Wovon die Rede ist
Zunächst zu meinem Geplänkel mit Herrn Riebe. Die Fragen hatten durchaus einen konkreten Sinn. Es zeigt sich nämlich wiederum, daß Herr Riebe zwar penetrant kritisiert, aber die Gegenargumente nicht zur Kenntnis nimmt und vor allem selbst keine bessere Lösung weiß. Vor der Frage, wie er das beanstandete sich satt_essen denn nun entscheiden würde, kneift er ganz einfach: Ich bin kein Sprachpapst. Ich fände es besser, wenn jemand, der es selbst nicht besser weiß, auf (hartnäckige) Kritik verzichtet. Es mutet mich schon merkwürdig an, wie Herr Riebe dauerhaft aufgetreten ist, als ob Professor Ickler schwer von Begriff sei, obwohl Herr Riebe offensichtlich selbst nicht in der Lage ist, die einfachsten isolierten Fragen zu beantworten, selbst in denjenigen Fällen, an denen er seinen Protest aufhängt. Wir wissen also nach wie vor nicht, was Herr Riebe konkret will, nicht einmal bei drei beispielhaft zur Konkretisierung vorgeschlagenen Zweifelsfällen. Auch finde ich es seltsam, daß Herr Riebe Professor Ickler immer wieder kritisiert hat, durchaus zu einzelnen Fällen wie sich satt_essen, und einfach behauptet, der Duden habe im großen und ganzen sinnvoll (also besser) entschieden; denn nun wagt Herr Riebe doch wieder nicht, die Duden-Schreibung als Norm zu wählen (und seine früheren Beiträge zur Betonung zu widerrufen) oder umgekehrt sein ebenso ausdauernd beschworenes Betonungskriterium anzuwenden (und sich gegen den Duden zu entscheiden). Das entspricht im Ergebnis nämlich genau dem (künftigen) Eintrag in Professor Icklers Wörterbuch, das seinerseits, wie der Duden es eigentlich hätte tun sollen, den Usus darstellt. Es ist doch einigermaßen verwunderlich, daß Herr Riebe den Duden mit dem Hinweis verteidigt, dieser solle nicht kritisiert werden, ohne daß er die Gelegenheit zur Stellungnahme hätte, während Professor Ickler anscheinend für die Riebeschen Nachhilfestunden ein bedürftiger Adressat sein soll, wobei sogar dessen eigene Texte gegen ihn aufgeboten werden so als habe sich nicht der Duden, sondern Professor Ickler in eine Unzahl von Widersprüchen verwickelt.
Es ist nicht so, daß ich das Anliegen von Herr Riebe (zuviel Liberalität) unberechtigt fände das habe ich ihm auch geschrieben. Ich hatte ja auch die Meinung hier im Forum zum Ausdruck gebracht, daß das Wörterbuch grundsätzlich schon verkompliziert werden könnte. Also mehr als bisher Differenzierung, Präzisierung. So ließe sich das undifferenzierte auch an nicht wenigen Stellen durch ein präziseres meist, überwiegend, seltener o. ä. ersetzen. Das ist aber im Ergebnis, wie gesagt, komplizierter, es ist aus systematischer Sicht problematisch (Wo gilt noch meist, wo nur überwiegend? usw.), es erhöht den Nachschlage- und Lernaufwand beträchtlich, falls diese Qualifizierungen überhaupt bedeutsam sein sollen, und nicht zuletzt muß dem ein enormer Untersuchungsaufwand vorausgehen, wobei immer noch Fragen zur Repräsentativität der ausgewerteten Texte offen bleiben, das heißt, daß eher wieder weniger Befriedigung ermöglicht wird, wenn man will, daß die Auskunft des Wörterbuchs zuverlässig sein soll. Jedenfalls können wir dazu keine Belehrungsfeldzüge der Art Die Betonung muß unbedingt beachtet werden! oder Um Gottes Willen nicht einen bisher eindeutigen Duden-Eintrag nicht mit einer Variante anreichern! brauchen, so als ob Professor Ickler sich noch keine Gedanken zur Betonung oder zur grundsätzlichen Problematik der Differenzierung gemacht hätte. Ich gebe aber Herrn Riebe insoweit recht, als es ein verbreitetes Bedürfnis gibt, möglichst wenig undifferenzierte Varianten angeboten zu bekommen nämlich dann, wenn man schon nachschlägt, oder auch dann, wenn man von der Vorstellung ausgeht, daß zwei Varianten kaum je vollkommen austauschbar sind, was ja oft auch zutrifft. Der Beitrag zu Schofför veranschaulicht dies noch einmal. Wenn ich Professor Ickler richtig verstanden habe, sollen solche (relativ leicht und problemlos) durchführbaren Differenzierungen wie zum Beispiel Chauffeur, selten auch Schofför in eine künftige Ausgabe einfließen; im wesentlichen sei es der riesige Arbeitsaufwand gewesen, der das bisher verhindert habe. Ich meine, man muß vor der Gewissenhaftigkeit des Verfassers und Bearbeiters wirklich voll Staunen den Hut ziehen (Motto: Man muß alles nachprüfen) und sollte sich dies noch einmal vor Augen führen, bevor man auf Professor Ickler herumhackt, als sei er ein verirrter Dogmatiker oder ein unsensibler Schlamper. Ich denke, daß künftig ein Kompromiß möglich sein wird, der einerseits dem Bedürfnis nach Präzision und Differenzierung mehr Rechnung trägt, andererseits aber dem Benutzer, wie eben auch jetzt schon, zumuten muß, zur Kenntnis zu nehmen, daß es in vielen Fällen mehrere verbreitete und berechtigte Varianten gibt, bei denen eine erschöpfende Differenzierung unter dem Strich zu viele Nachteile hätte, wenn sie nicht sogar unmöglich ist.
