Glassplitter
1. Argument für zu lassen = geschlossen lassen Wer dieser Gleichung entsprechend schreibt, wendet die Grundregel der Rechtschreibung an: Schreibe Gleiches gleich. (Hier ist mit Regel auch zunächst nichts gemeint, was es zu befolgen gilt, sondern ein Prinzip, auf das sich, zusammen mit der Entsprechung Schreibe Verschiedenes verschieden, alle möglichen Erscheinungen einer gewachsenen Einheitsschreibung zurückführen lassen.) Wer also zu als geschlossen auffaßt, kann analog zu geschlossen lassen getrennt schreiben.
2. Argument für zu lassen = geschlossen lassen Es wiegt formal genauso stark wie das erste Argument, nämlich die Rückseite desselben Grundprinzips wird angewendet: Schreibe Verschiedenes verschieden. Weil zulassen auch erlauben bedeuten kann, liegt die Differenzierung zu lassen für die Bedeutung geschlossen lassen nahe.
Zwischenbemerkung: Diese beiden Argumente orientierten sich an einem Hauptkriterium der Getrennt- und Zusammenschreibung, nämlich der Bedeutung. Wie sieht es mit dem zweiten Hauptkriterium aus, der Betonung?
1. Argument für zulassen = geschlossen lassen Schreibe Gleiches gleich nach der Betonung, also zulassen wie zuarbeiten, zugestehen, zuhören, zurechnen, zureden, zuschreiben und viele andere. Eine starke Reihenbildung.
2. Argument für zulassen = geschlossen lassen Die Reihenbildung greift über zu noch hinaus, denn zu gehört in die Gruppe von Verbzusätzen, die mit Präpositionen gleichlauten und fast sämtlich in Kontaktstellung zusammengeschrieben werden: zulassen usw. wie ableiten usw., aufgreifen usw., nachstellen usw., vorbereiten usw. und viele andere. Eine gewaltige Reihenbildung. Schreibe Gleiches gleich? Falls die Betonung den Ausschlag gibt, spricht alles für die Festlegung auf zulassen.
3. Argument für zulassen = geschlossen lassen Schreibe Verschiedenes verschieden nach Betonung, also zulassen (vorne betont) anders als zu lassen (hinten betont).
4. Argument für zulassen = geschlossen lassen Stelle Eindeutigkeit her, vermeide Fallen und Mißverständnisse. Das entspricht hier der Notwendigkeit, die Argumente zu gewichten. Falls man zulassen zusammenschreibt, besteht dann die Gefahr, daß der Leser erlauben versteht, obwohl geschlossen lassen gemeint ist? Solche Fälle sind nicht auszuschließen, dürften aber fast nie vorkommen. Falls man um die mißverständliche Formulierung nicht herumkommt, zum Beispiel bei der wörtlichen Abschrift eines Interviewprotokolls, wäre in der Tat die differenzierende Getrenntschreibung angezeigt; andernfalls eine andere Formulierung. Umgekehrt wird der Leser vermutlich in den meisten Fällen irregeführt, wo zu lassen trotz Vorne-Betonung getrennt geschrieben wird, weil zu in aller Regel nicht betont wird. Wenn man diese Irreführung des Lesers vermeiden will, muß man zusammenschreiben!
5. Argument für zulassen = geschlossen lassen (im Infinitiv) Besonders schwer wiegt die Gefahr des Mißverständnisses natürlich beim Infinitiv, weil es auch den Infinitiv mit zu gibt: Ich bitte dich, das zu lassen. Soweit man die Gruppe zu + Infinitiv als Leser überblickt, und das dürfte normalerweise der Fall sein, ergibt sich ein besonderer Anreiz, die Falle der falschen Betonung zu ersparen; anders gesagt, hier droht nicht nur die Verwechslung mit der unbetonten Präposition zu, sondern zusätzlich die Verwechslung mit dem unbetonten Infinitiv-zu, also eine erhöhte Gefahr der Verwechslung mit unbetontem zu. (zu lassen liest sich zwingender mit falsch versuchter Betonung auf zu als zum Beispiel zu läßt.)
Es spricht also alles dafür, bis auf ganz wenige Ausnahmen, in denen eine Verwechslung mit der Bedeutung erlauben ausgeschlossen werden soll, zulassen auch in der Bedeutung geschlossen lassen zusammenzuschreiben, besonders im Infinitiv (der auch bei dem zitierten Text vorlag: Läden zulassen ...). Ein Fehlversuch des Lesers mit unbetontem zu ist sonst fast sicher (Läden zu lassen). Oder? Man sehe sich das Beispiel an.
