehen ist. Darüber hinaus muß man ihnen genügend Sprachgefühl vermitteln, um sie in die Lage zu versetzen, in Grenzfällen, die es in einem lebendigen Gebilde wie der Sprache immer gibt, selbst entscheiden zu können. Das geht aber nicht, indem man sie mit einem Wust von Theorie vollstopft (wie es die Tendenz der Reform ist), dessen Gehalt diese ohnehin erst in der Praxis lernen werden.
Zuerst lernt ein Grundschüler das Konzept, das hinter einem Alphabet steht. Gleichzeitig wird ihm die richtige manuelle Schreibtechnik beigebracht. Die ganze Schriftwelt ist noch völlig neu für ihn und daher kann er mit Uneindeutigkeiten nichts anfangen, eben weil sich noch kein Gefüge in seinem Inneren bilden konnte, in das er diese einordnen könnte. Es ist noch kein intuitives Empfinden entstanden, das ihm den sicheren Umgang mit Varianten gestattet. Das kann auch erst mit der Zeit entstehen, indem er sich mit der Materie Text und übliche Verschriftung von Sprache regelmäßig beschäftigt, indem er also möglichst viel liest.
Erst daraufhin ist er in der Phase des Schreibenlernens angelangt, in der er sich mit den subtileren Ausdrucksmitteln der Schrift befassen kann. Dieser Übergangsphase muß man sich in der pädagogischen Didaktik bewußt sein. Der Ansatz der Reformer geht nun teilweise dahin, die Schreibnorm irgendwie so zurechtzubiegen, daß man auch ohne diese Übungsphase in der Lage sein sollte, eindeutige Festlegungen zu machen; ohne den Abschnitt, sich mit der Welt der Literatur, der Schrift, des Textes, ihren semantischen Eigenarten vertraut zu machen. Mit anderen Worten: Festlegungen aufgrund der Form von Wörtern, ohne ihren Inhalt kennen zu müssen. Das ist einer der grundlegenden Fehlanschauungen, der die Reformer wohl erlegen sind: Daß das Schreiben sich auf pure Technik reduzieren ließe. Das ähnelt dem menschlichen Verhalten von Personen, die autofahren (schreibe ich jetzt absichtlich auch mal so), einfach, weil sie autofahren möchten, ohne daß sie eigentlich ein bestimmtes Ziel erreichen möchten. Sie fahren nicht aus dem Grund, aus dem Autos ursprünglich erst erfunden wurden, nämlich für den Transport, sondern aus reinem Selbstzweck, da sie das Auto nun mal haben und es so toll finden. Das ist natürlich im Grunde genommen eine Perversion, und es wäre für das Verkehrswesen ziemlich problematisch, wenn alle Autos Roadster wären.
Wie Wolfgang Wrase am Beispiel zu_lassen detailliert gezeigt hat, gibt es verschiedene Gründe, die eine Zusammenschreibung motivieren können, während die Getrenntschreibung in einiger Hinsicht ebenso ihre Berechtigung hat je nachdem natürlich, was mit dem Wort eigentlich gesagt werden soll. Das Schreiben gut zu beherrschen, heißt eben nicht allein, reinen Formalitäten zu genügen, sondern auch gleichsam durch die Schrift zu sprechen. Dazu dient die Schrift ja auch überhaupt eigentlich.
Christian Melsa 22149 Hamburg
|