Vereinfachung als alleiniges Ziel
Frau Menges, ich glaube nicht, daß Vereinfachung wirklich einen Gewinn brächte. Die Sprache ist ein Werkzeug, das man immer gerade so anspruchsvoll gebrauchen kann, wie man es selber möchte. Man kann sich entscheiden, mit wenigen Wörtern auszukommen, man kann aber auch einen riesigen Wortschatz anstreben, mit dem man im Extrem nur noch von einem reduzierten Zirkel Eingeweihter verstanden wird. Das trifft ja sogar u.a. in der Jugendsprache zu, wo das Verwenden bzw. Nichtverwenden bestimmter Ausdrücke die Zugehörigkeit zu einer Gruppe signalisieren soll, oft, ohne daß sich die Anwender dieser sensiblen Wortwahl besonders bewußt wären. Man kann Sätze kompliziert anlegen oder simpel, einen sehr hochgestochen-erlesenen oder aber auch einen vulgären Stil wählen. Die Sprache ist unheimlich flexibel und vielschichtig, und diese Eigenschaften sind nützlich, sind Teil ihres Reichtums. Jeder kann also die Sprache in seiner ganz privaten Anwendung vereinfachen, soviel er nur möchte, sogar ohne daß er damit bestehenden Sprachregeln zuwiderliefe. Wenn aber nun eine vereinfachende (oder, wie in der Realität, auch einfach nur verzerrende) Maßnahme die gesamte Sprache zum Objekt hat, wie das bei der Rechtschreibreform der Fall ist (es handelt sich zwar nur um einen Eingriff auf die Schriftform der Sprache, dort aber zunächst grundsätzlich auf ihren gesamten Bestand, auch wenn die Änderungen nur in wenigen Einzelfällen resultieren), dann wird ihr Niveau, oder besser: ihre Funktionalität, auf gesamter Breite herabgesetzt. Und das, obwohl eben ohnehin schon für jeden einzelnen immer die Möglichkeit bestand, die Sprache nur so anspruchsvoll einzusetzen, wie er das möchte bzw. wie er dazu in der Lage ist. In Mitleidenschaft werden also jene Nutzerschichten gezogen, die das hohe Niveau wohlbegründet gerne beibehalten wollen. Diese können sich zwar gegenwärtig selbstverständlich immer noch Briefe gemäß Orthographienorm der höheren Qualität schreiben, aber in dieser Orthographie können sie kaum noch Zeitschriften oder Zeitungen lesen; die korrekte Deutung vieler feiner Ausdrucksmittel, wie sie die alte Rechtschreibung erlaubt bzw. begünstigt, ist in einer Umgebung der rechtschriftlichen Verunsicherung, wo mit viel Energie und Macht eine demokratisch illegitime Sprachnorm verbreitet werden soll, sehr unsicher geworden. Es entspricht einfach nicht dem Grundwesen der Sprache, sie auf Anordnung sprungartig in ihren Tiefenstrukturen sowie äußeren Merkmalen zu verändern, zumal, wenn sich dies gegen die große Mehrheit der Sprachnutzer richtet. Das Gesprochene, das Geschriebene, soll etwas Inhaltliches bedeuten. Die Reform beschränkt sich auf das spießige Ordnungsdenken eines Schrebergärtners. Und Vereinfachungsbemühungen, deren Motiv das simple Senken von Fehlerquoten in Schuldiktaten (und verwandten Angelegenheiten) ist, behandeln die Sprache unangemessen. Das beste Werkzeug ist nicht unbedingt das, welches sich am einfachsten bedienen läßt. Mit einem Hammer kann man Nägel einschlagen oder feinste Skulpturen aus Marmor meißeln. Soll das letztere abgeschafft werden, nur damit diejenigen, die das nicht so gut hinkriegen, nicht neidisch sein müssen?
Christian Melsa 22149 Hamburg
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