Duden und ich
Lieber Herr Riebe, mit dem Duden verhält es sich so: Er hat nicht etwa die Betonungsverhältnisse studiert und daraus dann seine Getrennt- und Zusammenschreibungen abgleitet, sondern umgekehrt versucht, sich auf die beobachteten Getrennt- und Zusammenschreibungen einen Reim zu machen, d.h. eine Regel zu finden, die die Phänomene erklärt. Dabei ist er auf zwei Kriterien gestoßen: die Betonung und die Bedeutung (neuer Begriff). Beides ist nicht ganz falsch, aber es sind Notbehelfe, die allenfalls Indizien für die tieferliegenden, im Grunde grammatischen Unterschiede sind, zum Teil allerdings auch gar nicht weiter erklärbare Übergangserscheinungen auf dem Weg zur Zusammenschreibung. Dabei hat sich der Duden (sind ja auch bloß Menschen!) leider verleiten lassen, Betonungsunterschiede zu postulieren, die in Wirklichkeit nicht existieren. Zum Beispiel was ich im Vorwort anführe: sitzenbleiben (in der Schule, auf dem ersten Teil betont) und sitzen bleiben (auf dem Stuhl, angeblich auf beiden Teilen betont). Letzteres ist einfach nicht wahr, die beiden Konstruktionen werden genau gleich betont. Sind Sie anderer Meinung? Von dieser Art gibt es unzählige Beispiele, daher mein Urteil: systematisch falsch, ein Irrweg. Dazu braucht man keine übermenschlichen Fähigkeiten. platt machen ist nicht das einzige Beispiel, es gibt zahllose. Sehen Sie sich den Duden daraufhin einmal durch. Sie sprechen davon, daß der Duden einen Fehler gemacht habe. In meinen Augen natürlich nicht, nur die ausschließliche Vorschrift der Getrenntschreibung ist falsch, denn es wird sehr oft und (wie Sie ja auch richtig finden) zusammengeschrieben. Ich habe das alles durchgesehen und sachgemäß dargestellt, Sie noch nicht, aber angefangen haben Sie ja immerhin schon. Dabei werden Sie, Ihrem Kriterium folgend, in Hunderten von Fällen vom Duden abweichen müssen, denn er hat viel mehr Getrenntschreibung, als Sie zulassen dürfen. Das ist es ja, worauf ich warte. Und dann ziehen Sie bitte die naheliegenden Schlußfolgerungen: Sie machen eine Reform! Der Dudenmaßstab der Betonung kann überhaupt nicht konsequent angewandt werden, ohne daß es zu einer ziemlich radikalen Reform kommt. Wen wunderts, wenn man weiß, daß es sich um ein kaum durchdachtes Hilfsmittel und keineswegs um ein wohlbegründetes Hauptkriterium handelt? Von mir können Sie doch nicht im Ernst erwarten, daß ich in der Betonung etwas anderes als ein Indiz unter anderen sehe und gar dazu bereit wäre, sie zum alleinentscheidenden Kriterium mache! Tun Sies und sehen Sie selbst, wohin Sie damit geraten! Der Kern des Problems ist eigentlich folgendes: Die Linguistik hat es bisher nicht vermocht, eine schlüssige Theorie der Verbzusätze vorzulegen. Ich habe ja schon auf Drach hingewiesen und auf seine Mißrezeption. Sein Hinweis, daß es sich hier nicht um zusammengesetzte Verben handelt (wie auch Sie wieder irrigerweise sagen), sondern um etwas ganz anderes, ist kaum beachtet worden. Erst neuerdings wird wieder daran gearbeitet, aber die linguistische Theorie ist hier durchweg sehr schwer verständlich und auch nicht ausgegoren. Trotzdem muß die Materie, die so ungemein kennzeichnend für das Deutsche ist, natürlich orthographisch bewältigt werden. Da behelfen wir uns irgendwie, mit der Betonung und mit der Bedeutung, mit der Phraseologisierung und mit Listen, Sie wissen schon! Ich habe hierzu meine Konzeption in Regeln und im Wörterverzeichnis dargestellt und dann noch in dieser sehr förderlichen Diskussion immer wieder begründet und dafür geworben. Bisher haben mich die Gegenvorschläge, die mir auch in keiner Hinsicht neue Argumente gebracht haben, nicht davon abbringen können.
Lieber Herr Riebe, natürlich enthält mein Wörterbuch nur gutschreiben, also die Verbzusatzkonstruktion (der Regelverweis fehlt versehentlich, bei allen anderen swie gutsprechen ist er angegeben), aber mit deutlichem Akzentzeichen, so daß eine Verwechslung mit der Adverbialkonstruktion nicht in Betracht kommt. Natürlich kann ich nicht alle Adverbien (schlecht schreiben, undeutlich schreiben) anführen, das ist überflüssig. Unter gut steht Weiteres. Daß man Adverbien nicht mit Verben zusammenschreibt, ist deutsche Elementargrammtik, das muß und kann gar nicht im Wörterbuch stehen. Wer das nicht weiß, kann sozusagen überhaupt kein Deutsch und kann auch mein Wörterbuch nicht benutzen. Zu schwer_fallen finden Sie alles Notwendige unter dem Lemma und unter schwer, in beiden Fällen mit Regelverweis. Niemand ist je auf den Gedanken gekommen zu schreiben: Er ist schwergefallen. (So wie ich neulich mit dem Rad gestürzt bin, vielen Dank noch für die Genesungswünsche!). Die Fakultativschreibung ist kein Dogma, sondern eine Tatsache: die Tatsache der Varianz bei einem Übergangsphänomen der Sprache selbst. (Bestreiten Sie das? Dann sagen Sie es bitte und geben Sie Ihre alternative Beobachtungsgrundlage an!)
Wer mein Wörterbuch einmal studiert hat, kann sich in der Tat das Nachschlagen oft sparen. Die wenigen Fälle der obligatorischen (d. h. ausnahmslos beachteten) Zusammenschreibung lassen sich leicht merken, der Rest bleibt dem Schreiber überlasse, wie bisher, und er wird es meistens so machen, wie die meisten es meistens machen. Wie denn nicht?
Aus den genannten Gründen muß ich fast schmunzeln über Ihren hoffnungsfrohen Schluß, mit der konsequenten Anwendung der Betonungsregel (dieser Krücke der Dudenredaktion) wären alle Probleme gelöst. Kan mir auch denken, wie zum Beispiel Herr Schaeder schmunzelt, wenn er das zufällig liest; er kennt ja die Tatsachen sehr gut. Es fehlt nur der Mut, diese Regel konsequent umzusetzen, weil sie zu einfach ist. Sie ahnungsloses Engel, Sie! Nur zu, frisch ans Werk! Aber ich bin sicher, daß es ausgeht wie so manche ganz einfache Idee: Lindenblütentee gegen Krebs usw., man kennt das ...
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