Zur GKS. Wer die Überschrift Wovon die Rede ist im Hinterkopf behalten hat, während er den bisherigen Text dieses Beitrags las, hatte damit wohl kaum Schwierigkeiten, indem er diesen Titel einfach auf den ganzen Text bezog und nicht nur auf die Substantive und Eigennamen! Das heißt, die Formulierung ist, meine ich, schon ein bißchen mißverständlich. Was bedeutet es, daß sie bewußt vage gehalten sein soll welche Vorteile hat diese Vagheit? Man könnte die Schwierigkeit beim Verstehen (die dem neuen Aha-Effekt gegenübersteht)so interpretieren, daß der Ausdruck wovon die Rede ist scheinbar das Kriterium ganz im Bereich der Semantik ansiedelt, obwohl doch am Ende grammatische Kriterien den Ausschlag geben, was von all dem, wovon in dem Text die Rede ist, dasjenige sein soll, ein Substantiv ist.
Ein Beispielsatz: Der Philosoph trank unablässig Wasser und weinte über seinen toten Freund. Ist hier den von drei Dingen die Rede: Philosoph, Wasser, Freund? Ist nicht genausoviel die Rede vom Trinken und vom Freund? Interessiert hier nicht eher, was der Philosoph mit dem Wasser macht (nicht darin baden, es nicht aus der Zisterne schöpfen, es nicht auf die Tomaten gießen, sondern trinken) und warum er weint: nicht weil sein Freund krank, geschieden, veschollen, gedemütigt ist, sondern tot? Ich habe einmal die interessante Meinung gelesen, nicht das Substantiv sei das Hauptwort, sondern in Wirklichkeit das Verb: Erst mit ihm kommt Leben in die Bude. Man könnte sagen das ist mein Bild für den Sachverhalt die Substantive wurden im Rahmen der Schöpfung alle von Gott in die Welt gestellt, aber es passierte nichts. Dann sagte er: Nun macht mal, meine Geschöpfe! Dann kamen die Verben hinzu, dann wurde es lebendig und interessant. So gesehen, sind die Substantive tot ohne die Verben. Kann man das Lebendige in einem Text derart unter das Tote herabstufen, daß man sagt, von ihm sei nicht die Rede?
Ich habe auch Bedenken, wenn die Kleinschreibung bei thematischer Herabstufung als mehr oder weniger regelhaft dargestellt wird, so auf Seite 21: darum wird auch dies klein geschrieben. Denn es besteht doch thematisch/semantisch wenig Unterschied zwischen im allgemeinen (= allgemein), in Kürze (= bald), im Prinzip (= grundsätzlich), am Ende (= zuletzt). Der Unterschied ist offensichtlich, daß es sich bei im allgemeinen nicht um ein Substantiv handelt, sondern um ein (durch den Artikel substantiviertes) Adjektiv, in den anderen Fällen um echte Substantive. Hier liegt also die thematische Herabstufung im Streit mit der grammatischen Substantivierung, aber eben nur bei ursprünglichen Adjektiven und Partizipien. Anders gesagt, bei diesem Zweifelsfall geht es nicht unbedingt um Herabstufung, sondern eher darum, daß die semantische Qualität dazu führen kann, daß die grammatische Heraufstufung unterbleibt. Insofern ist es ein wenig mißverständlich und zu grob gestrickt, daß auf Seite 21 (zu allgemein) von Subststantiven die Rede ist, bei denen (hier unnötig vage) die Neigung bestehe, sie bei thematischer Herabstufung klein zu schreiben, und erläutert wird der zweite von zwei Fällen mit Hilfe von herabgestuften Substantivierungen. Erst anschließend auf Seite 22 ist von Adjektiven die Rede, obwohl dies auf den vorherigen Abschnitt ebenso zutrifft. Meiner Ansicht nach war, was diese Fälle betrifft, der Duden exakter, indem er gleich die in Frage kommenden Wortarten für diesen Übergangsbereich benannte.
Wolfgang Wrase München
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