Schieflage der Sprache
Schwinden des Praxisbezugs
Wer kennt demnächst noch den Unterschied zwischen das Schiefgehen (Verb: schiefgehen) und das schiefe Gehen bzw. der Schiefgang (Verb: schief gehen) oder Geheimhaltung (Verb: geheimhalten) und geheime Haltung (Verb: geheim halten) usw.
Darüber wurde zwar schon mehrfach berichtet, und nach meinen eigenen Beiträgen zum Thema tauschten dann die Gelehrten wieder untereinander Fachausdrücke wie orthographische Rückbildung etc aus, was dann auf mich als Sprachpraktiker manchmal etwas abgehoben wirkt; eher hätte ich mir da gewünscht, daß einmal jemand dieser Experten mir direkt antwortet, und zwar auf meiner Sprachebene. Die Zahl der intellektuell eingefärbten Erörterungen in dieser Rubrik Gästebuch ist inzwischen ja ziemlich gestiegen, aber sie erwecken tatsächlich manchmal den Eindruck, als kümmere man sich sehr um scharfsinnige Begründungen, warum dies oder das so oder so geschrieben werden muß oder sollte, und wo steht das?, und der eigentliche Bezug zum Wesen der deutschen Sprache tritt in den Hintergrund.
Dies sollte nicht sein. Denn wohin bewegen wir uns? Wollen wir tatsächlich zulassen, daß die bereits eingetretene Schieflage der Sprache festzementiert wird?
Eine Schrift soll das gesprochene Wort so festhalten, daß es einwandfrei zurückgelesen werden kann. Dies ist aber infolge der meisten neuen Regeln nicht mehr möglich, wenn ich diese auch so anwende, wie die Schriftreformer es gerne hätten. (Sie hatten Schriftreformer sein sollen und keine Sprachreformer; und bei Ihrem z.T. unbedarften Tun gingen ihnen scheinbar wichtige Kausalitäten der deutschen Sprache und der zugehörigen Schrift verloren. Welche Zeugnisnoten sie wohl früher im Fach Deutsch hatten?). Bewegen wir uns nun tatsächlich in Richtung zweier Sprachschriften? Vielleicht A und B, eine gehobene (welche die Sprache fast 100-%ig reproduzierbar macht) und eine einfache (welche beim Zurücklesen, wenn wirklich so gelesen wird, wie es da nun steht, einen neuen Sinn ergeben kann, die Reproduzierbarkeit der Originalsprache also vielleicht nur noch 80 % garantiert?).
Ich weiß nicht, woher mein gutes Sprachgefühl kommt, es ist wohl angeboren, denn bei manchen Regelungen weiß ich gar nicht, wie sie heißen. Ich weiß einfach, wie man etwas schreibt oder schreiben muß/sollte, damit das Geschriebene dem entspricht, was ich ausdrücken will. Es ist wie in der Musik und der zugehörigen Notenschrift, ich berichtete bereits vor einigen Tagen darüber. Ich bilde mir auf diese Sprachbegabung nichts ein, wundere mich aber umso mehr, weshalb bislang nur Dichter und Poeten heftig die Rechtschreibreform kritisierten, und nicht auch Schauspieler, die doch auf den geschriebenen Text angewiesen sind. Und hier beginnt auch mein Praxisbezug:
Richtiges Sprechen (denken Sie einmal darüber nach, was dies alles impliziert, beobachten Sie Schauspieler in Theater und Fernsehen wowie Sprecher im Rundfunk) ist etwas großartiges, alle Nuancen und Ausprachefolgen und Einfärbungen der deutschen Sprache auszunutzen und richtig einzusetzen. Deutsch ist eine wunderbare Klangsprache, wo Worte wie klirrende Kälte, summen, einschmeicheln, Alptraum und Krieg etc etc bereits fast genau den gemeinten Zustand ausdrücken und verbalisieren. Solche Zusammenhänge habe ich aus dem Deutsch-Unterricht meiner Schulzeit behalten, und ich bin dem damaligen Lehrer dafür heute noch dankbar. Auf dieses Sprachgefühl- und -verständnis legte er großen Wert, und nicht nur auf die starren Regeln, warum man dies oder das so oder so schreibt.
Durch diesen Hintergrund lebt die Sprache bei mir, und ebenso versuche ich beim Schreiben dieses innewohnende Gefühl, diese Lebendigkeit mit zu übertragen, damit der Leser es dann auch erfahren kann. Richtiges Schreiben bedingt also zunächst richtiges Sprechen, korrekte und disziplinierte Aussprache. Eine Trennung nach Sprechsilben könnte danach also durchaus die richtige sein, aber erst, nachdem ich nach den Sinnsilben geforscht habe (wenn ich schon meine, unbedingt trennen zu müssen, denn es geht auch ganz gut ohne).
Fazit: Wie kann man den Menschen im deutschen Sprachraum bzw. denjenigen, welche sich damit befassen, ein besseres Gefühl für diese ihre Sprache vermitteln? Dies wäre eine gute Aufgabe für die Lehrer, und eigentlich hätten hier Sprach- oder Schriftreformer einsetzen müssen. Erst danach ergibt sich: Wie schreibe ich dies nun? Und beim letzteren reicht es dann, wenn ich gewisse Richtlinien gebe, dem Bürger also tools oder Werkzeuge in die Hand gebe, die er nun so anwenden soll, daß das Niedergeschriebene auch seiner Intention entspricht. Eigentlich ein hohes Ziel, was bei der Realisierung große Eigenverantwortung verlangt. Aber wer hat die? Es ist ja viel bequemer, irgendwo nachzuschauen, dann bin ich die Verantwortung los. Doch damit beginnt eine Inflation des Wertes unserer Sprache; vor wenigen Tagen wurde der Dichter Reiner Kunze zitiert (Beitrag zu hohes Gut), und auch er äußerte sich hierzu u.a.: ... Wort ist Währung, je wahrer, desto härter.
Wenn wir den jetzigen Kurs beibehalten, oder durch Schulterzucken sich festsetzen lassen, sind wir mitverantwortlich am Niedergang einer Sprachkultur. Aber möglicherweise ist dies nur ein Indiz dafür, daß wir den Punkt der Kulmination in unserer westlichen Kultur längst überschritten haben ...
Dietrich Beck Großensee
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