Gesammelte Fragen und Antworten
Über Nacht sind wieder ein Menge anregende Gedanken hier eingetroffen, die ich mit Vergnügen sammele und zu beantworten versuche. Übrigens finde ich unsere Diskussion nicht übertrieben hitzig, sondern sehe ein sachliches Niveau, um das uns die meisten anderen Diskussionsforen beneiden könnten. Gelegentliche persönliche Schlenker würzen die Suppe.
Zur Norm: Ich weiche die Norm nicht auf, sondern vertrete einen deskriptiven Normbegriff, d. h. ich betracht den Gebrauch als Norm. Herr Gröschner und ich haben den Karlsruher Richtern (vergeblich) diesen Begriff der inhärenten Norm nahezubringen versucht. Eine extern gesetzt Norm, wie so oft im Duden, hat große Nachteile, weil unsere Kenntnis nicht ausreicht, um zu sehen, ob sie wirklich der Sprachentwicklung und Intuition entspricht. Andernfalls muß sie mit großem Aufwand und zweifelhaftem Erfolg gelernt werden. Beispiel: sitzenbleiben vs. sitzen bleiben. Daß ausgerechnet hier der übertragene Gebrauch anders geschrieben werden soll, ist eine sachfremde Ad-hoc-Regel, extern gesetzte, nicht aus dem Gebrauch abgleitete Norm. Niemand kennt sie oder hält sich daran, wenn er nicht das Glück hatte, von einem Schulmeister darauf gestoßen zu werden. Und wie steht es mit anderen übertragenen Gebrauchsweisen? Das Mauerblümchen, das sitzen bleibt, der Metzger, der auf seinem Rindfleisch sitzen bleibt? Übrigens gehört sitzenbleiben zu den Verben, die ich schon ganz früh untersucht habe. Hier ein Auszug aus meinem Protokoll: FAZ 1996: sitzenbleiben (nur Infinitiv) 6mal übertragen, 8mal wörtlich; sitzen bleiben 5mal übertragen, 4mal wörtlich; Süddeutsche Zeitung 1998 ungefähr gleich oft übertragen und wörtlich. Weitere Nachprüfungen würden den Befund verbreitern, aber nicht ändern. Offenabr legen die Schreiber und Leser keinen Wert auf solche haarspalterischen Unterscheidungen, da der Kontext keine Zweifel läßt. Übrigens: Warum sollte nur sitzenbleiben immer zusammengeschrieben werden, lieber Herr Riebe? Dieselben Verhältnisse gelten für alle Infinitiv+Verb-Gefüge dieser Art (s. meine Rubrik Positionsverben + Infinitiv). Sollen sie alle zusammengeschrieben werden, gewissermaßen als Spiegelbild der Reform, die sie alle getrennt schreiben läßt? Das wäre genauso dogmatisch und wirklichketisfremd, und welchen Sinn soll es denn haben? Solche Sachen nehme ich aus dem kleinen Bereich des Festgelegten heraus und schaffe damit den Zustand der Freiheit und der Fortsetzung der bisherigen bewährten Schreibung. Und, lieber Herr Peil, die Unsicherheit wächst dadurch nicht im mindesten! Das ist ja gar nicht möglich, wenn doch mein Motto heißt: Weiter so wie bisher!
Zur Notengebung: Rechtschreibung ist, wie gesagt, ein Teil der Sprachkompetenz und eine Kulturtechnik; sie kann gelehrt und daher auch benotet werden und sollte es auch, genau wie Grammatik und Ausdruck und Aufsatzschreiben usw. Warum eigentlich nicht? Neulich brachte meine Tochter (7. Klasse) ein Heft nach Hause, worin der Deutschlehrer aus galoppieren das zweite p mit roter Tinte herausgestrichen hatte, nebst R am Rande. Wahrscheinlich selbst ein Opfer der Reform. Da hat er sich geirrt, das ist ganz eindeutig, hier gibt es keinen Spielraum. Das Anstreichen von genausogut, genau so gut oder genauso gut würde ich mir auch nicht gefallen lassen, weil diese Schreibweisen allesamt üblich, sprachgerecht und daher richtig sind. Zum hundertsten Male: Es kommt darauf an, in welchem Bereich der Orthographie man sich befindet, das ist keineswegs beliebig.
Zur Phonetik: Es freut mich, daß Herr Riebe inzwischen die Problematik seiner vermeintlich ganz einfachen Lösung einsieht, und daß ihm auch die doch sehr revolutionären Folgen seiner konsequenten Durchführung des Betonungskriteriums nicht mehr fremd sind. Was die Phonetik betrifft, so ist besonders die Arbeit von Peter Eisenberg hervorzuheben, auch der Teil über Buchstaben und Laute in der Dudengrammatik (die beiden letzten Auflagen) aus seiner Feder.
