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Walter Lachenmann
02.02.2001 23.00
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Gebongt!



Walter Lachenmann

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Gast
02.02.2001 23.00
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Schieflage der Sprache



Schwinden des Praxisbezugs

Wer kennt demnächst noch den Unterschied zwischen „das Schiefgehen“ (Verb: schiefgehen) und „das schiefe Gehen bzw. der Schiefgang“ (Verb: schief gehen) oder „Geheimhaltung“ (Verb: geheimhalten) und „geheime Haltung“ (Verb: geheim halten) usw.

Darüber wurde zwar schon mehrfach berichtet, und nach meinen eigenen Beiträgen zum Thema tauschten dann „die Gelehrten“ wieder untereinander Fachausdrücke wie „orthographische Rückbildung“ etc aus, was dann auf mich als Sprachpraktiker manchmal etwas abgehoben wirkt; eher hätte ich mir da gewünscht, daß einmal jemand dieser Experten mir direkt antwortet, und zwar auf meiner Sprachebene. Die Zahl der intellektuell eingefärbten Erörterungen in dieser Rubrik „Gästebuch“ ist inzwischen ja ziemlich gestiegen, aber sie erwecken tatsächlich manchmal den Eindruck, als kümmere man sich sehr um scharfsinnige Begründungen, warum dies oder das so oder so geschrieben werden muß oder sollte, und „wo steht das?“, und der eigentliche Bezug zum Wesen der deutschen Sprache tritt in den Hintergrund.

Dies sollte nicht sein. Denn wohin bewegen wir uns? Wollen wir tatsächlich zulassen, daß die bereits eingetretene Schieflage der Sprache „festzementiert“ wird?

Eine Schrift soll das gesprochene Wort so festhalten, daß es einwandfrei zurückgelesen werden kann. Dies ist aber infolge der meisten neuen Regeln nicht mehr möglich, wenn ich diese auch so anwende, wie die Schriftreformer es gerne hätten. (Sie hatten „Schriftreformer“ sein sollen und keine „Sprachreformer“; und bei Ihrem z.T. unbedarften Tun gingen ihnen scheinbar wichtige Kausalitäten der deutschen Sprache und der zugehörigen Schrift verloren. Welche Zeugnisnoten sie wohl früher im Fach Deutsch hatten?). Bewegen wir uns nun tatsächlich in Richtung zweier Sprachschriften? Vielleicht A und B, eine gehobene (welche die Sprache fast 100-%ig reproduzierbar macht) und eine einfache (welche beim Zurücklesen, wenn wirklich so gelesen wird, wie es da nun steht, einen neuen Sinn ergeben kann, die Reproduzierbarkeit der Originalsprache also vielleicht nur noch 80 % garantiert?).

Ich weiß nicht, woher mein gutes Sprachgefühl kommt, es ist wohl angeboren, denn bei manchen Regelungen weiß ich gar nicht, wie sie heißen. Ich weiß einfach, wie man etwas schreibt oder schreiben muß/sollte, damit das Geschriebene dem entspricht, was ich ausdrücken will. Es ist wie in der Musik und der zugehörigen Notenschrift, ich berichtete bereits vor einigen Tagen darüber. Ich bilde mir auf diese Sprachbegabung nichts ein, wundere mich aber umso mehr, weshalb bislang nur Dichter und Poeten heftig die Rechtschreibreform kritisierten, und nicht auch Schauspieler, die doch auf den geschriebenen Text angewiesen sind. Und hier beginnt auch mein Praxisbezug:

Richtiges Sprechen (denken Sie einmal darüber nach, was dies alles impliziert, beobachten Sie Schauspieler in Theater und Fernsehen wowie Sprecher im Rundfunk) ist etwas großartiges, alle Nuancen und Ausprachefolgen und Einfärbungen der deutschen Sprache auszunutzen und richtig einzusetzen. Deutsch ist eine wunderbare Klangsprache, wo Worte wie „klirrende Kälte“, „summen“, „einschmeicheln“, „Alptraum“ und „Krieg“ etc etc bereits fast genau den gemeinten Zustand ausdrücken und verbalisieren. Solche Zusammenhänge habe ich aus dem Deutsch-Unterricht meiner Schulzeit behalten, und ich bin dem damaligen Lehrer dafür heute noch dankbar. Auf dieses Sprachgefühl- und -verständnis legte er großen Wert, und nicht nur auf die starren Regeln, warum man dies oder das so oder so schreibt.

