Weiter so, Herr Riebe!
... Soll man wie der Duden bis zur 20. Auflage anhand des Schreibgebrauchs, der Betonung und Bedeutung sprachlich richtige, eindeutige und einheitliche Einzelwortschreibungen als Getrennt- und/oder Zusammenschreibung festlegen und dabei zugleich einige Ungereimtheiten des Duden auskämmen? ...
Das Auskämmen hat Professor Ickler vorgenommen. (Es waren nicht nur einige, sondern unzählige Ungereimtheiten. Weitere Festlegungen sind nicht sprachgerecht; es gibt bei weitem nicht nur die Kriterien Betonung und Bedeutung, sondern auch verschiedenste Fälle der Syntax, der Erweiterung usw. Es sind nur noch Empfehlungen möglich, die allerdings die Übersichtlichkeit im Wörterverzeichnis erheblich herabsetzen und den Lernaufwand dramatisch erhöhen würden. Außerdem ergeben sich zwar nicht auf Regelebene viel mehr Fehler (das wäre bei weiteren Festlegungen der Fall), aber auf Empfehlungsebene viel mehr Verstöße gegen die Empfehleungen und darüber hinaus um so mehr Inkonsequenzen, je mehr Empfehlungen man einbaut. Also stellt sich die Frage: Wieso so kompliziert, wenn es auch einfacher geht? Aber ich sagte ja schon: Wer es unbedingt kompliziert haben will, für den ließen sich grundsätzlich noch alle möglichen Empfehlungen und Differenzierungshinweise angeben.
... Oder soll man wie Theodor Ickler bei einem Teil der Zeitwörter und Eigenschaftswörter weite Entscheidungsfelder für Doppelformen bzw. Fakultativschreibungen offenlassen? Das erinnert mich an Icklers Beurteilung der Reformer: E 4 eine der zahlreichen Beliebigkeitsklauseln gibt (...) den nicht besonders geistreichen Rat: Wenn man nicht weiß, ob man Adjektiv und Verb getrennt oder zusammenschreiben soll, kann man sie getrennt oder zusammenschreiben. ...
Zunächst einmal ist eine solche Beliebigkeitsklausel merkwürdig in einem autoritären, ja gesetzesartigen Text, der inhaltlich zum Ziel hat, (um jeden Preis) möglichst alles zu regeln, um alle Zweifelsfälle auszuräumen. Anders ist das in einem von vornherein liberal gefaßten und außerdem gar nicht an Normen, sondern an der Empirie orientierten Katalog der möglichen (= richtigen) Schreibweisen, wie sie in Wirklichkeit auch auftreten. Der Bogen steht als ökonomisches Darstellungselement im Wörterverzeichnis und verhindert keineswegs eine detaillierte didaktische oder stilistische Kommentierung.
... Wenn die unterschiedliche Betonung und Bedeutung bei der Getrennt- und/oder Zusammenschreibung nicht klar durch die unterschiedliche Schreibweise unterschieden werden, kommt es durch die Schriftbildähnlichkeit noch stärker zu Interferenzen, d.h. zu Verwechslungen (Wolfgang Müller: Leicht verwechselbare Wörter, Mannheim: Dudenverlag, 1973, S. 12 ff. ...
Der Bogen bedeutet nur, daß beides möglich ist. Er ist eine ökonomische Darstellungsform. Wenn man bei jedem Stichwort eine differenzierte, grammatisch erschöpfende und immer noch empirisch gestützte, hoher Stilistik gerechte Bedienungsanleitung einbauen würde, bräuchte man eine jahrelang tätige vielköpfige Redaktion und hätte nachher ein Wörterverzeichnis, das zwei Kilo wiegt. Sie können sich als Pensionär ja mal an die Arbeit machen, Herr Riebe, anstatt immer nur zu sagen, daß die Arbeit von Professor Ickler verirrt sei. Dieser hat zu Recht gesagt, daß eine solche Ausdifferenzierung in eine didaktische Aufbereitung gehört und nicht vertausendfacht, in verfälschend verkürzter Form, ins Wörterverzeichnis. Nur Betonung und/oder Bedeutung, so einfach ist es eben nicht. (Man hat den Eindruck, daß keine Antwort von Professor Ickler bei Ihnen hängenbleibt, sondern daß Sie nur nach irgendwelchen Zitatfetzen suchen, die Ihrem Programm Alternativen sind vom Teufel zu entsprechen scheinen.
... Außerdem will man in einem Volkswörterbuch sofort die richtige Schreibweise eines Wortes finden ...
Stimmt schon, daß man das will. Aber das geht eben dort nicht, wo es verschiedene Möglichkeiten gibt, dort findet man sinnvollerweise mehrere richtige Schreibweisen. Sonst würde das Wörterbuch die Wirklichkeit verfälscht abbilden. Haben Sie das eigentlich begriffen?
