Sprachverwaltung und Sprachpflege
Lieber Herr Ickler,
so gerne ich in Ihnen einen Menschen gefunden habe, dem ich immer wieder freudig zustimme: in Ihrer Theorie gibt es meines Erachtens doch einige kritische Punkte, etwa auch den, der bei »zufrieden stellen« eben nicht zufriedenstellend ist, nicht nur für mich, sondern offenbar auch für andere Reformkritiker. Bei diesem Beispiel muß man sich tatsächlich Mühe geben, einen Fall zu konstruieren, wo die Auseinanderschreibung mißverständlich wäre oder einen anderen Sinn ergäbe. Dennoch wirkt sie befremdlich. Ob sie in der Praxis abgesehen von dem, was jetzt durch die Reform alles angerichtet wird tatsächlich in nennenswerter Weise gebräuchlich war oder ist, wissen Sie vielleicht besser, mir erscheint es völlig unüblich.
Also gibt es neben der Frage der Ein- oder Mehrdeutigkeit auch die Frage der (größeren) Üblichkeit.
Die Reformerfestlegung »fertig stellen« ist mir als Sprachwirklichkeit in meinem gut 60jährigen Leser- und Schreiber- (und Verleger)leben noch niemals begegnet. Soll man diese Formen jetzt als Sprachwirklichkeit begreifen, weil die Reformer sie konstruiert haben und uns als Norm vorschreiben wollen?
»Nietzsche war der erste Philosoph, der die Bedingtheit unserer Gedanken durch die grammatische Struktur der Sprache offen legte.« (SZ)
Was sagen Sie dazu? Das paßt zum Thema und gibt zugleich ein drastisches Beispiel für die Wahrheit des Gesagten. Da kommt erst eine nachdenkenswerte und interessante Aussage, dann wird sie durch eine völlig bescheuerte »grammatische Struktur« beschädigt oder wenigstens durch eine überflüssige neumodische orthographische Praxis. Der Lesefluß ist unterbrochen, die Konzentration auf den ohnehin nicht einfachen Text gestört, die Bedingtheit der Gedanken des Lesers sind negativ beeinträchtigt, er ist sauer, ich jedenfalls war es, als ich das las, und mochte den interessanten Aufsatz nicht weiterlesen. Es gibt inzwischen tausende solcher Beispiele, die vielleicht wörterbuchtechnisch »möglich« sind, aber mit der gewohnten Praxis brechen, das Lesen deshalb stören und auch durch Gewöhnung keine Vorteile beim Lesen und Verstehen bringen werden, sondern in vielen Fällen tatsächlich auch noch Mehrdeutigkeiten zulassen (bemühen wir kein weiteres Mal das »wiedersehen« und das »wieder sehen« usw.)
Sicherlich kann man in alten Texten, etwa gerade bei Nietzsche, ungewohnte orthographische Formen finden, die beweisen, daß sie nicht »falsch« sein können, weil sie ja angewandt worden sind. Aber die Schreibgewohnheiten haben doch dazu geführt, daß vieles eindeutiger geworden ist, eben beispielsweise durch Unterscheidung mittels Auseinander- oder Zusammenschreibung.
Wenn ich ein Wörterbuch zu verfassen hätte, würde ich versuchen, Formen nicht aufzunehmen, die zwar möglich, aber wie beim Beispiel »fertig stellen« unüblich sind und eigentlich auch nur per Zufall nicht mißverständlich. Bei »richtig stellen« sieht die Sache schon wieder anders aus. Hier gibt es Bedeutungsunterschiede und je nach Schreibweise könnte es auch Mißverständnisse geben, erst recht für jemanden, dem die Sprache nicht vertraut ist, der sie erst lernt.
Ein ähnliches Phänomen gibt es in der Numismatik. Da gibt es Sammlerkataloge. Die einen enthalten alle Münzen, die ein Land offiziell ausgegeben hat oder ausgibt. Viele Länder, etwa der Dritten Welt, lieben es, hoch offiziell herrliche Münzen zu prägen, die von Sammlern für teuer Geld gekauft werden sollen, aber im Land selbst nie in Umlauf kommen, die sogenannten Pseudomünzen. »Seriöse« Sammler sammeln diese Münzen nicht, »seriöse« Kataloge führen sie auch nicht auf. Vielleicht kann man es in der Orthographie ähnlich machen mit den Kuriositäten, oder diese als solche kennzeichnen, vielleicht mit einem Smiley, etwa so ( :-{) , diese Albernheiten liebt man doch neuerdings so sehr und hier hätten sie sogar einen Sinn.
Diskutieren wir das doch mal weiter, wenn Sie Lust haben. Da gäbe es noch viel zu bedenken. Auch Ästhetisches, wenn es um die Pflege der Sprache gehen soll und nicht nur um deren Verwaltung.
Ihr Walter Lachenmann
Walter Lachenmann Krottenthal
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