Durch diesen Hintergrund lebt die Sprache bei mir, und ebenso versuche ich beim Schreiben dieses innewohnende Gefühl, diese Lebendigkeit mit zu übertragen, damit der Leser es dann auch erfahren kann. Richtiges Schreiben bedingt also zunächst richtiges Sprechen, korrekte und disziplinierte Aussprache. Eine Trennung nach Sprechsilben könnte danach also durchaus die richtige sein, aber erst, nachdem ich nach den „Sinnsilben“ geforscht habe (wenn ich schon meine, unbedingt trennen zu müssen, denn es geht auch ganz gut ohne).

Fazit: Wie kann man den Menschen im deutschen Sprachraum bzw. denjenigen, welche sich damit befassen, ein besseres Gefühl für diese ihre Sprache vermitteln? Dies wäre eine gute Aufgabe für die Lehrer, und eigentlich hätten hier Sprach- oder Schriftreformer einsetzen müssen. Erst danach ergibt sich: Wie schreibe ich dies nun? Und beim letzteren reicht es dann, wenn ich gewisse Richtlinien gebe, dem Bürger also „tools“ oder Werkzeuge in die Hand gebe, die er nun so anwenden soll, daß das Niedergeschriebene auch seiner Intention entspricht. Eigentlich ein hohes Ziel, was bei der Realisierung große Eigenverantwortung verlangt. Aber wer hat die? Es ist ja viel bequemer, irgendwo nachzuschauen, dann bin ich die Verantwortung los. Doch damit beginnt eine „Inflation des Wertes unserer Sprache“; vor wenigen Tagen wurde der Dichter Reiner Kunze zitiert (Beitrag „zu hohes Gut“), und auch er äußerte sich hierzu u.a.: „... Wort ist Währung, je wahrer, desto härter“.

Wenn wir den jetzigen Kurs beibehalten, oder durch Schulterzucken sich festsetzen lassen, sind wir mitverantwortlich am Niedergang einer Sprachkultur. Aber möglicherweise ist dies nur ein Indiz dafür, daß wir den Punkt der Kulmination in unserer westlichen Kultur längst überschritten haben ...



Dietrich Beck
Großensee

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Theodor Ickler
02.02.2001 23.00
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Kinderbücher I

Was liest denn meine Tochter gerade? „Die wilden Hühner“. Hm. Cecilie Dressler Verlag. Das ist doch der Verlag, der alle Kinderbücher von Erich Kästner auf Neuschreibung getrimmt hat, so daß man sie nicht mehr lesen kann und folglich auch nicht mehr kaufen und verschenken.
Schaun wir mal rein, während sie ihr Cello bearbeitet. „Sie hob viel sagend die Augenbrauen.“ Na so was! Warum muß sie denn so viel sagen, während sie die Augenbrauen hebt? Übrigens haben die Reformer das Wort „vielsagend“ längst wiederhergestellt, der neue Duden führt es sogar als Hauptstichwort und gibt nur an, „auch viel sagend“ sei möglich, leider ohne Differenzierung der Verwendungsbedingungen. Weiter im Text: „noch mal“ – kommt ungefähr zehnmal vor und ist zehnmal falsch, denn die Neuregelung schreibt Zusammenschreibung vor. Hat zuerst niemand gemerkt, und als ich es der Kommission mitteilte, schrieb Klaus Heller zurück, er wolle sich drum kümmern (so wenig kannte sein eigenes Werk!). Inzwischen steht im Duden: „noch mal, auch nochmal“ – was aber immer noch falsch ist, denn im amtlichen Regelwerk steht ausdrücklich nur Zusammenschreibung. „Die schmutzig graue Stadtnacht“ – das ist „korrekt“, aber man fragt sich, was für ein Satzglied „schmutzig“ hier eigentlich sein soll. Jeder normale Mensch würde schreiben „schmutziggrau“ oder „schmutzig-grau“. „Heute schaffen wir’s nicht mehr hinzufahren.“ Hier muß jetzt ein Komma stehen. Im großen und ganzen haben die Kinderbuchverlage es sich schon wieder abgewöhnt, Kommas wegzustreichen, so auch in diesem Buch; aber hier ist es neuerdings obligatorisch. „Fred warf den andern einen viel sagenden Blick zu.“ Schon wieder! „Ihre Mutter fand, dass die Drei im letzten Aufsatz Besorgnis erregend gewesen war.“ Auch das ist „korrekt“, aber grammatisch falsch, weil das erweiterte Partizip nicht prädikativ gebraucht wird. Stand bisher in der Dudengrammatik. Übrigens ist „besorgniserregend“ auch schon wiederhergestellt, gegen das amtliche Regelwerk. Man fragt sich aber, was in Verlegern vorgeht, die sehenden Auges Grammatikfehler in ihre Bücher hineinkorrigieren. Immer wieder fällt mir der bekannte Schulbuchautor ein (er hat auch das Sprachbuch meiner Tochter verbrochen), der mir schrieb, er finde die Reform auch nicht gelungen, aber: „Ich werde der Norm gehorchen, weil sie die Norm ist.“ Ein deutscher Mann. Aber warum machen die Kinderbuchverleger mit? Haben sie wirklich, wie sie schon 1996 behaupteten, herausgefunden, daß Bücher in herkömmlicher Orthographie nicht mehr gekauft werden? Es sollte sich herumsprechen, daß die jetzige Produktion in einer Übergangsschreibung gehalten ist, über die man schon bald nur noch den Kopf schütteln wird. Soweit für heute zum Cecilie Dressler Verlag.