... Doch die Fakultativschreibung führt zu einer gewissen Stärkung der Getrenntschreibung der Reformer. So kann sich auch jeder Lehrer für die Getrennt- oder für die Zusammenschreibung entscheiden. Was bei dem einen Lehrer richtig ist, ist bei dem anderen ein Fehler und umgekehrt ...
Fakultativschreibung bedeutet, daß es zwei Möglichkeiten gibt. Mag sein, daß es noch mehr Lehrer gibt wie Sie, die das einfach nicht begreifen können und unbedingt nur eine Möglichkeit gelten lassen wollen. Falls es nur solche Anwender gäbe, die sich nicht vorstellen können, daß es auch beim Schreiben verschiedene Möglichkeiten gibt, sollte Professor Ickler vielleicht seine Arbeit einstellen. Man muß sich einmal vorstellen, wieviel er zu tun hätte, wenn er jedem einzelnen Anwender ebenso oft wie Ihnen erklären würde, daß es viele Fälle gibt, wo man nicht von falsch oder richtig reden kann, sondern nur von mehr oder weniger üblich oder allenfalls von besser oder schlechter.
... Hier bleibt die Bedeutungs- und damit Leserfeindlicheit der Rechtschreibreform erhalten. Ickler: In Wirklichkeit steht hinter diesen Varianten nur die Unfähigkeit der Reformer, eindeutige Unterscheidungskriterien herauszufinden. Beliebigkeit schafft neuen Regelungsbedarf bei den Sprachteilhabern selbst. Auf diesem Wege als Antwort auf Hunderttausende von Anfragen, sind ja die unendlich verfeinerten Festsetzungen der alten Dudenorthographie zustande gekommen. So wird es auch diesmal geschehen ...
Herr Riebe, Sie haben vielleicht noch nicht bemerkt, daß die Reformer zahllose Varianten eingeführt haben, die niemand wollte und niemand braucht. Anders die von Professor Ickler empirisch erfaßten Varianten, die es tatsächlich gibt und bei denen Professor Ickler sich nicht wie die Reformer anmaßt, eine ihm gefällige Auswahl zu betreiben. Was die Differenzierung betrifft, siehe oben.
... Die Zulassung von Varianten wird auch als Erleichterung für den Schreiblerner dargestellt. Das ist jedoch ein Irrtum, denn man kann unmöglich wissen, in welchen Bereichen es Varianten gibt und in welchen nicht. Dadurch erhöht sich der Lernaufwand, statt sich zu verringern. (Ickler: Die sogenannte Rechtschreibreform. Ein Schildbürgerstreich, 1. Auflage, 1997, S. 129). Diese kulturfeindliche Vernichtung von spezifischen Ausdrucksmöglichkeiten der Schriftsprache wird unter dem irreführenden Etikett einer liberalen Deregulierung verkauft. (Ickler: Rechtschreibreform auf dem Prüfstand, S. 51) ...
Es ist vielleicht neu für Sie, Herr Riebe, daß man im Gegensatz zu dem Variantenchaos der Reform sich bei dem Wörterbuch von Professor Ickler leicht merken kann, wo es Varianten gibt und wo nicht. Von den Verbzusätzen sind nur die in § 9 obligatorisch zusammenzuschreiben, das heißt im wesentlichen die mit Präpositionen gleichlautenden Verbzusätze. Grundsätzlich sind die Hinweise in § 8 zu beachten, der Rest ist dann fakultativ. Das ist etwas anderes als bei der Reform, sonst wäre sie nicht schwer. Im übrigen vernichtet Professor Ickler nicht wie die Reformer Ausdrucksmöglichkeiten (z. B. die Zusammenschreibung von auseinanderentwickeln), sondern schützt sie, indem er das Vorkommende, Verwendete, offenbar Gewollte festhält und zuläßt, ohne die Verwendung in komplizierter und einengender Weise gesetzesartig vorzuschreiben.
Wissen Sie, Herr Riebe, wenn Sie so überzeugt davon sind, daß Herr Ickler kein gutes Wörterbuch gemacht hat, wieso machen Sie nicht selbst eines? Vielleicht haben Sie sich ja inzwischen entschieden, wie Sie sich satt_sehen schreiben wollen: zusammen, wie Sie es zuerst mit allem Nachdruck gefordert haben, oder getrennt, weil das so in irgendwelchen Lexika steht und weil Sie das ganz einfach finden, wie ebenfalls mehrfach bezeugt. Wir kennen Ihre derzeitige Meinung nicht (vielleicht wollen Sie uns aufklären?), aber vielleicht haben Sie sich ja entschieden, und dann haben Sie schon mal ein Stichwort geregelt! Dann müssen Sie sich nur noch ein paar tausendmal entscheiden, und dann haben Sie schon Ihr eindeutiges Lexikon, das die Arbeit von Professor Ickler als Machwerk eines Anfängers entlarven wird.
Wolfgang Wrase München
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