über Maßstäbe
Mit dankenswerter Klarheit hat Herr Riebe ausgedrückt, daß ihm der alte Duden genügt. Wie ernst seine Zustimmung zum Auskämmen danach überhaupt zu nehmen ist, steht dahin. Aus der ernsthaften Fachdiskussion auch und gerade unter Reformgegnern scheidet er damit aus, denn die Mängel des Duden sind bekannt und werden auch von Dudenredakteuren zugegeben. Der alte Duden war im Grundsatz deskriptiv, aber gerade in dieser Hinsicht war er mangelhaft. Loben mußte man nur, daß er wenigstens keine neuen Schreibweisen erfunden hat, wie es die Reformer tun. Aber er hat auch unter den durchaus üblichen Schreibweisen in einer so rigiden Art ausgewählt und zwischen den Varianten eine so unrealistische Differenzierung versucht, daß eben jene bekannten Haarspaltereien herauskamen und das Deskriptive unter dem Normativen verschwand. Ich habe versucht, hier ein wenig zurechtzurücken.
Ärgerlich ist, daß Herr Riebe trotz vielfacher Richtigstellung darauf beharrt, mir das Wort im Munde herumzudrehen: Wenn ich von bewährter Rechtschreibung spreche, meine ich nicht die Dudennorm. Riebe setzt beides gleich und unterstellt mir dasselbe, so daß ich mir dauernd selbst zu widersprechen scheine.
Wie weit der Duden deskriptiv das Richtige traf, kann man nur erkennen, wenn man sich mit der Schreibwirklichkeit beschäftigt. Herr Riebe läßt sich darauf niemals ein und liegt daher grundsätzlich schief.
Grotesk ist der Vorwurf, meine Angabe Krake der/die sei ein Beispiel für Uneindeutigkeit. Herr Riebe scheint immer noch nicht verstanden zu haben, daß es sich um ein rein orthographisches Wörterbuch handelt. Es antwortet nicht auf die Frage nach dem Genus von Krake, sondern will sagen: Das Wort Krake wird so geschrieben, ganz gleich, ob man es maskulin oder feminin verwendet. Aber das kommt davon, wenn man glaubt, ein Wörterbuch ohne Kenntnis der Benutzungshinweise bzw. des Vorworts benutzen zu können.
Grotesk ist auch die Benutzungssituation, die Riebe simuliert. Er benutzt die Methode des Sich-dumm-Stellens. Für solche Benutzer habe ich nicht gearbeitet. Bisher hatte noch kein Benutzer Schwierigkeiten, eine gesuchte Schreibweise zu finden, auch wenn er dann mit dem Gefundenen nicht immer einverstanden war. In Wirklichkeit muß man bei meinem Wörterbuch fast nur wissen, was der Bogen bedeutet, alle Abkürzungen erklären sich selbst. Zuviel verlangt?
Journalistenbeschimpfung ist kein Totschlagargument, sondern Riebe hat es mit seinem vielfach bekundeten Schlampigkeits-Urteil selbst heraufbeschworen. Daß die Journalisten den Neuschrieb mit geradezu demonstrativer Nachlässigkeit umsetzen und die aufgewiesenen vielen Fehler machen, spricht doch für sie und für die These, daß sich die intuitiven Schreibweisen immer wieder Bahn brechen.
Herr Dörner ist ein ausgezeichneter Kenner des Gegenstandes und hat die wirklichen Probleme sehr gut durchschaut. Ich möchte noch einmal bemerken, daß ich Zeitungstexte zwar für eine sehr wichtige Quelle halte, daß aber statistische Auswertung noch einen ganz anderen Apparat voraussetzt. Die scheinbar große Überlegenheit von 70 % würde auch nicht ausreichen, die restlichen 30 in den Orkus zu schicken, aber eine Empfehlung wäre denkbar. Es kommt aber noch auf andere Gesichtspunkte an. Wenn die absoluten Zahlen sehr klein sind, also etwa 3 Belege für Zusammenschreibung und kein einziger für Getrenntschreibung, würde ich u. U. dennoch die Getrenntschreibung freigeben, wenn nämlich der systematische Aspekt dafürspricht und der Vereinfachungsgewinn deutlich überwiegt. Die Alternative wäre vielleicht, eine selten gebrauchte Partikel in die Liste der obligatorischen Zusammenschreibung aufzunehmen, wo sie dann mit den wirklichen Standard-VZ wie aus- und ein- in durchaus täuschender Eintracht zusammenstünde und eine Lernaufgabe repräsentierte, die man füglich entbehren kann.
Ich habe nie bestritten, daß die offenen und geschlossenen Listen noch verbessert werden können. Die eigentlichen Probleme, die zum Beispiel Her Riebe überhaupt nicht kennt, stellen sich ja anderswo. Ich empfehle die Beschäftigung mit fort-, da wird man schon von selbst drauf kommen. Dagegen ist es meiner Meinung nach ungefährlich, daß jemand mal heraus kommen schreiben könnte. (Wozu wenig Neigung bestehen dürfte.)
Lieber Herr Dörner, so ganz und gar unbekannt ist die Getrenntschreibung bei kennen lernen nicht, nicht in Zeitungen und erst recht nicht in der Literatur; natürlich wirkt die Dudennorm bei so häufigen Wörtern stark prägend. Eisenbergs Nachweis der strukturellen Verschiedenheit von kennen lernen und schwimmen lernen bedeutet übrigens nicht, daß daraus Zusammenschreibung abzuleiten wäre, sondern nur, daß die Reformer-Behauptung der Ununterscheidbarkeit falsch ist.
Theodor Ickler Ringstr. 46, D-91080 Spardorf
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