Theodor Ickler
Ringstr. 46, D-91080 Spardorf

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Manfred Riebe
02.02.2001 23.00
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Heimliches Abschreiben

Ich bin weit davon entfernt, Ludwig Reiners oder andere Autoren als Stilratgeber zu empfehlen. Dafür fehlt mir jede Kompetenz. Mir fällt im Gegenteil negativ auf, daß die Sprachratgeber selten genaue Quellenangaben enthalten. Nicht nur Ludwig Reiners (1896-1957) war ein Plagiator. Das heimliche Abschreiben ist in dieser „Branche“ die Regel. Da Reiners 1957 starb, konnte er seine Stilratgeber natürlich nicht mehr aktualisieren. Aber obwohl manche seiner Stilvorschriften nicht mehr zeitgemäß sein mögen und Sprachwissenschaftler ihn kritisieren, ist interessant, daß Ludwig Reiners in Fachkreisen immer noch als der Meister der Stillehre und Sprachkritik zitiert wird. Auch Wolf Schneider lobt Reiners über den grünen Klee. Daß der Freiburger Germanist Jürgen Schiewe das Werk Ludwig Reiners‘ neubearbeitet und herausgegeben hat, wußte ich nicht. Es wäre aufschlußreich zu erfahren, ob es überhaupt Sprachstillehrer gibt, die in der Sprachwissenschaft anerkannt werden.

Übrigens: Eduard Engel (1851-1938) war nicht Halbjude, sondern Vierteljude; vgl. Sprachwelt 45 (1989), S. 24.



Manfred Riebe
Max-Reger-Str. 99, D-90571 Schwaig bei Nürnberg

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Manfred Riebe
02.02.2001 23.00
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Korrektur: Heimliches Abschreiben

Korrektur der Quellenangabe: Nicht „Sprachwelt“, sondern richtig: „Sprachspiegel“ 45 (1989), S. 24. Dieser Schreibfehler ist ähnlich wie ein Versprecher ein Flüchtigkeitsfehler, d.h. ein „Verschreiber“. Von den Aufsatzkorrekturen her wissen wir Lehrer, daß Rechtschreibfehler selbst bei sorgfältigem Lesen bei der Korrektur immer wieder übersehen werden.
Wenn sich ein Fehler einmal eingeprägt hat, ist er auch nicht mehr so einfach zu löschen. So schrieb ich noch als Abiturient „entgültig“, bis ich feststellte, daß diese Schreibweise falsch ist. Aber, obwohl ich wußte, daß diese Schreibweise falsch ist, machte ich noch lange Zeit immer wieder den gleichen Fehler. Ebenso machen auch Schüler selbst beim Abschreiben oft viele Fehler, weil sie z.B. falsche Wortbilder gespeichert haben. Daraus kann man schließen, daß das Lesen allein keineswegs ausreicht, fehlerlos zu schreiben. Bei den Fehlern in Zeitungstexten dürfte es sich übrigens ähnlich verhalten.



