Plädoyer für “Ickler milde Sorte³ und “Ickler medium³
Das Anliegen derer, die sich gegen die Liberalität des Icklerschen Wörterbuchs sträuben, ist durchaus berechtigt und nachzuvollziehen, wie ich ja auch vor kurzem gesagt habe: Der Benutzer sei irritiert usw. Das kann man gerade bei Lehrern verstehen, die sich mit der Frage aus Schülermund konfrontiert sehen: Gut, es gibt wieder mal beides, und wie soll ich es jetzt schreiben?, und nicht einfach immer nur Egal! antworten wollen. Außerdem gab Norbert Schäbler zu bedenken, daß die Reform nun mal eingeführt worden ist, und Herr Riebe weist darauf hin, daß sie sich in einer chaotischen Schreibung in den Zeitungen niederschlägt. All dem ist zuzustimmen.
Ich möchte kurz auf den letzten Punkt eingehen, die Auswirkung der Reform, und zwar gerade im Bereich GZS. Angenommen, irgendwelche Entscheidungsträger (Politiker, Presse, Reformerkommission) kommen an den Punkt, wo sie erkennen: Also, das mit der GZS geht so nicht, und wo sie merken, daß man mit dem Herumdoktern an der Reform-GZS auch nichts Vernüftiges zustande bringt. Sie suchen also nach Alternativen, und als solche Alternative versteht sich ja das Rechtschreibwörterbuch.
Nun hat die Reform bei denen, die sie anwenden, in kurzer Zeit große Schneisen in die Zusammenschreibung geschlagen, gerade bei Verbzusätzen. Das liegt nicht unbedingt an den Regeln selbst, sondern an der unausweichlichen Verallgemeinerung Jetzt mehr getrennt. Genauer betrachtet sind vor allem diejenigen jetzt getrennt zu schreibenden Verbzusatzkonstruktionen schuld, bei denen die Zusammenschreibung bisher so gut wie selbstverständlich war: fertig stellen, richtig stellen, sich auseinander setzen. Jedes gelesene Wort bedeutet für den Leser nämlich nicht nur So schreibt man das, sondern zugleich So schreibt man solche Wörter das Prinzip der Analogie. Deshalb finden sich nun in den Zeitungen und bei sonstigen Reformopfern plötzlich auch alle möglichen Verbzusatzkonstruktionen in getrennter Form, bei denen die Regel Zusammenschreibung fordert: weiter gehen, mit gestalten, davon rennen, dazu lernen, voran treiben und viele andere; die größte Fehlergruppe überhaupt bei guten Schreibern.
Wenn man die Reform und diese ihre Auswirkung ernst nimmt, muß man eingestehen, daß fast der gesamte Bereich der Verbzusätze (mit Ausnahme der Fälle obligatorische Zusammenschreibung im Sinne von Theodor Ickler) einen gewaltigen Rückstoß in Richtung Getrenntschreibung bekommen hat; das war ja gewollt. Nähme man auch diesen Textbestand bzw. die teilweise Umprogrammierung der Bevölkerung in Richtung Getrenntschreibung ernst, dann wäre es sehr sinnvoll, ein alternatives Wörterbuch mit großer Liberalität in der GZS zu haben, vor allem bei Verbzusätzen. Aus diesem Grund bin ich auch in dem Absatz Ausblick meiner SZ-Unteruchung zu dem Schluß gekommen, daß man das Icklersche Wörterbuch als goldene Brücke zwischen der Reform und einer vernünftigen Schreibkultur der Zukunft einsetzen kann, und habe deshalb gerade der Presse empfohlen, diesem Werk ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Das heißt: Solange das Wörterbuch (noch) dazu dient, einen plausiblen Ausweg aus der Rechtschreibreform auszuformulieren, ist es in seiner jetzigen liberalen Form (mit nur wenigen Empfehlungen) bestens geeignet. Ickler milde Sorte.
Wir wissen aber nicht zuletzt aus der Geschichte der Reform, daß die Profession nach eindeutigen Vorgaben verlangt, wie es Professor Ickler einmal treffend ausgedrückt hat das war tatsächlich der Grund, warum die dpa versucht hat, möglichst alle Varianten aus der Reform herauszustreichen. (Daß dabei weder für die Zeitungen noch für das Reformprogramm selbst etwas Sinnvolles zustande kam, spielt hier keine Rolle.) In ähnlicher Weise können andere professionelle Bereiche, nicht zuletzt auch Lehrer, zwar nicht eine vollständig festgelegte und variantenfreie Rechtschreibung brauchen (das geht von der Sache her einfach nicht), aber sie haben ein Bedürfnis nach jeweils möglichst entscheidbaren Schreibweisen, nach Empfehlungen und Hinweisen, auch bei einzelnen Stichwörtern im Lexikon. So gibt es ja auch bei den Regeln gewisse Hauptregeln und Faustregeln und für die, die es genauer wissen wollen, gibt es Regeln zu detaillierteren Fragen und Problemen; ähnlich gab es irgendwann den Buchdruckerduden, und auch heute gibt es mehr oder weniger ausführliche bzw. genaue Lexika.
Insofern ist es schon grundsätzlich vorstellbar, daß in das Icklersche Wörterbuch irgendwann noch mehr Differenzierungen und Empfehlungen einfließen, für diejenigen eben, die es komplizierter wollen: Ickler medium. Das könnten auch schon die oben vorgestellten Entscheider sein, die das Rechtschreibwörterbuch sonst mit der Begründung ablehnen könnten: Da sind ja noch mehr Varianten drin als bei unserer Reform, und wir wissen doch von den Zeitungen, daß man das auf Dauer nicht brauchen kann. Wenn sie das sagen, hält man ihnen Ickler medium hin, und wenn sie dann wieder meckern, daß das zu kompliziert ist, mit zu vielen Inkonsequenzen in Grenzbereichen, dann hält man ihnen wieder Milde Sorte hin.
Falls Professor Ickler sich also aus irgendwelchen Gründen dafür entscheiden sollte, sein Wörterbuch in Richtung Differenzierung, Präzisierung, Empfehlungen zu bearbeiten, empfehle ich, zumindest als Grundgedanke, daß die Milde Sorte von dieser neuen Produktlinie, die für die etwas härteren Konsumenten geeigneter wäre, abgegrenzt und erhalten bleibt.
Wolfgang Wrase München
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