Rätselhaft
Lieber Herr Jansen, das ist doch klar, daß ich mich mit der Sache ernsthaft beschäftigt habe, sonst hätte ich es ja wohl nicht gewagt, mit Aufsätzen und sogar Büchern dazu an die Öffentlichkeit zu gehen.
Was Sie zuletzt geschrieben haben, verstehe ich nicht ganz: daß Sie nach den Regeln, nicht nach dem Wörterverzeichnis schreiben. Das Wörterverzeichnis ist kein Anhang, sondern fester Bestandteil der Gesamtregelung. Das Regelwerk allein ist auch nicht autonom. Vgl. das Vorwort. Anscheinend nehmen Sie sich die Freiheit, nach eigenem Gutdünken auf die Neuregelung zurückzugreifen oder auch nicht. Dazu haben Sie natürlich das Recht, wie jedermann (außer denjenigen, die der Regelungsgewalt des Staates unterworfen sind, wie der Dudenverlag es seinerzeit so treffend ausdrückte). Aber damit entfällt eigentlich unser Thema: die Vortrefflichkeit der Neuregelung.
Ich selbst habe ja immer darauf bestanden, die bisher übliche Rechtschreibung erst einmal so zu beschreiben, wie sie wirklich war und ist. Man hat auch gefordert, die bisherige Rechtschreibung auf das Beschreibungsformat der Neuregelung zu bringen, also Art und Anordnung der Regeln (aber eben nicht der Dudenregeln, sondern einer Neudarstellung der wirklichen inhärenten Regelhaftigkeit), und dann zu fragen, was daran falsch oder verbesserungsbedürftig ist. Selbst wenn man an der bisherigen Schreibpraxis etwas Mangelhaftes entdeckt hätte (was aber kaum der Fall ist), wäre abzuwägen gewesen, was man sich mit einer Änderung einhandelt und was es kostet. All dies ist nicht geschehen.
Wenn man die bisherige Schreibpraxis neu dargestellt hat (keine kleine Aufgabe, man sieht es ja hier an unseren Gesprächen über Deskriptivismus usw., dann muß man immer noch fragen, wie es didaktisch am besten zu machen wäre, dies nun auch zu vermitteln. Daß manche Lehrer sagen, das sei inen zu schwer, ist noch kein hinreichender Grund, die Regelungsmaterie selbst zu verändern, wenn sonst vieles für Beibehaltung spricht.
Darf ich Ihre letzte Äußerung als stillschweigendes Eingeständnis nehmen, daß Sie sich bei der GZS ein bißchen geirrt haben? Es ist ja nicht so wichtig, auch mir ist manches entgangen.
Es ist richtig, daß die Zeichensetzung eher in Regeln als anhand von Wörtern dargestellt wird, obwohl auch hier manches möglich erscheint. Die Kommasetzung hängt zum Beispiel an Konjunktionen usw.; maschinell wird das wohl auch zum Teil so gemacht. Die Wortschreibung aber ist primär an Einzelwörtern festgemacht; hier sind die Regeln sekundär, sozusagen Verallgemeinerungsversuche. Augst hat nachgewiesen, daß die meisten Dudenbenutzer nur im Wörterverzeichnis nachschlagen und vielfach gar nicht wissen, daß es auch Regeln gibt. Damit will ich nicht bestreiten, daß es intuitive Verallgemeinerungen gibt, die psychisch real, aber gerade deshalb nicht als Regeln zu bezeichnen sind.
Und noch etwas: Es ist hier auf den Rechtschreibseiten (eher von Leuten, die Ihnen das Wasser nicht reichen können) so getan worden, als sei selbstverständlich noch sehr viel zu verbessern, aber immer nur auf dem Boden der Neuregelung. Das ist gerade das, was viele andere nervt: Wenn die Neuregelung so viele Fehler enthält, daß sogar die Urheber seit langem nicht mehr wagen, sie zu verteidigen, und wenn die Neuregelung nur eine mit staatlichen, zum Teil auch wirtschaftlichen Zwangsmitteln erzeugte Scheinblüte erlebt, in Wirklichkeit aber weitgehend abgelehnt wird und noch keineswegs im Schreibusus der Bevölkerung verankert ist, und wenn sie weiterhin in schneller Folge zwar nichtamtliche, aber dennoch verbindliche und durchgreifende Korrekturen erfährt wenn all dies zutrifft: warum soll man dann auf dem Boden der Neuregelung weiterarbeiten und nicht auf dem Boden der Rechtschreibung, in der nahezu das gesamte Schrifttum gehalten ist? Die meisten Leute wissen noch gar nicht, wie sehr der Boden der Neuregelung schwankt. Sie werden es aber bald zur Kenntnis nehmen (müssen). Von Kultusministern und ähnlichen Amtsträgern habe ich mehrfach gehört und gelesen: Natürlich kann über die deutsche Rechtschreibung weiterhin diskutiert werden; wenden Sie sich bitte an die Kommission (an dieser Stelle hat Ministerialrat Krimm auch mir die Anschrift dieser Kommission mitzuteilen für sinnvoll gehalten!). Das ist jetzt der einzige legitime Ort für solche Diskussionen. So ungefähr, ziemlich gleichlautend. Das glauben wir aber nicht und nehmen es nicht hin.
Lieber Herr jansen, wenn man ziemlich gut weiß, WAS uns hier geboten worden ist und WIE es eingefädelt worden ist, dann packt einen schon mal der Zorn oder auch dioe Verzweiflung über die schafsmäßige Ergebenheit mancher Zeitgenossen. Dann klingt einem der Zynismus eines Kultusministers besonders schrill in den Ohren, der im Bundestag sagte, hier gehe es darum, die Reformfähigkeit der ganzen Gesellschaft zu beweisen. Dazu dann noch die Berichte von den Vorgöngen im Internationalen Arbeitskreis ... also nee, wer sind wir denn, daß wir uns das bieten lassen müssen?
Theodor Ickler Ringstr. 46, D-91080 Spardorf
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