Manfred Riebe
Max-Reger-Str. 99, D-90571 Schwaig bei Nürnberg

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Manfred Riebe
02.02.2001 23.00
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Sprachkritik: Nivellierung der Sprache durch Gaußsche Normalverteilung?

Lieber Herr Professor Ickler!

Walter Lachenmann schrieb im Gästebuch: „Nun ist der linguistisch-wissenschaftliche Standpunkt vielleicht der, daß man sagt: Wir stellen ja nur fest, was Realität ist. Dann geht das Niveau eben hinunter. Und da frage ich mich, ob es zu dieser wissenschaftlichen Position (und Aufgabenstellung), die ich schon nachvollziehen kann, nicht doch ein Gegengewicht geben sollte, ein erzieherisches, pflegendes.“ (In: „Schludrigkeit – Sprachwirklichkeit – Sprachpflege?“ 04.02.2001)

Deshalb versuchte ich herauszufinden, welche „Philosophie“ oder Theorie Sie diesbezüglich vertreten. Dabei sind mir folgende Ihrer Gedanken im Gästebuch aufgefallen:

1. „Schon vor vielen Jahren und ganz unabhängig von der Rechtschreibreform habe ich eine liberale Auffassung von Sprachnormen vertreten und bin dafür sogar mit dem Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ausgezeichnet worden („Die Ränder der Sprache“, Heidelberg 1978).“ (In: „Schule und Orthographie“ 13.01.2001)
2. „Aus dem abweichenden (also falschen) Gebrauch von heute wird der normale Gebrauch von morgen. (In: „Versuch, etwas zu erklären“ 03.02.2001)
3. „Ich dagegen meine mit „Norm“ das Normale, den Durchschnitt.“ (In: Omnia praeclara rara 04.02.2001)
4. Gaußsche Normalverteilung 04.02.2001 (1)

Das erinnerte mich assoziativ an Schulleiter, die die Gaußsche Normalverteilung zum Maßstab für die Benotung von Schulaufgaben erhoben, aber auch an die Gesamtheit aller Dienstlichen Beurteilungen, deren Ergebnisse ebenfalls mit der Gaußschen Normalverteilung übereinstimmen sollten. Das war für die Lehrer weder hinsichtlich der Schulausgaben noch für ihren Unterricht ein Anreiz. Was machen die meisten Lehrer in dieser Zwickmühle mit einer schlecht ausgefallenen Schulaufgabe? Sie ändern die Punkteverteilung bzw. den Punkteschlüssel, damit die geforderte Gaußsche Normalverteilung herauskommt, so daß sie vor dem Schulleiter vorbildlich dastehen. Ebenso werden die Dienstlichen Beurteilungen passend gemacht.

Ich meine, daß es ein wesentlicher Unterschied ist, ob man als Lehrer und Erzieher die Qualität oder den Durchschnitt zur Norm macht. Wenn man den Durchschnitt zur Norm macht, kommt in den Schulen und Universitäten das heraus, was Walter Lachenmann kontrastierend beschreibt:
„Vermutlich war es in den hinter uns liegenden Jahrhunderten so, daß jemand, der überhaupt schreiben konnte und auch noch publiziert wurde, eine gewisse Bildungs- und sprachliche Qualitätsstufe hatte, die den Standard der geschriebenen Sprache definierte. Da wurde – vermutlich – weniger geschludert. Jedenfalls wird heute so viel und von so vielen ungebildeten und sprachlich ehrgeizlosen Leuten geschrieben, daß sich dies auf den Standard der geschriebenen Sprache schlecht auswirkt.“ (In: „Schludrigkeit – Sprachwirklichkeit – Sprachpflege?“ 04.02.2001)

