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Buchbesprechung (Kurzfassung; ausführlicher demnächst!))
Duden Deutsches Universalwörterbuch. 4., neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Herausgegeben von der Dudenredaktion. Geb. 1892 Seiten. Dudenverlag Mannheim, Leipzig, Zürich, Wien 2001. 59,90 DM, mit CD-ROM 78,00 DM. (ISBN 3-411-05504-9)
Die Neubearbeitung enthält nach Verlagsangaben rund 1500 neue Stichwörter wie Airline, browsen, E-Commerce, Rucola, Viagra; dazu auch allerlei Werbewirksames von voraussehbar kurzer Lebensdauer wie Warmduscher und Maschendrahtzaun. Ein großer Teil der Neueinträge geht allerdings auf das Konto von 5204 weiblichen Personenbezeichnungen: Epigraphikerin, Erbsenzählerin, Insurgentin, Interventionistin, Kolonnenspringerin, Plapperin, Punktelieferantin, Schrotthändlerin, Schwingerin, Topfguckerin, Transplanteurin, Trassantin, Vizeadmiralin, Zinkerin usw. Jedes Stichwort steht erstmals auf einer neuen Zeile. Auch der Flattersatz ist neu. Leider ist die ohnehin kleine Schrift ist nämlich jetzt auch noch sehr blaß, so daß die Lesbarkeit nicht gewonnen hat. Obwohl der Band um etwa 75 Seiten dicker geraten ist als die vorige Auflage, hat man vieles weggelassen. Auf S. 1192 zum Beispiel sind folgende Stichwörter getilgt: peinsam, Peitschenschlag, Peitschenwurm, Pekesche, Pektorale, pekzieren, pêle-mêle, Pelemele, Peltast, Pelzbesatz, pelzbesetzt, Pelzkappe, Pelzkragen, Pelzmärte, Pelzmärtel, Pelznickel, Pelzstola, Pelzverbrämung, Pemphigus. Neu aufgenommen sind nur Pekingerin, pelletieren, pelletisieren, Pelzkrawatte, Pelzrobbe. Alle gestrichenen Wörter mit Ausnahme von pêle-mêle sind sogar im viel kleineren Rechtschreibduden verzeichnet. Während die vorige Auflage 120.000 Stichwörter enthielt, kündigt die neue auf dem Einband rund 140.000 Wörter und Wendungen an. Die wirkliche Zahl der Einträge läßt sich daraus nicht mehr entnehmen. Die Nachzählung ergibt, daß es kaum mehr als 120.000 sind. Die wichtigsten Änderungen betreffen aber die Revisionsarbeiten an der sogenannten Rechtschreibreform. Bekanntlich hat die Rechtschreibkommission in den letzten Jahren wesentliche Änderungen beschlossen, die zwar noch nicht amtlich sind, von den Wörterbuchredaktionen aber dennoch als verbindlich angesehen und befolgt werden. (Nur die Schulen wissen noch nichts davon und unterrichten die überholte Neuschreibung von 1996.) Bei der Silbentrennung entscheidet sich die Redaktion im allgemeinen für eine konservativere Lösung. Man trennt also wieder Si-gnal gegenüber Sig-nal (1996) und stellt damit den Zustand der zweiten Auflage von 1989 wieder her. Im übrigen herrscht Inkonsequenz: Dem Res-pekt und Pros-pekt stehen das Horo-skop und Mikro-skop gegenüber. Die Vorsilben sym-/syn- dürften allgemein bekannt sein, gleichwohl soll Sy-nergie getrennt werden. Die neue Abtrennbarkeit einzelner Buchstaben (I-gel) wird gar nicht erst in Erwägung gezogen, aber andererseits wimmelt es von absurden Trennungen wie Di-aspora und Dias-pora; nur Dia-spora, die einzige sinnvolle Trennung, ist nicht vorgesehen. Verwunderlich ist auch die Entwicklung von Lu-stration (1989) über Lust-ration (1996) zu Lus-tration (2001). Ähnlich Ab-itur (1989), A-bitur (1996), Abi-tur (2001). Noch 1996 belästigte uns das Wörterbuch mit der Neuschreibung Ständelwurz (weil diese Orchidee nach volksmedizinischem Glauben erektionsfördernd wirken soll); in der Neuauflage ist nur noch die herkömmliche Schreibung Stendelwurz verzeichnet. Zu Quäntchen behauptet das Wörterbuch: heute meist (!) als Abl. von Quantum empfundene u. in der Schreibung an diese angepasste Vkl. zu Quent; in Wirklichkeit handelt es sich bei der neuen Schreibweise um einen Gewaltakt der Kultusminister, der mit den Empfindungen der Bürger nichts zu tun hat. Das amtliche Wörterverzeichnis schreibt ausdrücklich vor in Sonderheit. So auch der neue Rechtschreibduden und die vorige Auflage des Universalwörterbuchs. Die Neubearbeitung kehrt zu insonderheit zurück. Die Rechtschreibkommission war schon Ende 1997 bereit, das grammatisch falsche Leid tun zurückzunehmen; es wurde ihr von den Kultusministern und dem Bundesinnenminister verwehrt. Wir finden daher auch in diesem Band so Leid es mir tut und ähnliche Monstrositäten: Pleite gehen, Bankrott gehen, heute Abend, gestern Morgen usw. wobei schon der