Hallo Sarah bzw. littlebloo.
Was für ein glücklicher Umstand, daß Du auf dieser Seite gelandet bist: Du machst einen ziemlich aufgeweckten Eindruck, daher nehme ich an, daß Du die Lügen der Kultusminister und Co. nach Sicht der hiesigen Materialien schnell durchschaut haben wirst. Deine bisherige Meinung zur neuen Rechtschreibung hast Du offensichtlich zwar nicht bewußt von anderen übernommen, unbewußt aber doch. Deine Argumentation geht nämlich wie das bei fast allen reformbefürwortenden Argumentationen der Fall ist grundsätzlich erst einmal davon aus, daß die Reform eine segensreiche Vereinfachung gebracht hätte. Mit dieser Werbung wurde sie der breiten Öffentlichkeit immer verkauft, mit teilweise völlig absurden Vorhersagen über gigantische Rückgänge der Fehlerzahlen, mit dreisten Manipulationsmethoden wie der unglaublicherweise immer noch immer wieder behaupteten Aussage, aus den bisherigen 212 Dudenregeln seien jetzt nur noch 110 Regeln geworden. Daß der Regeltext aber um 50% länger als bisher ist, daß die Zahlen nur die thematische Einteilung, nicht aber die wirklichen Regeln beziffern, wird dabei natürlich gern verschwiegen.
Ich möchte Dir drei Bücher empfehlen, die mich in meinem Empfinden für Politik und Gesellschaft stark geprägt haben:
Schöne neue Welt von Aldous Huxley (gerade erst endlich selber gelesen),
Fahrenheit 451 von Ray Bradbury
und, in Anbetracht der Realität der Rechtschreibreform und all ihrer Begleitumstände besonders schaurig: 1984 von George Orwell.
Gerade in letzterem wird veranschaulicht, wohin Sprachmanipulation und Wahrheitsleugnung seitens des Staates führen können. Und gerade in Deutschland müßte man auf derlei Dinge viel sensibler reagieren als das zumindest die Medien zur Zeit tun. Die bringen lieber jeden Synagogenanschlag oder Kindertod erstmal mit Neonazis in Verbindung, um kurzfristig mit solchen garantierten Reißerthemen Auflage und Quote machen zu können. Von Skinheads und NPD-Anhängern werden wir aber glücklicherweise nicht regiert. Regiert werden wir dagegen von sogenannten demokratischen Parteien, die sich vom Volk nur in ihrer Macht bestätigen lassen wollen, anstatt es tatsächlich in seinem Willen zu vertreten.
In Schleswig-Holstein ist nämlich folgendes passiert: Per Volksentscheid wurde ein Gesetz geschaffen, das den Unterricht der neuen Rechtschreibung an den dortigen Schulen ausschließt. Dafür hatten sich über die Hälfte der abstimmenden Bürger entschieden, für die Fortführung der Rechtschreibreform aber nicht einmal ein Viertel. Der Landtag verabschiedete allerdings kaum ein Jahr später ein neues Gesetz, das den Volksentscheid praktisch annullierte. Da hieran alle Parteien ausnahmslos beteiligt waren, besteht für drei Viertel aller Wahlgänger nicht einmal mehr die Möglichkeit, in dieser Sache einer Partei das Mandat der Interessenvertretung zu geben. Eine solche Verhöhnung der Demokratie kannte man bislang nur aus der DDR. In den Medien wurde über diese Ungeheuerlichkeit kaum berichtet, daher wissen darüber nur wenige Bescheid. Die Medien sind schließlich in den allermeisten Fällen auch befangen, da sie sich selber schon auf die Reform eingelassen haben. All die vielen Fakten, die Unsinn, Unverfrorenheit und Dilettantismus der Rechtschreibreform eindeutig und aufschlußreich belegen, werden nur von vereinzelten Blättern an die Öffentlichkeit getragen, wie etwa der FAZ, für die das inzwischen keinen Widerspruch mit dem eigenen Verfahren mehr bedeutet.
Wenn die Reform gelungen wäre, warum wird sie dann durch die Bank von allen renommierten deutschen Schriftstellern und Dichtern ignoriert bis bekämpft? Sogar von André Marx, einem der gegenwärtigen Autoren der drei Fragezeichen, deren neue Bücher in Reformschreibung erscheinen (da Jugendliteratur), weiß ich aus persönlicher Diskussion, daß er die Rechtschreibreform wie die Pest haßt. Er ist, wie ich, erst 28 Jahre alt, gehört also wohl kaum zu den alten Knackern die wohl aus sowas wie Verkalkung angeblich nicht mehr umlernen wollen; andere sehr erfolgreiche Jungautoren wie Florian Illies und Benjamin v. Stuckrad-Barre veröffentlichen ihre Bücher ebenfalls nach wie vor in der alten Rechtschreibung. Das sind doch alles keine Laien, die von Schriftsprache keine Ahnung haben. Sie bräuchten sich nicht einmal umzugewöhnen, wenn sie der neuen Rechtschreibung folgen wollten, da für diese Aufgabe auch die Lektoren in den Verlagen zur Verfügung stünden. Nein, diese Autoren haben ihre Gründe, aus denen sie die Reform ablehnen. Denn je feiner und intensiver im Ausdruck Texte werden, desto schädlicher wirken sich die Änderungen der Reform aus. Davon abgesehen haben viele der Schriftsteller auch ein gewisses Verantwortungsgefühl, aus dem heraus sie gegen das völlig undemokratische, geradezu unverschämte Durchsetzungsverfahren der Reform protestieren.
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