Zwischenbetrachtung
Der Kernpunkt ist wohl wirklich die Stelle, an der Herr Riebe sagt, daß man in einem Wörterbuch sofort die richtige Schreibweise eines Wortes finden wolle. Im Rahmen des Sprachnormenprojekts der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung vor zwanzig Jahren wurde über diese merkwürdige Gesinnung viel diskutiert. Die Deutschen haben wohl einen besonders großen Bedarf an Normen, im Sinne autoritärer Lösungen. Gerade heute morgen hat es mich wieder eigenartig berührt, daß die Parteien nicht einfach fair miteinander umgehen, sondern zunächst einmal ein Fairneßabkommen schließen wollen. Anders geht es wohl hierzulande nicht.
Der Glaube an die richtige Schreibung eines Wortes ist der Grundirrtum. Herr Riebe teilt ihn mit den Reformern. Beide sagen: Hauptsache eindeutig! Die Folgen in linguistischer wie pädagogischer Hinsicht sind ihnen egal. Wenn ich Herrn Riebe mit dieser Charakterisierung unrecht tun sollte, möge er sich wenigstens ein einziges Mal zu diesen Folgen äußern, wie ich sie so oft dargestellt habe (Lern- und Nachschlageaufwand). Am besten wäre es wirklich, einmal eine Probestrecke des neuen Riebe vor Augen zu haben und daran weiterzudiskutieren. Ich bin an sich kein Freund von Retourkutschen der Art Machs doch selber! Wenn ich eine Kamera kaufe, die schlechte Bilder macht, wäre ich ziemlich sauer, wenn der Hersteller mich aufforderte: Bau dir doch selbst eine! Dazu bin ich ja nicht ausgebildet, und das kann ich einfach nicht. Aber hier, bei unserer Muttersprache, liegt die Sache grundsätzlich anders, und außerdem behauptet Herr Riebe ja die ganze Zeit zu wissen, wie man es besser macht. Das wollen wir doch gern einmal näher ansehen, sei es auch nur an einer winzigen Probestrecke (aber einer ernst gemeinten, nicht bloß zum Spaß, um unsere Aufmerksamkeit zu testen!).
Es ist richtig, daß mein Vorwurf an die Reformer wegen der Beliebigkeitsschreibungen in einem bestimmten Zusammenhang zu verstehen ist: Sie sind es doch, die mit ihren sonderbaren Regeln zu eindeutigen Schreibweisen zu gelangen versuchen, und wenn es dann nicht klappt, führen sie großzügig Varianten ein. Also nicht etwa wie ich aufgrund der Schreibwirklichkeit, sondern aus ihrer eigenen Verlegenheit. Man sehe sich doch §§ 34 ff. noch einmal an und frage sich, ob die Reformer das Thema Verbzusätze bewältigt haben? Sie haben es genauso dezisionistisch erledigt wie der alte Duden, oder vielmehr noch etwas schlechter, weil wirklichkeitsferner. Was zum Beispiel der Zusatz wieder- heißt, haben sie ganz und gar verkannt, und zwar trotz aller Korrekturen bis zum heutigen Tag. In meinen Kommentaren (nicht im Wörterbuch, aber das wird nachgeholt) ist es erstmals richtig dargestellt. Im Wörterbuch habe ich mich kurz gefaßt, weil ich auf eine Hintergrundgrammatik baue, die allerdings noch nicht ausgearbeitet, geschweige denn veröffentlich ist (bis auf die Rudimente im Glossar). (Übrigens nichts Besonders, alle Regelwerke halten es so.)
Die starre Eindeutigkeit, die Herrn Riebe vorschwebt, beseitigt in der Tat alle Entwicklungsmöglichkeiten. Aber vielleicht will er das ja gerade: Einmal richtig, immer richtig!? Auf diese Weise wäre es allerdings nie zu jenen Schreibweisen gekommen, die ihm heute als die einzig richtigen erscheinen und zum Teil noch vor wenigen Jahren falsch waren.
Zum Schluß: Auch ich kann mich gar nicht genug über die autoritätsgläubige Gesinnung bei Herrn Riebe wundern. Man sehe sich seine Geringschätzung der Journalisten an: Sie läuft auf eine Geringschätzung der Sprachgemeinschaft hinaus. Riebe will Experten heranziehen, die von vornherein Dudenkenner sind und von Berufs wegen die Dudennorm exekutieren: Lehrer, Buchdrucker, Schriftsetzer, Lektoren, Übersetzer diese sind alle gehalten, die Norm zu kennen und umzusetzen. Schriftstelle, die er ebenfalls erwähnt, sind zwar von Gewicht, aber die normale Sachprosa, einziger Gegenstand der Orthographie, findet man bei ihnen nicht unbedingt. Die Auflage, nicht nachzuschlagen, soll wohl ein Witz sein? Ein Korrektor braucht nicht nachzuschlagen, um zu wissen, wie der Duden wohltun geschrieben wissen will. Lauter Leute, die die Norm von Berufs wegen im Kopf haben, sind nicht die Sprachgemeinschaft. So elitär wie bei Herrn Riebe hat man es lange nicht gelesen.
Und ganz zum Schluß das factum brutum et inconcussum: Meine Orthographie ist der Wirklichkeit abgelesen und bringt genau wieder diese Wirklichkeit hervor, nicht wahr, Herr Riebe? Aber wenn das so ist leider haben Sie in all der langen Zeit nicht zu diesem Hauptpunkt Stellung genommen, außer mit Ihrer Journalistenbeschimpfung , dann entfällt praktisch der ganze Krampf mit der richtigen Schreibung.
Theodor Ickler Ringstr. 46, D-91080 Spardorf
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