neue Rechtschreibduden in Absprache mit der Rechtschreibkommission noch eins draufgesetzt und heute Früh, morgen Früh usw. eingeführt hat. Die Mass Bier aus dem neuen Rechtschreibduden hat das vorliegende Werk ausgelassen. Einige Dutzend herkömmliche Wörter wie aufsehenerregend, erfolgversprechend, hitzeabweisend, respekteinflößend sind genau wie im neuesten Rechtschreibduden, aber im Gegensatz zur amtlichen Regelung wiederhergestellt. In einigen Fällen ist das Rechtschreibwörterbuch aber auch schon weiter, zum Beispiel kennt es wieder musikliebend, das Universalwörterbuch läßt nur Musik liebend zu (aber prachtliebend, prunkliebend). Ähnlich kostendeckend, aber nur Kosten sparend. Während die vorige Auflage regelkonform zwischen blutreinigend und Blut bildend unterschied, ist jetzt zugunsten der Zusammenschreibung, aber gegen die amtliche Regel vereinheitlicht. Es heißt allerdings weiterhin Gas bildend, Staaten bildend usw. Unter Erholung findet man Feriengebiete für Erholung Suchende, für Erholung suchende Großstädter; aber ein paar Zeilen weiter sind die Erholungsuchenden als eigenes Stichwort angeführt, ganz wie früher. Diese Unstimmigkeit geht auf einen bis heute nicht bereinigten Widerspruch zwischen amtlichem Regelwerk und Wörterverzeichnis zurück. vielsagend und vielversprechend sind gegen die Reformbestimmungen wiederhergestellt, nichtssagend noch nicht, aber das dürfte nur eine Frage der Zeit sein. Während 1996 das Wort kostensparend noch verzeichnet war, ist es jetzt zugunsten von Kosten sparend beseitigt; zugleich hat aber der neue Rechtschreibduden es wieder eingeführt, nachdem er es 1996 durch Kosten sparend ersetzt hatte. Hier scheint noch einiges im Fluß zu sein. Schockiert uns der neueste Rechtschreibduden mit dem Beispielsatz Die Leid Tragenden sind die Kinder, so ist nun wieder, wie 1996, der Steuerzahler der Leidtragende. Dem geläufigen wohlriechend steht im neuen Rechtschreibduden unbegreiflicherweise auch ein wohl schmeckend gegenüber; das Universalwörterbuch kennt aber, wie schon 1996, nur wohlschmeckend eine begrüßenswerte Entscheidung. Es ist nicht einzusehen, warum weitgreifend erhalten bleiben soll, tiefgreifend aber nicht. Man findet zwar entgegen den amtlichen Regeln wieder zeitraubend, aber unter Zeit steht eine Zeit raubende Angelegenheit. Sehr starke Veränderungen gibt es bei wiederaufbauen usw. Zahlreiche Verben dieser Art waren in der vorigen Auflage auseinandergerissen, dürfen laut Rechtschreibduden jetzt wieder zusammengeschrieben werden und sind im vorliegenden Werk sogar nur noch in Zusammenschreibung angeführt. Im übrigen findet man hier dieselben unmotivierten Unterschiede wie im neuen Rechtschreibduden: wieder herrichten, aber wiederherstellen. Die Beseitigung guter deutscher Wörter wie Armvoll, Handvoll, Mundvoll, Zeitlang geht weiter. Erstmals werden so krasse Beispiele gebracht, daß man fast auf stille Obstruktion schließen möchte: mehrere Arm voll Heu, einige Mund voll Kartoffelbrei. Das Unerhörte dieser Wortvernichtung ist um so auffälliger, als der Wortbildungstyp selbst keineswegs verleugnet wird, denn Fingerbreit, Fußbreit, Handbreit und Zollbreit bleiben erhalten. Das Stichwort sogenannt ist völlig getilgt und auch nicht als frühere Schreibung zu finden. Die Abkürzung soll aber weiterhin sog. sein. In Zeitungen kam das Wort bisher rund sechstausendmal pro Jahr vor, und auch in der sonstigen Literatur ist es quicklebendig, aber davon scheint die in der Einleitung erwähnte Dudenkartei mit ihrem legendären Millionenbestand nichts zu enthalten. Ähnliche Beobachtungen muß man des öfteren machen. Dem Werk ist wie bisher eine Kurzgrammatik des Deutschen beigegeben. Auch sie ist der neuen Rechtschreibung angepaßt. Daß es zum Beispiel zusammengesetzte Adjektive wie schwerkrank gibt, wußte die Redaktion 1989 noch. Heute verleugnet sie es Kartei hin, Kartei her. Das Wörterbuch verspricht eine aktuelle, umfassende, objektive und zuverlässige Darstellung der deutschen Sprache. Solange es aber durch beflissenes Verschweigen behauptet, daß ganz geläufige deutsche Wörter wie sogenannt, freilaufend, selbstgebacken, wildlebend, Handvoll und Hunderte von anderen nicht existieren, kann es dieses Versprechen nicht einlösen.
Theodor Ickler Ringstr. 46, D-91080 Spardorf
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