Über diesen Sprachverfall ärgern sich viele Universitätsprofessoren, darunter auch Lutz Götze: „An der Universität erleben wir die Verwilderung sprachlicher Sitten und Normen besonders schmerzlich.“ (vgl. seinen Leserbrief aus der SZ vom 22.01.2001 im Forum von www.deutsche-sprachwelt.de). Was also ist zu tun? Man sollte, wie Walter Lachenmann meint, eine sprachliche hohe Qualitätsstufe anstreben. Dazu gehört, daß sich die Sprachwissenschaft mehr als bisher mit Sprachkritik befaßt. Man braucht eine von der Sprachwissenschaft beratene, linguistisch fundierte Sprachkritik mit dem Ziel, den gegenwärtigen und künftigen Sprachgebrauch auf einer hohen Qualitätsstufe zu erhalten. Solche Ansätze linguistischer Sprachkritik gibt es, z.B.
Ickler, Theodor: Zur Semantik des politischen Schlagwortes. In: Sprache und Literatur 21 / Heft 65 (1990), S. 11-26.
Ickler, Theodor: Die Disziplinierung der Sprache. Fachsprachen in unserer Zeit. (Forum für Fachsprachen-Forschung, Band 33). Tübingen: Gunter Narr Verlag, 1997 (Vgl. darin das Literaturverzeichnis).
Ickler, Theodor: Kritischer Kommentar zur „Neuregelung der deutschen Rechtschreibung“: mit einem Anhang zur „Mannheimer Anhörung“, 2. durchgesehene u. erw. Auflage, Erlangen und Jena: Verlag Palm & Enke, 1999 (Erlanger Studien, Band 116).

____________________
(1) Anmerkung zur Gaußschen Normalverteilung: Carl Friedrich Gauß (1777-1855), ein deutscher Mathematiker, entwickelte u.a. die Wahrscheinlichkeitstheorie durch Aufstellung und Berechnung des Schemas einer Kurve der Normalverteilung als bildliche Darstellung des von ihm so benannten „Fehlergesetzes“. Die Gaußsche Häufigkeitsverteilung hat eine Glockenform. Angewandt auf die Schule sollte nach Möglichkeit die überdurchschnittliche „Durchschnitts"note „Drei“ herauskommen.



Manfred Riebe
Max-Reger-Str. 99, D-90571 Schwaig bei Nürnberg

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Gast
02.02.2001 23.00
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Sehr geehrte Frau Dr. Menges,

erlauben Sie mir einige Bemerkungen.
Nach einigen Jahren Erfahrung mit der Reform können wir sehen, daß
sich die Schreiberleichterungen auf die Adverbiengroßschreibung und
einige Einzelfälle (z. B. „nummerieren“) beschränken. Die übrigen
Regelungen haben zu keiner Verringerung, ja einige sogar zu einer
Zunahme der Fehlerzahlen geführt.
Dazu kommt, daß die Regeln der Getrenntschreibung hoch problematisch
sind und sich etwa Hauptschülern definitiv nicht vermitteln lassen.

Auf der anderen Seite stehen der finanziellen Aufwand der Einführung,
die Verunsicherung vieler Menschen, der Verlust der Einheitlichkeit
(zumindest für einen nicht unbeträchtlichen Zeitraum [nein, das ist
nicht nur die Schuld der bösen, bösen Reformgegner die ja bloß zu faul
zum Umlernen sind!]) und der Kontinuitätsbruch.

Das sind überraschend hohe Kosten für doch recht wenig Ertrag.
Müssen also wir die Vereinfachungen noch weiter vorantreiben? Nun,
zwischen Schreiben und Lesen besteht ein „Trade-off“: was das
Schreiben erleichtert, erschwert meist das Lesen. „Heut zu Tage“ wird
uns verstärkt die effiziente Aufnahme von Informationen abgefordert.
Zugleich unterstützt uns beim Schreiben immer besser der Computer.
Daher ist es nicht unmittelbar ersichtlich, warum nun der Schwerpunkt
vom Lesen auf das Schreiben verschoben werden sollte. Natürlich kann
man nach dem Abwägen von Für und Wider zu dem Ergebnis kommen, daß es
am wichtigsten sei, das Schreiben zu erleichtern.
Doch zunächst muß man eben jene Arbeit des Abwägens leisten. Dies
aber haben die Reformer nicht geleistet. Daß sie dennoch der Kritik
standhalten, ist leider kein Zeichen für sorgfältige Vorbereitung. Es
ist vielmehr Ergebnis einer Verfahrensregelung, die für die Mehrzahl aller
Betroffenen unbefriedigend ist und auf die Frage, wie die Schreibnorm
an die sprachliche Entwicklung gekoppelt werden könnte, gewiß nicht die
optimalste Antwort gibt.