3. Argument für zu lassen = geschlossen lassen Wie das Beispiel Läden zulassen zeigt, kann es doch irgendwie unangenehm sein, daß zulassen in aller Regel die Bedeutung erlauben hat. Selbst wenn ziemlich sicher ist, daß das hier nicht gemeint ist zulassen sieht einfach aus wie erlauben, weil es das meistens auch bedeutet. Das entspricht einer stärkeren Gewichtung von Argument 2 für zu lassen, ebenfalls anhand der Statistik. Also doch getrennt (zumindest wenn lassen flektiert ist)?
4. Argument für zu lassen = geschlossen lassen Handelt es sich um einen Zweifelsfall? Die Getrenntschreibung entspricht der uralten und meist nützlichen Faustregel: Im Zweifel schreibe man getrennt.
Zusammenfassung: Es gibt Argumente für und gegen die Zusammenschreibung, die spontanen Anreizen bei den einzelnen Schreibern entsprechen, sich für die eine oder auch für die andere Lösung zu entscheiden. Daher dürfte es, insbesondere bei Flexion, tatsächlich einen Anteil von Getrenntschreibung geben, den man schlecht einfach verleugnen kann, wenn man den Schreibgebrauch darstellen will. Auch wenn die Zusammenschreibung deutlich überwiegt, wäre es angemessen, sie zu empfehlen, aber nicht sinnvoll, die Getrenntschreibung, für die sich immerhin anhand des Hauptkriteriums Bedeutung drei Argumente finden ließen, als falsch zu bezeichnen und im Wörterbuch zu unterschlagen. Es sei denn, es wäre dem Wörterbuch erläuternd vorausgeschickt und/oder dem Benutzer klar, daß jederzeit grammatisch zulässige Wortgruppen nicht überall angeführt werden, wo eine entsprechende Zusammenschreibung existiert; wenn zum Beispiel etwas zu ist (das entspricht hier einem Adjektiv geschlossen), dann kann es grammatisch gesehen auch zu bleiben, man kann es zu machen und zu lassen. Das ist aber ein grundsätzliches Problem der Wörterbuchgestaltung und hat mit der Frage der Zulässigkeit von einzelnen Schreibungen nichts zu tun.
Im übrigen stimme ich den glasklaren Ausführungen von Professor Ickler wieder einmal zu. Ich habe anfänglich heftig gegen die breite Fakultativschreibung in seinem Wörterbuch proTestiert, habe aber inzwischen einsehen müssen, daß jedenfalls das Konzept in die Irre führt, alles festlegen zu wollen. Je besser und gerechter man das zu unternehmen versucht, desto mehr Einzelfestlegungen und Differenzierungen würden sich bei jedem fraglichen Stichwort anhäufen, und der Benutzer wäre um so verwirrter und ratloser gewesen, wenn der Duden sein Vorhaben noch weitergehend verwirklicht hätte, in jedem Zweifelsfall Festlegungen zu treffen. So ist er bei einem faulen, bereits höchst inkonsequenten Kompromiß stehengeblieben, in Zweifelsfällen ein, zwei Kriterien zu benennen, wobei er Gewichtungen und weitere Differenzierungen (zum Beispiel die Umfänglichkeit der Flexion) unterschlagen hat und in kaum vorhersehbarer Weise einmal der Betonung, ein anderes Mal der Bedeutung, ein drittes Mal einem Unterscheidungsaspekt den Vorrang zugesprochen hat.
Ein ähnliches Problem ergibt sich natürlich hinsichtlich zweier Fragen beim Rechtschreibwörterbuch: Sind die drei Möglichkeiten zusammen/getrennt/fakultativ zusammen realistisch und ausgewogen angewendet worden? Wo immer man solche Einteilungen vornimmt, ergeben sich Probleme der Grenzziehung und zahlreiche unvermeidbare Inkonsequenzen bei benachbarten, das heißt sehr ähnlichen, aber doch nicht deckungsgleichen Fällen. Und: Wo die Möglichkeit bzw. der Befund fakultativ verzeichnet ist, kann man dann nicht doch, wenn nicht Regeln, so doch Empfehlungen formulieren, die eine Entscheidung erleichtern oder ein Gefühl dafür geben, was im Einzelfall zumindest besser ist? Was das erste Problem betrifft, muß der Entscheidung zunächst die statistische Prüfung des Textbestandes vorausgehen, die Professor Ickler vorgenommen hat (wenn auch vielleicht noch nicht bei wirklich jedem fraglichen Eintrag). Zur zweiten Frage meine ich, daß das Wörterbuch sowohl im Regel- bzw. Erläuterungsteil als auch im Wörterteil Empfehlungen und Hinweise in einem ausgewogenen Verhältnis von Übersichtlichkeit und Differenzierung bereithält.
Wolfgang Wrase München
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