Zu Präferenzen, Bogen: Herr Wrase hat recht, mir ist auch bewußt gewesen, daß manche freigestellten Schreibungen nur verschwindend selten vorkommen, wahrscheinlich auch zusammen nehmen usw. Ich habe gezögert, wo zusammen unterzubringen ist, und mich dann aus Gründen der Systematik und wegen erwiesener Unschädlichkeit für die Fakultativität entschieden. Das muß aber nicht das letzte Wort sein. Kleinere Verschiebungen zwischen ß 9 und ß 10 sind immer möglich, sie ändern am Grundsätzlichen nichts. (Die Auswahl zusammenarbeiten, -läppern, -pferchen ist nicht ganz willkürlich; das erste ist gewissermaßen das Paradigma für Analogieschlüsse, wie so oft; die andern beiden sind wegen der Schreibweise des Grundwortes aufgenommen. So habe ich es oft gemacht, aber vielleicht noch nicht systematisch genug. Ich zitiere im übrigen den verehrten Meister Augst: Schadt nix!)
Zu Substantivierungen: Bei Substantivierungen gelten andere grammatische Gesetze als bei Verbkonstruktionen. Auch substantivierte Infinitive sind Substantive in diesem Sinne. Daher nur das Busfahren, nicht das Bus Fahren; daraus folgt also nicht, daß es auch ein Verb bzw. eine Verbzusatzkonstruktion mit der Schreibweise busfahren geben müsse. Zu Ende gedacht, führt dies zu stellungnehmen usw.; auch das ist vorgeschlagen worden, sogar Peter Suchsland geht in einem gescheiten Aufsatz sehr weit in diese Richtung. Erwägenswert, aber im Augenblick wohl nicht so ganz aktuell. Herr Dörner hat wieder mal das Richtige gesagt.
Zu wiedersehen: Ob der Duden die Regel zuerst falsch und dann richtig ausgelegt hat oder umgekehrt, braucht uns nicht zu kümmern, das können die Dudenredakteure mit der Kommission ausmachen, über die sie sich mit Recht sehr geärgert haben und weiterhin ärgern. Ich habe zu zeigen versucht, daß die Reformer ihre eigenen Regeln nicht verstehen. Bertelsmann hat in der Eile der ersten Auflage die Reform nur halb umgesetzt und daher aus Nachlässigkeit bei wiedersehen zufällig das Richtige getroffen. Nachdem der Duden erschienen war, hat aber Bertelsmann sich umgehend der neuen Deutung angeschlossen. Ich habe das Bertelsmannmachwerk und den völlig unfähigen Bearbeiter damals in einer Besprechung bloßgestellt. Die Eiertänze der Redaktion und die weitere Anpassung an den Duden (sogar im Stichwortbestand) werden auch in Regelungsgewalt nachgewiesen (vorläufig schon hier auf der Rechtschreibseite unter Propaganda und Wirklichkeit). Über die Geschichte und Bedeutung von wieder/wider hat das Grimmsche Wörterbuch eine ausgezeichnete Abhandlung, die ich auch frühzeitig in die Diskussion gebracht habe, weil sie die Irrwege der Reformer hätte verkürzen können.
Zum kinderleichten Wörterbuch: Lieber Herr Riebe, Sie haben in München die Podiumsdiskussion erlebt, auf der Herr Götze sagte, er wolle eine Rechtschreibung, die ein sechsjähriges Kind versteht. Ist es boshaft, wenn ich Ihre Forderung und Ankündigung einer kinderleichten Rechtschreibung damit vergleiche? Die deutsche Rechtschreibung kann aus vielen Gründen nicht kinderleicht sein. Das will ich aber hier nicht auch noch begründen. Aber sagen Sie mir doch einmal, was Sie meinen, wenn Sie sagen, Sie schrieben zusammen schreiben getrennt, um das zusammen besonders zu betonen? Soll das heißen: Nach der kinderleichten Regel wird zusammengeschrieben, wenn der erste Teil betont ist; wenn er aber besonders betont ist, dann wird wieder getrennt geschrieben? Und ist dann nicht die Gefahr, daß man es als gemeinsam schreiben mißversteht? Ein großes Rätsel geben Sie uns da auf. Übrigens kommen Sie mit dem Betonungskriterium deshalb zu Unmassen von Zusammenschreibungen, weil bei jedem Verb ein spezifizierendes Element stehen kann, das automatisch betont ist (Phrasenakzent), also mausetotschlagen, krankenhausreifschlagen usw. das war der Grund, warum ich gestern schmunzeln mußte, denn ich sah nur zu deutlich, daß Sie das nicht bedacht haben.
Theodor Ickler Ringstr. 46, D-91080 Spardorf
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