Mit freundlichen Grüßen
Axel Kopp



Axel Kopp
Augsburg

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Theodor Ickler
02.02.2001 23.00
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Normales

Lieber Herr Riebe,

nun führen Sie sogar meine eigenen Schriften ins Feld, um mir zu beweisen, daß es eine sprachwissenschaftliche Sprachpflege gibt. Na, ich werde wohl noch einigermaßen wissen, was ich geschrieben habe und was nicht.
Um mein scherzhaftes Geplänkel mit Herrn Lachenmann machen Sie zuviel Aufhebens. Ich wollte doch bloß sagen, daß ganz schlechter und sehr guter Ausdruck natur- und gaußgemäß immer selten sein wird. Das trägt zur Klärung des Normbegriffs bei.
Daß Sie unter den Autoritäten, die den Sprachverfall bejammern, auch Lutz Götze nennen, wundert mich. Götze will doch bloß von der Rechtschreibreform ablenken, an der er so gut verdient. Erinnern Sie sich noch, was er auf dem Podium in München gesagt hat? Er wolle eine Rechtschreibung, die ein Sechsjähriger versteht ... Und nun beklagt er die „Verwilderung sprachlicher Sitten und Normen“ an der Universität!

Aber nun noch ein ernstes Wörtchen: Wollen Sie wirklich mit mir darüber streiten, ob Eduard Engel (für den ich mich schon 1988 in der „Muttersprache“ verwendet habe), „Halbjude“ oder „Vierteljude“ war? Ich habe diese Nazikategorie selbstverständlich in Anführungszeichen gesetzt, weil ich die ganze Begriffsbildung absurd finde. Ist ein Mensch mit einer muslimischen Großmutter ein „Viertelmuslim“? Übrigens weiß ich jetzt alles über Eduard Engel, weil ich gerade die voluminöse Dissertation von Anke Sauter (E. E.    – Literaturhistoriker, Stillehrer, Sprachreiniger, Bamberg 2000) rezensiert habe (erscheint demnächst in der FAZ). Dort erfährt man auch, daß Engel keineswegs Selbstmord begangen hat, wie in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift „Mut“ kolportiert wird.



Theodor Ickler
Ringstr. 46, D-91080 Spardorf

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RenateMariaMenges
02.02.2001 23.00
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Einführung in Schulen

In allen Schulen ( bis auf ein Bundesland) ist die Rechtschreibreform eingeführt- ein Zurück gibt es meines Erachtens nicht. Immer mehr Schüler erlernen die schriftliche Sprache in neuer Rechtschreibung. Weitere Vereinfachungen wären dringend nötig gewesen. Aber nun nochmals ein Zurück in die Vergangenheit zu wagen, fände ich den größten Schwachsinn aller Zeiten. Reformen sollten vorher so überlegt werden, dass sie auch den Druck von Teilen der Gesellschaft ( zum Beispiel: FAZ mit ihren Kritikern ) aushalten kann. Eine Rückkehr würde mehr Unbehagen und Kritik hervorrufen, als ein Weitermachen in der heutigen Form. Ich wünsche mir, Prof. Ickler, dass die Rechtschreibreform weiter forciert wird, sodass wir zu einer weiteren Vereinfachung und somit zu einer größeren Fehlerreduzierung kommen.
Mit freundlichen Grüßen
RenateMariaMenges   



RenateMariaMenges

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Manfred Riebe
02.02.2001 23.00
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Präskription

„Präskription“, für die Herr Riebe plädiert ...???
Hier liegt ein Mißverständnis vor. Als sprachlicher Laie und Nichtgermanist plädierte ich hier nicht allgemein für Präskription, sondern schrieb nur: „Einen Sprachratgeber zu verfassen, bedeutet nämlich stilistische Präskription.“ Ich dachte dabei an Ludwig Reiners, der als unbestrittener Stilpräzeptor des Deutschen beauftragt wurde, für das Stilwörterbuch des Großen Duden (4. Auflage 1956) den Einleitungsessay „Vom deutschen Stil“ zu verfassen. Präskription betreiben z.B. auch die Kultusminister mit Lehrplänen und Rechtschreiberlassen. Allerdings sind Lehrer und Hochschullehrer, oft ohne es zu wollen, die Sprachrohre und Erfüllungsgehilfen der Kultusminister, sofern sie nicht aktiven und/oder passiven Widerstand leisten. – Allerdings bin ich der Meinung, daß das Wort „lohnenswert“ semantisch und logisch objektiv falsch ist, so daß man empfehlen sollte, es zu vermeiden.



