Sprachpflege
Der Begriff Sprachpflege entbehrt nicht einer gewissen Komik. Sprache ist ja ein Verhalten, geprägt u. a. durch gesellschaftliche Konventionen. Was kann Pflege da heißen? Eine Art Benimm? Wer wäre dazu befugt, den Knigge zu verfassen? Ich meine, zunächst kann es nur darum gehen, daß jeder dieses sein eigenes Sprachverhalten so gut wie möglich einrichtet: zweckmäßig, unanstößig, verständlich, gefällig, schön ... (oder auch mal nicht, wenns drauf ankommt). Eine Frage des guten Geschmacks, aber auch des Eigennutzes, denn warum soll ich mich unverständlich ausdrücken, wenn Verständlichkeit vorteilhafter ist? (Oder auch mal umgekehrt; Sprache ist ja vielverzwecklich.) Aber nun: Da gibt es einige, die wollen dem Sprecher nicht zugestehen, daß er ganz allein Souverän über diese seine Muttersprache ist. Nerius hat wieder und wieder gesagt und geschrieben, daß es die Aufgabe des Staates sei, über beauftragte Sprachwissenschaftler die Sprache in Ordnung zu halten. Er hat seine verdienstvolle Orthographieforschung, wie ich weiter unten schon zitierend belegt habe, von Anfang (1975) an unter das Motto gestellt, im Sinne der Prager Sprachkultur-Theorie die allmählich verfallende Funktionstüchtigkeit der Schriftsprache immer wieder aufzumöbeln. Darin trifft sich der SED-Professor mit dem rechten Professor Weisgerber, der in vielen Arbeiten, besonders aber in Die Verantwortung für die Schrift (1964) verkündet hat, das Volk werde seiner Verantwortung für die eigene Sprache nicht gerecht und müsse daher zur Ordnung gerufen werden. Das ist die ideologische Grundlage der Zwangsbeglückung und des unendlichen Kleinkrieges der Reformer gegen das Sprachvolk.
Ich will damit sagen: Jeder kann an seiner Sprache arbeiten und natürlich auch das Sprachverhalten seiner Mitmenschen kritisieren (was ich allerdings für ein allzu wohlfeiles Vergnügen halte, dem ich mit vorrückenden Jahren immer abgeneigter zusehe). Auch gegen Sprachgesellschaften, die sich diese Tätigkeit zum Ziel setzen, ist nichts einzuwenden. Nur den Staat sollte man draußen halten, sonst kommt es, wie es kommen muß. Ich bin also gegen jede autoritative Sprachpflege, die dann zur Sprachlenkung werden muß und die Freiheit bedroht. Der Glaube, daß eine Sprache verfällt, wenn man sich nicht um sie kümmert, ist ein Wahn. Solange wir eine Sprache gebrauchen, halten wir sie automatisch funktionstüchtig. Im Gespräch und durch das Gespräch bewährt sich das Sprachverhalten und paßt sich allen denkbaren Erfordernissen an. Sprachpfelge geschieht also im Gebrauch und durch den Gebrauch, da bedarf es keines Zurücktretens und besonderere Maßnahmen. Beobachten Sie doch eimal, wie die Leute ihre Verständigungsmittel ständig neu aushandeln! Wenn sie einander nicht verstehen oder nicht optimal verstehen , dann liegt es gewiß nicht an der Sprache, sondern an ihrem eigenen Unvermögen oder Unwillen.
Der Satz, die Fehler von heute seien die Regeln von morgen, ist natürlich nicht von der unsäglichen Frau Frank-Cyrus erfunden, sondern nur eine Variante der junggrammatischen Erkenntnis (Hermann Paul), daß dies in der Tat der Lauf der Sprachgeschichte ist. Dadurch werden Fehler nicht sofort richtig, aber die weitere Entwicklung kann durchaus so verlaufen. Eine Selbstverständlichkeit für jeden Sprachgeschichtsforscher.
Theodor Ickler Ringstr. 46, D-91080 Spardorf
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