GKS
Nach der ausgiebigen Diskussion der Getrennt- und Zusammenschreibung sollten wir vielleicht einmal daran denken, daß die Neuregelung noch andere fragwürdige Punkte enthält, zum Beispiel die Groß- und Kleinschreibung, deren Veränderung ja wohl noch mehr auffällt. Tatsächlich waren die Reformer angetreten, um die Kleinschreibung einzuführen, das war fast der einzige Programmpunkt sowohl bei Nerius im Osten wie bei den Emanzipatoren in westlichen GEW-Kreisen (Frankfurter Kongreß 1973). Mich würde nun interessieren, was die Diskutanten dieses ertragreichen Gästebuchs (das sich nun mal zum eigentlichen Forum entwickelt hat) über meine Vorschläge zur Neudarstellung der GKS zu sagen haben.
Ich erinnere noch einmal an die beiden Hauptpunkte (die Großschreibung am Satzanfang können wir weglassen). Wenn man in der alten und auch von der Neuregelung nicht angetasteten Weise von Substantivgroßschreibung spricht, muß man erklären, warum viele Substantive (besonders sog. Substantivierungen) klein geschrieben werden: im allgemeinen, aufs schönste, im dunkeln tappen usw.; andererseits aber viele Nichtsubstantive groß: der Schwarze Peter usw. Ich habe nun vor allem in der Kurzen Anleitung in meinem Rechtschreibwörterbuch folgendes vorgeschlagen: Nicht eigentlich Substantive ziehen die Großschreibung auf sich, sondern das, wovon in einem Text die Rede ist. Das ist ganz bewußt eine ziemlich vage Formulierung. Zugrunde liegt die bekannte Beobachtung, daß man aus einem Text alles klein Geschriebene wegstreichen und doch immer noch erkennen kann, wovon der Text handelt; umgekehrt geht das nicht. Nun muß man allerdings aufpassen, daß man diesen vagen Begriff des Textgegenstandes nicht verwechselt mit dem Wichtigen. Der Textgegenstand, das thematische Material steht in Substantiven bzw. Substantivgruppen (die wenigstens ein groß geschriebenes Wort enthalten). Das erleichtert die Orientierung und führt zu einer Erhöhung der Lesegeschwindigkeit, die auf zwei bis fünf Prozent geschätzt wird. Jedenfalls gilt es als Vorzug der deutschen Orthographie, den auch die Reformer grundsätzlich anerkennen, allerdings nicht hoch genug schätzen, um dafür ihr Ziel der einheitlichen Kleinschreibung aufzugeben. Eigennamen brauchen übrigens nicht gesondert berücksichtigt zu werden, weil sie immer etwas bezeichnen, wovon im Text die Rede ist. Nützlich ist das vage Kriterium, wenn man sich fragt, ob im allgemeinen, des öfteren usw. groß geschrieben werden sollen. Manche Texte handeln wirklich vom Allgemeinen, dann wird es groß geschrieben, aber im allgemeinen ist davon keine Rede, sondern man meint es gewissermaßen adverbial (engl. generally) und schreibt es klein. Was sollte wohl das Öftere sein? Das gibt es doch gar nicht, folglich schreibt man klein usw. Der Fanatiker Gallnmann wollte die ihm unangenehmen Ausnahmen bei weitem usw. auch noch beseitigen, zwölf Stück insgesamt. Das ganze führt tief ins neunzehnte Jahrhundert zurück, als man diese Großschreibungen aber auch schon übertrieben fand und an ihre Beiseitigung ging. Hier zeigt sich der reaktionäre Charakter der Neuregelung besonders deutlich. Mein Vorschlag versucht die Intuition der Schreibenden in neuer Weise zu erfassen.
Der zweite Punkt sind die festen Begriffe, Nominationsstereotype: Schwarzer Peter, Rote Taubnessel. Nerius und die Seinen haben sich bemüht, mit der Eigennamengroßschreibung weiterzukommen, mußten dann aber feststellen, daß hier meist keine Eigennamen vorliegen. Die Schreibwirklichkeit kennt noch weit mehr Großschreibungen, als der alte Duden und die Neuregelung anerkennen wollten. Ich habe vorgeschlagen, für praktische Zwecke die Unterscheidung von Sein und Heißen heranzuziehen, was eine bessere Grundlage als der fragwürdige Eigennamenbegriff ist. Als Zehetmair den Heiligen Vater rettete, ging es um folgendes: der heilige Vater wäre ein Vater, der heilig ist, aber der Heilige Vater ist eine Person, die den Titel Heiliger Vater trägt, also (nur) so heißt. Die Rote Taubnessel muß nicht rot sein, der Schnelle Brüter nicht schnell usw. und das Schwarze Brett ist bekanntlich in den seltensten Fälle schwarz, sondern heißt nur so. Mit diesem Kriterium kann man eine größere Menge von Fällen abdecken als mit den gewundenen Erklärungen des alten Duden oder gar der Neuregelung.
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