Manfred Riebe
Max-Reger-Str. 99, D-90571 Schwaig bei Nürnberg

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Walter Lachenmann
02.02.2001 23.00
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Schludrigkeit - Sprachwirklichkeit - Sprachpflege?

Lieber Herr Ickler,

trösten Sie sich: mir gefällt meine Rolle des Schlechterwissers auch nicht. Nach jedem Beitrag, den ich hier abliefere, schwöre ich mir, daß dies nun wirklich der letzte sei für einige Zeit, dann kommen Sie wieder mit Sachen, die ich einfach nicht unwidersprochen lassen mag.

Der Weg von den Weibern über die Frauen zu den Frauenzimmern (in Vorarlberg heißen die Mädchen seltsamerweise »Schmelgen«), von gerben zu gar, von kneten zu machen, ist ja nicht zu vergleichen mit lohnend vs. lohnenswert. Im einen Fall handelt es sich um verschiedene Begriffe für ein und dieselbe Sache oder um »übertragenen Sinn«, im anderen um schlichtweg falschen Gebrauch eines Begriffs. Wenn ich etwa sagen will, »die Sache ist erledigt« kann ich dazu viele andere schöne Sprüche bringen: »Der Kittel ist geflickt, Der Fisch ist geputzt, Des Wiesle isch gmäht...«. Das sind Analogien, Bilder. Ebenso ist der Bedeutungswandel etwa von putzen, was sowohl sich herausputzen, sich schmücken heißen kann als auch die Treppe oder sonstwas saubermachen, wohl kaum auf einen einmal begangenen Fehler oder auf Schludrigkeit zurückzuführen, sondern auf verwandte Bedeutungen. Beim Putzen mache ich eben etwas schön, entweder verschönere ich mich oder ich mache etwas sauber.

Ich habe nichts durcheinandergebracht mit meinen Beispielen aus der Mathematik und den Fremdsprachen. Unter Mathematikern, habe ich mir sagen lassen, ist es inzwischen »Allgemeingut«, daß man sich gar nicht mehr sicher ist, ob die mathematischen vermeintlichen Gesetzmäßigkeiten nicht pure Zufälle sind. (Fragen Sie mich nicht mehr darüber, davon habe ich noch nie etwas verstanden, dies ist das erste, was mir bei der Mathematik wirklich einleuchtet.)

Und bei meinen Beispielen aus Fremdsprachen hatten wir eben genau die Fälle, wie bei lohnend vs. lohnenswert: Es wird nicht genau hingeschaut, was ein Wort eigentlich bedeutet. Man »geht davon aus«, daß Municipal wohl    ein Ortsteil sein müsse (offensichtlich war der weitgereiste Fachjournalist nie an dem Ort, den er beschreibt und kennt auch die Landessprache nicht) und daß es sich bei Loc. wohl um eine Locanda handeln müsse. Man schaut noch nicht mal im Wörterbuch nach, es ist eh wurscht. Das sind nicht Sinnstiftungen aufgrund von Analogien, sondern das ist Schludrigkeit, Ignoranz, Anmaßung und Respektlosigkeit der Sprache gegenüber. Der Text muß ja ohne allzugroßen Aufwand schnellstens raus, damit man den nächsten produzieren und verscherbeln kann. Im Tagesjournalismus kann man ähnliches auch oft beobachten, was nicht heißt, daß alle Journalisten verantwortungslose Schluderer sind.

Ich denke: Wenn eine Linguistik deskriptiv arbeitet, dann ist es ein Unterschied, welches Material sie auswertet. Vermutlich war es in den hinter uns liegenden Jahrhunderten so, daß jemand, der überhaupt schreiben konnte und auch noch publiziert wurde, eine gewisse Bildungs- und sprachliche Qualitätsstufe hatte, die den Standard der geschriebenen Sprache definierte. Da wurde – vermutlich – weniger geschludert. Jedenfalls wird heute so viel und von so vielen ungebildeten und sprachlich ehrgeizlosen Leuten geschrieben, daß sich dies auf den Standard der geschriebenen Sprache schlecht auswirkt. Diejenigen, die wirklich gut und sprachbewußt schreiben (was bei guten Autoren nicht über das eigentliche Bewußtsein geht, sondern über die erworbene Sprachkultur), sind in der Minderzahl und machen die Negativernte nicht wett. Nun ist der linguistisch-wissenschaftliche Standpunkt vielleicht der, daß man sagt: Wir stellen ja nur fest, was Realität ist. Dann geht das Niveau eben hinunter. Und da frage ich mich, ob es zu dieser wissenschaftlichen Position (und Aufgabenstellung), die ich schon nachvollziehen kann, nicht doch ein Gegengewicht geben sollte, ein erzieherisches, pflegendes.

