Schludrigkeit - Sprachwirklichkeit - Sprachpflege?
Lieber Herr Ickler,
trösten Sie sich: mir gefällt meine Rolle des Schlechterwissers auch nicht. Nach jedem Beitrag, den ich hier abliefere, schwöre ich mir, daß dies nun wirklich der letzte sei für einige Zeit, dann kommen Sie wieder mit Sachen, die ich einfach nicht unwidersprochen lassen mag.
Der Weg von den Weibern über die Frauen zu den Frauenzimmern (in Vorarlberg heißen die Mädchen seltsamerweise »Schmelgen«), von gerben zu gar, von kneten zu machen, ist ja nicht zu vergleichen mit lohnend vs. lohnenswert. Im einen Fall handelt es sich um verschiedene Begriffe für ein und dieselbe Sache oder um »übertragenen Sinn«, im anderen um schlichtweg falschen Gebrauch eines Begriffs. Wenn ich etwa sagen will, »die Sache ist erledigt« kann ich dazu viele andere schöne Sprüche bringen: »Der Kittel ist geflickt, Der Fisch ist geputzt, Des Wiesle isch gmäht...«. Das sind Analogien, Bilder. Ebenso ist der Bedeutungswandel etwa von putzen, was sowohl sich herausputzen, sich schmücken heißen kann als auch die Treppe oder sonstwas saubermachen, wohl kaum auf einen einmal begangenen Fehler oder auf Schludrigkeit zurückzuführen, sondern auf verwandte Bedeutungen. Beim Putzen mache ich eben etwas schön, entweder verschönere ich mich oder ich mache etwas sauber.
Ich habe nichts durcheinandergebracht mit meinen Beispielen aus der Mathematik und den Fremdsprachen. Unter Mathematikern, habe ich mir sagen lassen, ist es inzwischen »Allgemeingut«, daß man sich gar nicht mehr sicher ist, ob die mathematischen vermeintlichen Gesetzmäßigkeiten nicht pure Zufälle sind. (Fragen Sie mich nicht mehr darüber, davon habe ich noch nie etwas verstanden, dies ist das erste, was mir bei der Mathematik wirklich einleuchtet.)
Und bei meinen Beispielen aus Fremdsprachen hatten wir eben genau die Fälle, wie bei lohnend vs. lohnenswert: Es wird nicht genau hingeschaut, was ein Wort eigentlich bedeutet. Man »geht davon aus«, daß Municipal wohl ein Ortsteil sein müsse (offensichtlich war der weitgereiste Fachjournalist nie an dem Ort, den er beschreibt und kennt auch die Landessprache nicht) und daß es sich bei Loc. wohl um eine Locanda handeln müsse. Man schaut noch nicht mal im Wörterbuch nach, es ist eh wurscht. Das sind nicht Sinnstiftungen aufgrund von Analogien, sondern das ist Schludrigkeit, Ignoranz, Anmaßung und Respektlosigkeit der Sprache gegenüber. Der Text muß ja ohne allzugroßen Aufwand schnellstens raus, damit man den nächsten produzieren und verscherbeln kann. Im Tagesjournalismus kann man ähnliches auch oft beobachten, was nicht heißt, daß alle Journalisten verantwortungslose Schluderer sind.
Ich denke: Wenn eine Linguistik deskriptiv arbeitet, dann ist es ein Unterschied, welches Material sie auswertet. Vermutlich war es in den hinter uns liegenden Jahrhunderten so, daß jemand, der überhaupt schreiben konnte und auch noch publiziert wurde, eine gewisse Bildungs- und sprachliche Qualitätsstufe hatte, die den Standard der geschriebenen Sprache definierte. Da wurde vermutlich weniger geschludert. Jedenfalls wird heute so viel und von so vielen ungebildeten und sprachlich ehrgeizlosen Leuten geschrieben, daß sich dies auf den Standard der geschriebenen Sprache schlecht auswirkt. Diejenigen, die wirklich gut und sprachbewußt schreiben (was bei guten Autoren nicht über das eigentliche Bewußtsein geht, sondern über die erworbene Sprachkultur), sind in der Minderzahl und machen die Negativernte nicht wett. Nun ist der linguistisch-wissenschaftliche Standpunkt vielleicht der, daß man sagt: Wir stellen ja nur fest, was Realität ist. Dann geht das Niveau eben hinunter. Und da frage ich mich, ob es zu dieser wissenschaftlichen Position (und Aufgabenstellung), die ich schon nachvollziehen kann, nicht doch ein Gegengewicht geben sollte, ein erzieherisches, pflegendes.
Das ist vielleicht nicht Ihr Thema, lieber Herr Ickler, aber es ist eines.
Walter Lachenmann Krottenthal 9, 83666 Waakirchen
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