Lohnenswert = lohnend?
Linguistisch-theoretisch mag das ja hinnehmbar sein, in der Praxis sich auch durch gedankenloses Reden und Schreiben so etablieren, aber einleuchten tut mir diese Hinnahme nicht. Das würde ja in der Konsequenz darauf hinauslaufen, daß es völlig gleichgültig ist, welches Wort man für welches Ding verwendet. Einigt sich die Sprachgemeinschaft darauf, zu Wurst Gänseblümchen zu sagen, dann ist das eben auch »richtig«. Daran »glaube« ich sozusagen nicht, weil ich vermute, daß die Wörter mit den Dingen relativ eng etwas zu tun haben und nicht durch Zufall so lauten wie sie lauten, nomen est omen. Ich vermute eine transzendente Qualität in jedem Wort, die sich auf das bezieht, was es meint. Damit mag ein Wissenschaftler nichts anfangen können, dennoch muß es nicht falsch sein. Es gibt bekanntlich »mehr Dinge im Himmel und auf Erden, als eure Schulweisheit sich träumt« (interessant, daß bei Shakespeare davon die Rede ist, daß die Gelehrten träumen! Herr Ickler, sind Sie sicher, daß Sie nicht träumen?)
Sprache ist nichts anderes als mehr oder weniger ein Geschluder? Klingt zwar nett, oft stimmt es auch. Ist Linguistik also Geschluderforschung? Vielleicht ist Mathematik dann auch nichts anderes als eine Perpetuierung von Rechenfehlern, wer weiß? Wäre auch sympathisch. Im alten Ägypten soll es einen Astronomen gegeben haben, der genau die Entfernung des Mondes zur Erde ermittelt hat, jedenfalls so, daß es mit den modernsten Meßergebnissen übereinstimmt. Er kann es aber angeblich gar nicht wissenschaftlich präzise ermittelt haben, dazu fehlten damals die Kenntnisse und die technischen Meßmittel. Sein richtiges Ergebnis war eine glückliche Ineinanderrechnung von lauter Fehlern. Vielleicht ist die Mathematik nie etwas anderes gewesen.
Nein, mit der Schludertheorie mag ich mich nicht anfreunden. Denn es paßt alles zusammen. Dieselbe Fachredaktion brachte noch ganz andere Dinge zustande. Zum Beispiel: Camping Municipal: Der kleine Campingplatz im Vorort Municipal liegt sehr ruhig und bietet alle notwendigen Einrichtungen... (Wer jemals in Frankreich war, was man von einem Reiseredakteur erwarten sollte, weiß, daß Municipal heißt der Gemeinde gehörend, hier also Städtischer Campingplatz, oder Gemeinde-Campingplatz) Loc. San Martino. Die Abkürzung »Loc«, der man in Italien allenthalben begegnet, wurde in allen Reiseführern ausgeschrieben als Locanda usw. Ich möchte nicht wissen, wieviele Leser da nach einer Wirtschaft gesucht haben, wo es nur um einen Ortsteil ging.
Ich will damit nur bekräftigen, daß wir es bei der schreibenden Zunft heutzutage weitgehend mit einer rein auf maximalen Ausstoß von zum Verkauf bestimmtem Content orientierten Berufsgruppe zu tun haben, die nicht nur im Sprachlichen schludert, sondern überhaupt. Und es sträubt sich mir einiges dagegen, deren Treiben nur statistisch zu beobachten und ausgerechnet deren Schreibpraxis zur Sprachnorm werden zu lassen, nur weil sie nun mal die sind, die am meisten Sprache produzieren, also das, was eine deskriptive Linguistik in der größten Menge zum Auswerten vorfindet. Das halte ich nicht für repräsentativ, weil die zustandegekommene Menge eine zufällige, marktbedingte ist. Sie überdeckt durch ihre Menge die Sprachpraxis der Leute, die weniger publiziert werden, aber in guter Sprachqualität schreiben. Denn daß es gute und schlechte Sprachqualität gibt, ist doch wohl richtig.
Soll man also »bessere« Quellen suchen? Welche, wo? Versucht man durch Weglassung eindeutiger Schludrigkeiten, Fehler und Entstellungen im idealen Wörterbuch eine Einflußnahme auf die Sprachwirklichkeit? Wenn einer im Zweifelsfall ein »schlechtes« Wort im Wörterbuch nicht findet, vermeidet er es vielleicht in seiner Sprache und sorgt zumindest nicht für seine weitere Anwendung. Ob man das tun soll, mit welcher Legitimation? Ich weiß es auch nicht.
Walter Lachenmann Krottenthal 9, 83666 Waakirchen
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