Fragen und Antworten
Kann sich ein Wörterbuch darauf beschränken, bloße Aufzeichnung bzw. Registrierung des Sprachgebrauchs zu sein? Kann es schon, aber wofür und für wen ist das gut?
Kann und darf man in einem Wörterbuch auf Wegweiser und Entscheidungshilfen im konkreten Sprachbeispiel verzichten? Kann man schon, aber wofür und für wen ist das gut?
Kann man es dem dudenverwöhnten zugleich demokratieerprobten Deutschen zumuten, selbst auszuwählen, ohne jegliche Entscheidungshilfe? Hier werden mehrere Dinge miteinander verquickt. 1. Dudenverwöhnt. Wieso verwöhnt? Der Duden hat in Millionen von Fällen Millionen von Menschen (nicht nur Deutschen) dabei geholfen, festzustellen wie man ein bestimmtes Wort oder eine bestimmte Wortfolge schreibt, ohne »Fehler« zu machen. Wer von uns hat nicht schon nachgeschlagen und war froh, eine Antwort gefunden zu haben. Die Frage ist wahrscheinlich eher die der Definition von »Fehler« und die Gewichtung eines solchen »Fehlers«, etwa in der Schule, und ob man abweichende Schreibweisen in gewissen Fällen nicht auch gelten läßt. 2. Demokratieerprobt. Was hat die Demokratie mit dem Duden zu tun? Ich bin kein unmündiger Unterthan, wenn ich in einem Wörterbuch nachsehe, wie ich dies oder das schreiben soll. Und wenn dann dabei noch steht, weshalb, dann bin ich immer noch nicht unmündig nur deshalb, weil mir das dann so oder so einleuchtet und ich alleine nicht drauf gekommen wäre oder vielleicht doch. Ich kann auch als demokratieerprobter Bundesbürger in einem französischen Wörterbuch nachschlagen, was poule auf deutsch heißt und bin dann froh, ungleiche Entsprechungen in differenzierter Weise dort zu finden, hier etwa 1. Huhn, 2. (umgangssprachlich) Hure, Nutte. Entsprechendes gilt auch für GZV. Da kann man sich, wie obiges Beispiel zeigt, ganz schön verhauen, wenn man sich für das falsche »Angebot« entscheidet, als freier Demokrat. (Nebenbei: der offizielle Sartre-Übersetzer, der wohl nicht ganz so firm war in französischer Umgangssprache, hat diesen Bedeutungsunterschied in der deutschen Gesamtausgabe nicht gewußt. Dadurch entstand in der deutschen Sartre-Werkausgabe ein absolut sinnloser und lächerlicher Satz.) 3. Deutsch. Nicht nur Deutsche brauchen Nachschlagewerke, nicht nur Deutsche werden ein solches Wörterbuch benutzen wollen.
Könnte man das Konzept eines andersartigen Wörterbuchs verstehen, erklären, verteidigen, empfehlen und schließlich eine Marketing-Strategie entwickeln? Darin besteht die Herausforderung.
Wenn ja: Müßte dann nicht erst die Mentalität des Deutschen gebrochen werden, der gewohnt ist, die Antwort auf seine aktuellen Sprachfragen in einem einzigen Nachschlagewerk serviert zu bekommen. Bitte keine Mentalitäten brechen! Das hört sich ja fürchterlich an! Warum sind wir Deutsche nur immer so unzufrieden mit unserer Mentalität? Wenn wir eine deutsche Mentalität haben, dann haben wir sie eben. So schlecht ist die doch gar nicht. Und wenn damit der Untertanengeist gemeint ist, die Unsicherheit im Umgang mit Liberalität, so ist das nicht deutsche Mentalität, sondern Menschenmentalität, und auf die muß man sich allerdings schon einlassen, ob sie einem nun in allen Ausformungen gefällt oder nicht.
Kann man es sich unter diesen Umständen leisten, zwei verschiedene Bücher anbieten zu wollen, von denen das eine bloße Bestandsaufnahme, das andere ein Wegweiser im konkreten Sprachfalle wäre? Das könnte für didaktische Zwecke, Schule, Hochschule, Fachdiskussion usw. vielleicht taugen, nicht für den »Mann auf der Straße (Frau und Kinder inbegriffen). Der will sich nicht mit zwei Büchern herumschlagen, zumal er »dudenverwöhnt« ist.
Muß man nicht und das gehört zur Untersuchung des Marktes sein Angebot auf die Bedürfnisse des Marktes abstimmen? Wenn man nicht mangels Publikumsinteresse Schiffbruch erleiden will, sollte man das allerdings tun. Das bedeutet noch lange nicht, daß man kompromittierende Zugeständnisse machen muß. Gerade darin könnte der Reiz der Aufgabe liegen, diesen Spagat hinzukriegen.
Und ein letztes: Haben wir es eigentlich auf dem Gebiet der Rechtschreibung noch mit einem freien Markt zu tun? Sind nicht statt dessen gerade hier die Zeiten der staatlichen Zentralverwaltungswirtschaft zurückgekehrt? Das ist eine Frage, die sehr weit führt und mit der eigentlichen Diskussion, welches Wörterbuch das richtige wäre, nur noch wenig zu tun hat. Man müßte es ausprobieren. Grundsätzlich ist der Markt immer noch so, daß das Gute seine Chancen, sich durchzusetzen, hat. Hier unterschätzt man oft das »Publikum«. Das lechzt geradezu nach Qualität, jedenfalls ein so großer Teil des Publikums, daß es sich lohnt, für diesen Teil Bücher zu verlegen. Schwierig ist es, diese Leute davon zu informieren, daß es etwas Gutes für sie auf dem Buchmarkt gibt. Daß der Buchmarkt von kapitalstarken Buchproduzenten (der Begriff »Verlag« paßt auf solche content provider nicht mehr) mittels üppiger Marketingmittel vollgeknallt wird mit Schrott aller Art und daß es enorm schwierig ist, hier ein gutes von einem schlechten Angebot zu unterscheiden, ist nämlich leider wahr. Aber ob das nicht immer schon so war? Man kann hier sowohl entmutigende als auch ermutigende Beobachtungen machen. Jedenfalls ist es umso wichtiger, die Interessen eines möglichst großen Käuferkreises zu berücksichtigen.
Walter Lachenmann Krottenthal 9, 83666 Waakirchen
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