Die GZS ist komplexer, als ihr denkt
Auch wenn das arrogant klingt, möchte ich der Klarheit halber gestehen, daß ich mit den Hinweisen von Herrn Riebe, Herrn Upmeyer und Herrn Mels (der Herrn Upmeyer zustimmt) nichts anfangen kann. Mir kommt das vor wie bei den Reformern, die ein oder zwei Aspekte (Betonung, Ergebniszusatz o. ä.) halbwegs verstehen und dann das ganze Gebäude der GZS danach durchdeklinieren wollen, in ihrem Fall anhand der Erweiterbarkeit/Steigerbarkeit. Das funktioniert aber nicht; es führt zu einer der Realität gänzlich entfremdeten Norm und letztlich zu viel mehr Fehlern. Der sinnvolle Weg kann nur über die Feststellung der realen Schreibweisen laufen, über die Empirie, so wie es Professor Ickler macht. Über die realen Schreibweisen sind die oben genannten Herren offenbar schlecht im Bild, wie ihre Beispiele und Regelvorschläge zeigen.
Ich möchte das an einem Fall verdeutlichen: sich sattessen. Die Zusammenschreibung entspräche den Ausführungen der werten Diskussionspartner als einzige Lösung (teils wegen der Betounung/Herr Riebe, teils wegen des Ergebnischarakters von satt und der zielstrebigen Handlung essen"/Herr Upmeyer, Herr Melsa; Herr Melsa argumentiert zusätzlich, daß die Zusammenschreibung der Entwicklungstendenz entspreche und deshalb festgenagelt werden könne, auch weil leserfreundlich usw. Wie sieht es real aus?
Tatsächlich kommt sowohl die Zusammenschreibung als auch die Getrenntschreibung vor, im Infinitiv wahrscheinlich ausgewogen; ich vermute aber, bei kompetenten Schreibern mit einem Übergewicht bei der Getrenntschreibung: sich satt essen. Je mehr das essen dekliniert wird, desto seltener wird die Zusammenschreibung: wo ich mich sattesse, wo er sich sattaß. Letzteres dürfte jedenfalls bei Literaten äußerst selten sein und wäre im Sinn der von vielen hier geforderten Empfehlungen eindeutig minderwertig sein, wenn auch nur aus ästhetischen Gründen.
Man vergleiche auch: sich satttrinken welche sensible Schreiber täte sich ohne Not das Ungetüm -tttr- an? Viel schöner: sich satt trinken. Dazu kommt, daß satt hier erweiterbar ist: sich restlos satt essen, oder es kann in eine Gruppe integriert sein: sich randvoll und satt essen: nur noch Zusammenschreibung. (Im ersteren Fall kann das restlos sich natürlich auch auf ein ganzes sattessen beziehen, aber das tut der Notwendigkeit, Getrenntschreibung als Möglichkeit zu reservieren, keinen Abbruch.
Überhaupt ist satt kein so eindeutiges Ergebnis wie zum Beispiel bei jemanden totschlagen; auch wenn satt nicht ausdrücklich modifiziert ist, bedeutet es immer mehr oder weniger satt, so daß die Tendenz der Zusammenschreibung im Vergleich etwa zu totschlagen deutlich geschwächt wird. Dazu kommen weitere Gesichtspunkte. Zum Beispiel ist aus rhythmischen und lesetechnischen Gründen die Zusammenschreibung etwas häufiger, wenn nach dem Infinitiv noch ein flektiertes Hilfs- oder Modalverb folgt: wo sich sich sattessen können, weil dann der Verbbereich nicht in so viele Teile zerlegt wird wie bei: wo sie sich satt essen können. Der Ausdruck wo sie sich sattessen können hat optisch dieselbe Struktur wie wo sie sich satt aßen; der Leser hat ein Gespür für die Ausgewogenheit von Verbkomplexen. Weitere Feinheiten und Quervergleiche zu ähnlichen Fällen (sich krank essen, jemanden satt machen o. ä.) erspare ich mir.
Jedenfalls ist die einzig realistische Darstellung: Es kommt beides vor und ist beides berechtigt, also Bogen. Ich verstehe gar nicht, woher Professor Ickler die Geduld nimmt, immer die gleichen unzulänglichen Belehrungen zu beantworten; mir würde nach kurzer Zeit der Kragen platzen, wenn ich als Antwort auf meine Ausführungen immer wieder lesen würde, ich solle endlich einsehen, daß hier Zusammenschreibung angesagt sei, mit welchen Begründungen auch immer.
Wolfgang Wrase München
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