Das ist vielleicht nicht Ihr Thema, lieber Herr Ickler, aber es ist eines.



Walter Lachenmann
Krottenthal 9, 83666 Waakirchen

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Henrik Swaton
02.02.2001 23.00
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Betr. Frauenzimmer

Ein anderes (lt. DUDEN veraltetes) Wort gibt es weiterhin ganz offiziell: Frauensperson. Man schlage nach im BGB § 825 und § 847 (2). Die Sprache des BGB ist manchmal ziemlich lustig (Stichwort: Verrücktes Grenzzeichen § 919)



Henrik Swaton

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Theodor Ickler
02.02.2001 23.00
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Kein Zurück?

Sehr verehrte Frau Dr. Menges,
bitte übersehen Sie nicht: Die objektiven Fehler der Reform haben bereits jetzt zu einem erheblichen inhaltlichen Rückbau der Reform geführt, mit der Folge, daß sämtliche umgestellten Wörterbücher, Schul- und Kinderbücher schon nicht mehr dem aktuellen Stand entsprechen. Ich sende Ihnen auf anderem Wege gern eine nähere Beweisführung. Dieses ständige Ändern wird aber weitergehen. Ich bitte Sie, sich die Folgen auszumalen und mit den Folgen einer vollständigen Rücknahme (d. h. des Wiederanschlusses an die immer noch sehr verbreitete und gut bekannte Erwachsenenorthographie zu vergleichen. Es gibt keine Fehler, die man nicht korrigieren könnte.



Theodor Ickler
Ringstr. 46, D-91080 Spardorf

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Henrik Swaton
02.02.2001 23.00
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Neue Deutsche Rechtschreibung (NDR)

Jetzt wurde doch noch ein Beispiel dafür gefunden, daß in der NDR etwas „richtiger“ geschrieben wird: DUDEN 2000 – das ist mir wurst, auch wurscht (alte! Schreibung Wurst, Wurscht). Das muß wohl sogar Herr Prof. Ickler anerkennen.



Henrik Swaton

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Theodor Ickler
02.02.2001 23.00
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Ludwig Reiners

Lieber Herr Riebe,
Ludwig Reiners wird in der Fachwelt sehr kritisch beurteilt. Der große Verkaufserfolg seiner Stilkunst besagt gar nichts. Das Buch erschien zuerst im Dritten Reich. Reiners konnte es sich daher leisten, in größtem Umfang von Eduard Engel abzukupfern, ohne den inzwischen verstorbenen und verpönten („halbjüdischen“) Autor ein einziges Mal zu erwähnen (außer in den Literaturangaben). Er hat nicht nur dessen Terminologie und Grundeinteilung übernommen, sondern unzählige Beispiele, unter sorgfältiger Auslassung jener Autoren, die den Nazis nicht genehm waren. Nach dem Krieg hat er dann einiges ergänzt, aber das ganze Buch ist aus diesen Gründen eine solche Lumperei, wie ich sie kaum anderswo erlebt habe. Über Reiners‘ Auffassung von Sprache und Stil will ich hier nichts weiter sagen, es würde zu weit führen.

Kostprobe (zu einer Moltke-Huldigung):

„Wenn wir ihn lesen, sind wir mit einem Zauberschlag hinübergehoben in jene ehrfürchtige Stimmung, mit der damals das dankbare deutsche Volk vor das erzene, stille Antlitz seines Feldherrn trat.“

Usw. – so schreibt Reiners, und so sollen wir wohl auch schreiben? Reiners ist heutzutage völlig unbrauchbar (was aber eine Neubearbeitung und -herausgabe durch den Freiburger Germanisten Jürgen Schiewe nicht verhindert hat).



Theodor Ickler
Ringstr. 46, D-91080 Spardorf

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