Schubladen
Herr Janssen, zu dem ich sehr lieb gewesen bin, hat mir leider auf meine Frage hinsichtlich des Baßsaxophons nicht geantwortet. Ich hätte da auch noch das Basssolo beziehungsweise das Baßsolo. Na, was ist besser? Vermutlich gibt er mir recht und schweigt deshalb.
Herr Dräger versteht manches miß. Nicht ums Aufkaufen des Icklerschen Wörterbuchs ging es mir bei meinen wiederholten Bestellungen. Ich will es nicht vom Markt wischen. Haben Sie, verehrter Herr Kollege, schon einmal was von Stützungskäufen gehört? Recht hat er, daß ich dem Buch, seinem Autor und seinem Verleger hohen Respekt zolle.
Überhaupt entdecke ich in Herrn Dräger einen Kollegen mit Sachwissen und verlegerischer Lebenserfahrung, auch einen mit Liebe zum Metier. Das gibt Hoffnung, auch in schwieriger Argumentationslage.
Es geht mir um die von Herrn Ickler postulierte Liberalität in der Rechtschreibung, auch um seinen deskriptiven Ansatz bei seinem Wörterbuch. Den habe ich inzwischen, glaube ich, verstanden, eigentlich von Anfang an. Daß er mich nicht überzeugt und weshalb, habe ich mehrfach versucht deutlich zu machen, offenbar auch meinerseits ohne Überzeugungskraft.
Jetzt also ein Versuch, über die Realität aus der Erfahrung eines Verlegers und eines Vaters rechtschreibschwacher Töchter zu sprechen. Meine Beobachtung ist die:
1. Es gibt Leute, zu denen zähle ich mich selbst, und auch Herr Dräger gehört seiner Aussage nach zu denen, die sind ziemlich sicher in der Rechtschreibung. Auch ich weiß nicht mehr, wann ich zuletzt in den Duden hineingeschaut habe, bevor die Rechtschreibdiskussion losgegangen ist. Ganz selten. Er steht natürlich griffbereit, aber gebraucht habe ich ihn, obwohl ich nicht wenig schreibe und nicht wenig Texte korrigiere, selten. Bestenfalls um nachzusehen, ob ich mich nicht irre, meistens lag ich richtig. Das ist Ergebnis von Routine. Ich kenne keine einzige Rechtschreibregel. Was soll Liberalität für diese Leute? Sie schreiben ohnehin liberal, brauchen weder Duden noch Ickler, allenfalls jetzt zum Vergleichen und zum Betrachten der schönen Bescherung. (Steht das wirklich so im neuen Duden? Wie war das vorher, wie steht das bei Ickler?) 2. Ich kenne viele andere Leute, die lesen unheimlich viel und schreiben gerne, die Rechtschreibung ist für sie aber völlig uninteressant. Ich verstehe das auch nicht. Meine Töchter gehören zu meiner großen Verblüffung dazu. Die lesen ununterbrochen die besten Bücher. Sie schreiben mit Begeisterung. Sie schreiben, wie es ihnen aus der Hand kommt, achten weder auf Rechtschreibung der Wörter noch auf Zeichensetzung. Auch durchaus intelligente und belesene und kultivierte Bekannte halten es genauso. Bei meinen Töchtern ist es dann immer so, auch heute noch: wenn es darum geht, daß das Geschriebene nach außen gehen soll, eine von ihnen hat sogar ein Buch geschrieben, und kein schlechtes, dann bringen sie es mir: also das mit der Rechtschreibung, das machst dann du, darauf haben wir nicht geachtet. Ich bin nicht nur Verleger, sondern auch freiberuflicher Buchproduzent für eine ganze Reihe namhafter Verlage. Da erlebe ich immer wieder dasselbe. Der Autor liefert einen Text ab, pocht auf seine inhaltliche Leistung, und ist der Ansicht, die Rechtschreibung falle nicht in seine Verantwortung. Das sei Sache des Verlages. Ist ein solcher Autor, dessen Metier immerhin das Schreiben ist, und der mit Schreiben Geld verdienen will, also kein Außenseiter ist, in Icklerschem Sinn ein autonomer, liberaler Rechtschreiber? Nein, die Rechtschreibung ist ihm wurscht. Will man ihm auf die Sprünge helfen und ihn dazu bringen, selbst für ordentliche Rechtschreibung zu sorgen, damit die Kosten nicht im Verlag entstehen, wird er ein Wörterbuch brauchen, das nicht allein deskriptiv ist, sondern ihm deutliche Auskunft über die jeweils zu wählende Schreibweise gibt.
Mit anderen Worten: der Appell an die Liberalität bei der Rechtschreibung läuft meines Erachtens ins Leere, ist wissenschaftlich-ideologische Theorie. Entweder einer schreibt gut, dann schreibt er von alleine liberal und setzt sich über »Vorschriften« hinweg, seine Texte sind dann auch mit Regelverstößen gut. Oder einer hat Schwierigkeiten mit der Rechtschreibung, dann braucht er ein Nachschlagewerk wie es einst der Duden war, mit Erläuterungen, Beispielen, Empfehlungen. Natürlich sollen die dann möglichst unanfechtbar sein, das ist doch klar. Und wenn das beim Duden bisher nicht der Fall war, dann muß das eben besser gemacht werden. Und wenn im Duden Ungereimtheiten waren, ist mir persönlich das gar nicht unsympathisch. Auch das spiegelt die Sprachwirklichkeit vermutlich wider. Nur den Charakter von Vorschriften sollten diese Regeln natürlich nicht haben, das ist unstrittig.
Nun nochmal zu den süßen Regeltäfelchen. Wenn die richtig rezeptiert sind, etwa von Kambly aus der Schweiz, eignen sie sich doch sicherlich hervorragend dazu, sich die Icklerschen Regeln regelrecht einzuverleiben, zwei kräftige Happen, und man hat die Regeln gefressen. Regeln lernen oder sie sich merken das ist nicht der Weg, wie man zum richtigen Schreiben kommt. Es geht nur über die Praxis, die Routine, das Lesen und Schreiben, das liebevolle Tun. Alles andere ist Ideologie. Finde ich.
Und dann habe ich noch einen Verdacht. Auch als Vater zweier gelegentlich bockiger Töchter. Sie sollen ihre Schubladen aufräumen. Nein, tun sie nicht. Bitte, tut es doch (Argumente, Bitten, pädagogische Verrenkungen) nein. Drohungen. Nein. Papa ist jetzt aber wirklich sehr, sehr traurig. Scheiß drauf. Dann komm ich nicht zum Gutnachtsagen. Bitte, bitte, komm Papa. Nein, wenn ihr eure Schubladen nicht aufgeräumt habt, komme ich nicht, ich bin jetzt wirklich sehr, sehr traurig, ja sogar betroffen. Ach Papa, komm doch. Na gut, ich gutmütiges Arschloch komme, blicke aber sehr, sehr traurig und sehr betroffen in die unschuldigen Kindergesichter. Wißt ihr, eure Schubladen, an die mag ich jetzt gar nicht denken, da will ich gar nicht hinschauen. Papa, Papa, bitte schau doch in die Schubladen. Nein, das macht mich nur traurig und so betroffen. Bittebittebittebitte, schau rein... Na, jetzt hab ichs kapiert. Die Schubladen sind tiptop aufgeräumt und es ist sogar noch von jeder der beiden ein extra für den Papa gemaltes Bildchen drin. Ach nein, was seid ihr doch lieb!
Mal sehen, was Ickler noch alles in der Schublade hat...
Walter Lachenmann Krottenthal 9, 83666 Waakirchen
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